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Mutig erkämpft :

Erstellt von Redaktion am Dienstag 20. September 2022

Bessere Pflege in NRW

Innerer Grüngürtel, Köln und auf der linken Seite Gebäude Universität zu Köln

Von Ulrike Baureithel

Während in der Urlaubssaison die Streiks des Bodenpersonals an den Flughäfen enorme mediale Resonanz erfuhren und rasch mit einem Tarifvertrag beendet wurden, fand der Ausstand der Pfleger*innen an den sechs nordrhein-westfälischen Unikliniken kaum mediale Beachtung. Dabei sind die Zustände in Normal- und Intensivstationen, Ambulanzen, Kreiß- und Operationssälen sowie Kinderstationen katastrophal, wie in dem während des Streiks entstandenen „Schwarzbuch Krankenhaus“ zu lesen ist.[1]

Langjährig in ihrem Beruf Tätige, aber auch Auszubildende und Hilfskräfte zeichnen dort ein Bild der Realität in deutschen Kliniken, das einen schaudern und verstehen lässt, warum viele Beschäftigte sagen, so möchten sie selbst nicht gepflegt werden. Da wird von Patient*innen erzählt, die stundenlang in ihren Exkrementen liegen oder alleine sterben, von unterversorgten Neugeborenen, Menschen, die auf eine Operation warten und aus Personalnot alleine gelassen werden. Die Rede ist von unterbesetzten Röntgenstationen, Ambulanzen, in denen es nicht nur zu verbaler Gewalt kommt, und Nachtschichten, die von einer einzigen Kraft gestemmt werden müssen. Und es geht um Mitarbeiter*innen, denen „oft zum Heulen zumute“ ist, wenn sie nach Hause kommen, die „gerne weglaufen“ würden und vor Erschöpfung fast umfallen.

Das „Schwarzbuch“ wurde während des längsten Streiks, den das Krankenhauspersonal in Nordrhein-Westfalen je initiiert hat, fortwährend ergänzt. 79 lange Tage haben die Streikenden in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster ausgeharrt, nachdem die Leitungen der Universitätskliniken ein 100tägiges Ultimatum haben verstreichen lassen. Sie erstellten Notfallpläne und sind auf Zuruf in die Klinik zurückgeeilt, wenn es nötig war. Gemeinsam entwickelten sie Forderungen – ganz eng an ihrem Arbeitsbereich und unter Einbeziehung der Kolleg*innen. Und sie reagierten mutig und selbstbewusst, wenn ihnen vorgeworfen wurde, die Patientensicherheit zu vernachlässigen.

Gefährlicher Normalzustand

Denn gerade um die Patientensicherheit ging es in diesem Streik. Nicht der Ausstand gefährde die Gesundheit der Patient*innen, so die immer wiederkehrende Erklärung, sondern der permanent unzureichende Normalzustand: Gefährdung besteht, wenn regelmäßig der ohnehin knapp bemessene Personalschlüssel unterlaufen wird, wenn die Pflegekräfte von einem Bett zum anderen hetzen, Überstunden ableisten oder kranke Menschen in den Ambulanzen viele Stunden warten müssen, kurz: wenn einfach zu wenig Manpower da ist, um die von allen Seiten gewünschte „gute Pflege“ zu leisten.

Dann riskieren nicht nur die Beschäftigten ihre Gesundheit, sondern auch Patient*innen leiden darunter. „Man fühlt sich ohnmächtig“, erzählt Personalrätin Petra Bäumler-Schlackmann, vor ihrer Freistellung als Betriebsrätin Teamsekretärin am Essener Klinikum, „wenn man täglich Überlastungsanzeigen bekommt und den Beschäftigten akut nicht helfen kann, weil wir dem Problem immer nur hinterherrennen.“[2] Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen nach Verdi-Angaben rund 20 000 Fachkräfte in den Krankenhäusern und 14 000 in der Altenpflege. Deshalb forderten die Beschäftigten auch nicht mehr Geld wie bei einem gewöhnlichen Streik, sondern einen Tarifvertrag „Entlastung“ nach dem Berliner Vorbild, wo ein solcher im vergangenen Jahr ebenfalls nach einem wochenlangen Streik an den großen Krankenhäusern durchgesetzt werden konnte.[3] Ziel des Streiks waren entsprechend verbindliche Personalschlüssel für alle Arbeitsbereiche sowie die Dokumentation der konkreten Arbeitssituation, um den Betroffenen einen Belastungsausgleich – möglichst in Form freier Tage – zukommen zu lassen. Verdi fordert außerdem gesetzliche Personalvorgaben, die für alle Krankenhäuser gelten.

