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Minister zwanzig Prozent

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 9. Juli 2015

Gabriel sprintet in Richtung 20 % für die SPD

Von Albrecht Müller

Die Suche nach einer erfolgreichen Strategie wäre einfach.

Die SPD hätte mit Beginn der Finanzkrise und speziell in der jetzigen Krise um Griechenland die Chance gehabt, sich ihrer früheren makroökonomischen Kompetenz zu entsinnen und in der Auseinandersetzung mit der Austeritätspolitik von Schäuble in der Sache und publizistisch Punkte zu machen. Gabriel hat diese Chance nicht ergriffen, im Gegenteil. Er und Schulz versuchen in der Aggression gegen die griechische Regierung die CDU rechts zu überholen. Damit hat Gabriel die Besinnung auf einen anderen Kurs verbaut. Er hat die Medien ermuntert, ihre völker- und menschenverachtende Kampagne gegen die Griechen fortzusetzen und zu verstärken. Der Platz von Herrn Schäuble, von Frau Merkel und jener, die in der Union rechts von ihnen stehen, ist aber besetzt. Da kann Gabriel keinen Blumentopf gewinnen. Er hat eine falsche politische Strategie, eine erfolglose Wahlkampfstrategie. Sieht er das nicht oder ist er fremdbestimmt? Ich will nicht polemisieren, ich will beschreiben, welche wichtigen Erkenntnisse eine erfolgreiche Strategie berücksichtigen müsste.

Ein paar Hinweise zur Ausgangslage

Nach verschiedenen Umfragen sieht die Ausgangslage heute ungefähr so aus:

  • die Union legt bei allen letzten Erhebungen über 40 %;

  • Die SPD liegt bei den meisten Umfragen der letzten Zeit bei oder unter ihrem letzten echten Wahlergebnis von 25,7 % (2013).

  • Das war ein sehr schlechtes Ergebnis, nur noch unterboten vom Ergebnis von 2009 mit Frank-Walter Steinmeier: 23 %.

  • Um die Dramatik dieser beiden Ergebnisse wie auch der jetzigen Umfragen zu begreifen, sollte man die früheren Ziffern der SPD anschauen. Hier ist eine Übersicht. Die Reihe von 2009 rückwärts sieht so aus: 23 %, 34,2 %(2005), 38,5 %(2002, 40,9 %(1998). Auch bei den Ziffern für die Zeit vor 1998 beträgt der Abstand zu heute mindestens 10 %-Punkte.

  • Auch der Vergleich mit der Union zeigt die Dramatik: sie liegt bei allen Erhebungen der letzten Zeit über 40 %, nach der neuesten Umfrage bei 43 %; sie hat also schon fast einen doppelt so hohen Anteil wie die SPD.

Diese Ausgangslage müsste alarmieren und eine Debatte um die optimale Strategie der SPD-Führung auslösen: Denn diese Ausgangslage trübt nicht nur die Chance für die Bundestagswahl ein, sondern auch die Chance für die vor uns liegenden Landtagswahlen und auch für Kommunalwahlen.

Die Stimmung im Bund schlägt sich normalerweise nämlich auch in den Landtagswahlen nieder. Ausnahmen wie die letzte Bürgerschaftswahl in Hamburg bestätigen die Regel. Es ist nicht zu erkennen, dass die SPD-Spitze den Ernst der Lage erkannt hat.

