Ich muss gestehen, dass ich bis vor Kurzem nicht wusste, wer Andy Grote ist. Heute weiß ich immer noch sehr wenig über ihn: dass er SPD-Politiker ist, aktuell Innen- und Sportsenator von Hamburg. Dass er mit einer Party zu Ehren von sich selber gegen Coronaregeln verstoßen hat, als er im Juni 2020 als Innensenator wieder berufen wurde. Und dass er dann ein Jahr später über feiernde Leute in der Schanze getwittert hat, dass es ignorant und dämlich sei, in der Pandemie zu feiern.
Und vor allem: dass er wegen dieses Tweets Opfer eines perfiden Hassverbrechens geworden ist, denn jemand hat ihn in den Kommentaren einen »Pimmel« genannt. Das geht natürlich nicht. Und seitdem hat er den Kampf gegen Hasskriminalität auf ein neues Level gehoben. Und dafür gebührt ihm unser aller Dank!
Die Welt hätte von der ganzen Sache vielleicht gar nichts erfahren, wenn nicht eines Septembermorgens ein Tweet aufgetaucht wäre, in dem es hieß: »Heute morgen um 6.00 gab es eine Hausdurchsuchung. 6 Beamt*innen in der Wohnung. Gesucht wurde das Gerät, mit dem ›du bist so 1 Pimmel‹ unter einen Tweet von Andy Grote geschrieben wurde. Sie wissen, dass zwei kleine Kinder in diesem Haushalt leben. Guten Morgen, Deutschland.«
Seit diesem Tweet ist viel passiert, denn der Kampf gegen Hatespeech ist oft komplizierter, als man denkt. Nicht nur war die Polizei, wie die »taz« berichtete, in der falschen Wohnung, nämlich bei der Ex-Freundin des Pimmeltweet-Verfassers, oder, wie man wohl sagen muss: des Täters. Der Täter wiederum war zuvor schon bei der Polizei gewesen und hatte auch zugegeben, den Tweet verfasst zu haben. Aber Rechtsstaat ist Rechtsstaat, das wird auch dieser Frechdachs noch lernen. Und wer weiß, vielleicht sitzen schon erste Redaktionen an der Aufarbeitung des Falls als True-Crime-Podcast.
Der Polizeieinsatz wurde als unverhältnismäßig kritisiert, es wurde von Amtsmissbrauch gesprochen und von einem Streisand-Effekt: Seit der Pimmelcausa steht unter jedem Tweet von Grote in den Kommentaren was mit »Pimmel«. Leute schreiben »der Oberpimmel pimmelt rum« oder fragen »Ist es OK, wenn ich meinen Pimmel Andy nenne?« Und dann tauchten in Hamburg auch noch Sticker mit den Worten »Andy, Du bist so 1 Pimmel« auf, wahrscheinlich hatte die jemand im Darknet bestellt. Die Polizei musste ausrücken, um die Sticker zu entfernen, zur »Gefahrenabwehr« und Beweissicherung, der Staatsschutz ermittelt gegen unbekannt. Derweil ist in Andy Grotes Wikipedia-Eintrag der Absatz »Umstrittene Hausdurchsuchung wegen Beleidigung« länger als der Absatz über seine Tätigkeit als Senator. Das »Pimmelgate« hat es sogar in die »Washington Post« geschafft.
War es das wert? Na klar! Was heute ein Sticker ist, könnte schon morgen ein Plakat sein, und was heute ein »Pimmel« ist, könnte schon morgen ein »Arsch mit Ohren« sein oder gar ein »Fang mich doch, du Eierloch«. Tatsächlich berichtete die »Mopo«, bei einem St. Pauli-Spiel sei ein Plakat mit der Aufschrift »Pillemann Grote Arsch« gesichtet worden.
Andy Grote selbst – oder, wie man auch sagen könnte: der Geschädigte – hatte dem NDR zum Vorgehen der Polizei gesagt: »Wenn wir wollen, dass solche Taten, Hass- und Beleidigungstaten im Netz, konsequent verfolgt werden, dann gehören dazu ganz regelmäßig auch Durchsuchungen.« Das war bisher nicht so. Die Anwältin Christina Clemm twitterte, sie habe schon oft Strafanzeigen wegen digitaler Gewalt erstattet, auch wegen Bedrohungen: »Aber Hausdurchsuchungen habe ich deshalb noch nie erlebt.« – Ja, aber das war VOR dem Pimmel!
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Andy Grote (SPD), State Minister of the Interior and Sports in the Senate Tschentscher