Wie schon in der Hauptstadt schlossen sich auch in Nordrhein-Westfalen Tätige aus allen Bereichen zusammen: Pflegekräfte, Reinigungspersonal, Beschäftigte aus Ambulanzen und Laboren, Transport und sogar der Verwaltung. Nach sechs Wochen Streik wurde schließlich klar, dass die Arbeitgeber zwar den Pflegenden „am Bett“ entgegenkommen wollten, weil dies durch das Pflegestärkungsgesetz hätte refinanziert werden können, die Beschäftigten in den übrigen Bereichen – mehr als die Hälfte des betroffenen Personals – aber außen vor geblieben wären. Der Vorschlag, den die Unikliniken im Juni schließlich unterbreiteten, wurde von der Verhandlungsgruppe in Absprache mit den Delegierten deshalb als „Mogelpackung“ abgelehnt. Die Spaltungsabsicht der Arbeitgeber war zu offensichtlich. Diese reagierten, indem sie mit Verweis auf die Patientensicherheit und ausgefallene Operationen versuchten, den Streik auf dem Klageweg zu beenden – allerdings erfolglos.[4]

Verbesserungen sind notwendig

Erschwert und verzögert wurden die Gespräche, weil die Unikliniken nicht einzeln bzw. zusammen mit Verdi verhandeln durften. Sie waren bis dahin Teil des Arbeitgeberverbandes des Landes (AdL), der wiederum der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) angehört. Diese hatte es jedoch abgelehnt, über einen Tarifvertrag Entlastung zu verhandeln. So mussten die Kliniken aus dem AdL austreten, was eine Änderung des Hochschulgesetzes erforderte. Diese wiederum ließ jedoch auf sich warten, weil sich die neue nordrhein-westfälische Landesregierung noch nicht konstituiert hatte. Am Ende verließen die Kliniken die AdL, nicht unbedingt zur Freude von Verdi: „Unser Wunsch wäre es gewesen, dass wir im Verband bleiben und schauen, was passiert. Wir bedauern sehr, dass die Landesregierung dazu nicht bereit war“, erklärt der Essener Gewerkschaftssekretär Jan von Hagen.[5]

Hauptgebäude der Universität zu Köln-5634.jpg

Sie würden den Streik erst beenden, wenn sie im Alltag tatsächliche Verbesserungen spürten, war von den Beschäftigten vielfach zu hören. Es müsse sich grundlegend etwas ändern. Der schließlich ausgehandelte Kompromiss sieht vor, dass in allen patientennahen Bereichen – von den Stationen über die Ambulanzen bis zur Psychiatrie – und in jeder Schicht kontrolliert wird, ob ausreichend Personal arbeitet. Ist dies nicht der Fall, gibt es Belastungspunkte für die dort Tätigen, bei sieben Punkten steht ihnen fortan ein freier Tag zu, bis zu maximal elf Tagen im ersten, 14 im zweiten und 18 im dritten Jahr. Für eine Übergangszeit, bis die entsprechend dafür nötigen IT-Systeme eingerichtet sind, gibt es pauschal fünf Tage. Auch für andere Bereiche wie die Radiologie oder Betriebskindergärten wurden Belastungsvereinbarungen erzielt.

In den einzelnen Kliniken werden nun 30 neue Vollzeitkräfte eingestellt. Bitter sei es jedoch, so Verhandlungsführer Heinz Rech, dass Entsprechendes für den IT-Bereich und die Ambulanzen nicht erreicht wurde. Immerhin: Die Anbindung an den Branchentarifvertrag bleibt auch nach dem Austritt der Kliniken aus der AdL bestehen. Damit hätten die Beschäftigten, so Katharina Wesenick von Verdi, „den ersten Flächentarifvertrag für Entlastung“ durchgesetzt und „einen wichtigen Etappensieg“ erreicht.[6] Anfang August segneten die Mitarbeitenden der Unikliniken den Abschluss ab, mit knapp 74 Prozent. Das Ergebnis, so Verdi-Sekretär von Hagen, spiegele die Stimmung der Streikenden wider. Sie hätten gute Ergebnisse durchsetzen können, es gebe aber auch „Unmut über die Spaltung der Beschäftigten durch die Arbeitgeber, die nicht bereit waren, für alle Bereiche wirksame Entlastungsregelungen zu vereinbaren“.[7]

»Ich pflege wieder, wenn…«

Quelle        :      Blätter-online        >>>>>         weiterlesen

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