Wichtige wahlstrategische Überlegungen und Erkenntnisse – und wie die jetzige SPD-Führung mit diesen Erkenntnissen umgeht:

  1. Das Wählerpotenzial jeder Volkspartei, also jeder Partei, die in die Nähe der 40 % kommen will, setzt sich aus sehr verschiedenen Gruppen zusammen.Wir sprachen früher in der Wahlkampf- und Strategieplanung vom sogenannten „Scheibchenmodell“. Im konkreten Fall der SPD hieß das: der damals noch große Anteil von gewerkschaftlich organisierter und parteitreuer Arbeitnehmerschaft brachte in den Siebzigern zwischen 30 und 36 %. Nur wenn dazu ganz andere Gruppen mit speziellen politischen Interessen kamen, konnte die SPD die 40 % überschreiten und sogar 45,8 % erreichen.Auf die Pluralität der eigenen Wählerschaft muss man Rücksicht nehmen. Möglichst alle Gruppen müssen angesprochen und zugleich durch andere Aussagen nicht abgestoßen werden.
  2. Angesichts der deutlich konservativen Ausrichtung der Medien und der damit de facto gegebenen Medienbarriere wird die SPD bei Wahlen nur dann ausreichend gut abschneiden, wenn sie eine Heerschar von Menschen zu mobilisieren vermag, die im Wahlkampf ihre Stimme erheben und für die Partei ihrer Sympathie werben.

  3. Die SPD muss glaubhaft vermitteln können, dass es eine Chance zu einer Koalition gibt, die ihr die Kanzlermehrheit bringen könnte.

  4. Chancen hat eine Partei, die die Themen bestimmt und positiv besetzte Konflikte plant und durchsteht.

  5. Die Volkspartei SPD gewinnt nicht, wenn sie nur auf den Egoismus der Wählerschaft setzt und nur diesen anspricht. Sie gewinnt nur, wenn sie sowohl das ökonomische Basisinteresse ihrer Wählerschaft berücksichtigt und anklingen lässt als auch die Bereitschaft zur Solidarität.
    In Strategiepapieren für Bundeskanzler Helmut Schmidt war damals von der egoistischen Komponente und der altruistischen Komponente die Rede. Beides sei bei den meisten Menschen ansprechbar. Und wenn eine sozialdemokratische Partei gewinnen wolle, dann dürfe sie auf keinen Fall nur das ökonomische Interesse und den Egoismus des Einzelnen ansprechen. Es gab damals auch Erfahrungen, die belegten, dass diese Überlegungen richtig sind.

Das Wissen um diese Basis-Erkenntnisse scheint in der SPD-Führung nicht weit verbreitet zu sein.

  • Die Führung spricht davon, sie müsse ihre Wirtschaftskompetenz ausbauen. Und sie bewegt sich bei der Auseinandersetzung um Griechenland auf noch feindseligerem Pflaster als die Union. Die immer noch vorhandene große Zahl von Sozialdemokraten, die sich einen Rest an Gefühl für Völkerfreundschaft und für Solidarität erhalten haben, erschrecken förmlich angesichts der Äußerungen ihrer Führung. Wirklich engagierte Menschen außerhalb der SPD sind sowieso schon ernüchtert und enttäuscht. D.h. es steht ausgesprochen schlecht um die Möglichkeit zur Mobilisierung von Menschen, die als Multiplikatoren in den kommenden Wahlkämpfen auftreten.

  • Ein beredtes Zeichen für die mangelhaften strategischen Kenntnisse ist auch der immer wiederkehrende Gedanke, die SPD müsse in die Mitte rücken. Auch diese Idee widerspricht völlig der Erkenntnis, dass das Wählerpotenzial plural, vielfältig ist und auch vielfältig angesprochen werden muss.

  • Die Polemik des SPD-Vorsitzenden wie auch des Parlamentspräsidenten Schulz gegen die Linken und „Kommunisten“ in Griechenland lässt erahnen, dass diese Führung immer noch nicht verstanden hat, dass es ohne die Linkspartei in Deutschland keine Koalition zur Ablösung der Merkel CDU/CSU geben wird.
    Damit entfällt die Perspektive des politischen Wechsels und damit entfällt über weite Strecken das Motiv, sich politisch zu engagieren.

  • Diese mangelnde Perspektive zum politischen Wechsel wie auch die Missachtung der Bereitschaft zur Solidarität mit anderen Menschen und anderen Völkern lässt die Zahl jener Menschen schrumpfen, die sich in einem Wahlkampf engagieren würden, um die Medienbarriere zu überwinden. Der SPD wird es unter den heutigen Bedingungen nicht gelingen, eine Gegenöffentlichkeit zu den herrschenden Medien, die meist im Verbund mit Frau Merkel taktieren, aufzubauen.

  • Es ist ja richtig, dass der Eindruck von Wirtschaftskompetenz für die Wählerentscheidung eine hohe Bedeutung hat. Aber selbst diese wichtige, wenn auch nicht hinreichende (siehe oben) Erkenntnis ist in der Praxis ja nicht umgesetzt worden. Die SPD hätte eine einmalige Chance gehabt (siehe oben), Wirtschaftskompetenz dadurch zu belegen, dass sie eine Alternative zu Austeritätspolitik formuliert und durchgekämpft hatte. Wie stünde sie dann da! In diesem Fall würde sich Wirtschaftskompetenz sogar mit dem zweiten wichtigen Element, der Solidarität und Empathie für andere und andere Völker verbinden.

Es wäre, soviel ist klar geworden, nicht schwierig gewesen, eine bessere Ausgangsbasis für die Bundestagswahl des Jahres 2016 und für die davor liegenden Landtagswahlen zu schaffen. Und es wäre sogar jetzt noch möglich, zumindest einiges wieder gut zu machen. Aber das geschieht zurzeit jedenfalls nicht.
Damit bleibt ein Rätsel:

  1. Entweder die SPD Führung kennt diese Erkenntnisse nicht. Sie handeln und sprechen so, wie sie sprechen und handeln, weil sie es nicht besser wissen. Das müsste man eigentlich ausschließen können. Sicher bin ich da nicht. Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat ja immerhin als Ministerpräsident von Niedersachsen 2003 grandios eine Wahl verloren (- 14,5 %). Das hat nach ihm im Jahr 2005 nur noch Peer Steinbrück geschafft. Im Falle Gabriels/Niedersachsens könnte man die damalige Niederlage auf Mängel bei der Wahlkampfstrategie zurückführen. Und es könnte ja sein, dass Sigmar Gabriel auch jetzt falsch beraten ist.

  2. Oder die Führungspersonen der SPD reden so, wie sie reden, weil sie damit ihre innerparteilichen Ämter am besten verteidigen können, mithilfe der veröffentlichten Meinung. Bestes Beispiel dafür ist der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carsten Schneider. Von ihm kann man wahrlich nicht behaupten, er habe das Pulver erfunden. Aber er hat die Gabe, seine Äußerungen auf BILD-Niveau herunter zu brechen und diese de facto auf das Denken und Fühlen jener Redaktion abzustimmen. Auch der Präsident des Europäischen Parlaments sichert erkennbar sein Ansehen bei den Medien auf seinen antigriechischen und antidemokratischen Sprüchen ab.

  3. Es bleibt die dritte Möglichkeit, dass Führungspersonen der SPD auf anderer Rechnung arbeiten. Manchmal sind ihre Entscheidungen und ihre Äußerungen so verquer, dass sie diesen Verschwörungsgedanken geradezu herausfordern. Ich huldige ihm nicht, kann ihn aber nicht unerwähnt lassen, weil die Rätsel oft nicht anders zu lösen sind.

P.S.: Mit dem Schicksal der SPD beschäftige ich mich wie in diesem Beitrag nicht aus Vergnügen, sondern weil ich nach wie vor davon überzeugt bin, dass es eine politische Alternative zu Frau Merkel nicht ohne die Beteiligung von Sozialdemokraten gibt.
Quelle: NachDenkSeiten

Creative Commons Lizenz 2.0 Non-Commercial.

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Fotoquelle: Wikipedia –  “© Arne Müseler / arne-mueseler.de / CC-BY-SA-3.0″

Ein Kommentar zu “Minister zwanzig Prozent”

  1. Arco sagt:

    Das Schlimme ist, dass diese „Totengräber“ noch irre viel Geld scheffeln können.

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