Migration und Gewalt
Erstellt von DL-Redaktion am Montag 10. Dezember 2018
Alberne Panikattacken
Eine Kolumne von Thomas Fischer
Bevor man das Abendland wegen des heiß diskutierten Migrationspakts verloren gibt, würde es sich lohnen, ihn einmal zu lesen. Und, keine Scheu: Er ist leichter zu verstehen als manche Anfrage im Bundestag.
Teil Eins: Migrationspakt
Verfolgen Sie, sehr geehrte Leser, ebenso atemlos wie der Autor die bedeutende Debatte um den „Migrationspakt“? Er heißt mit vollem Namen eigentlich „Globaler Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“, ist im Internet leicht aufzufinden und soll am 10. Dezember 2018 unterzeichnet werden. Es handelt sich um eine von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossene völkerrechtliche Vereinbarung. Der deutsche Bundestag hat beschlossen, der Zustimmung durch die Bundesregierung zuzustimmen, und dieser Willensbekundung sogleich noch eine „Entschließung“ beigefügt, die verdeutlichen soll, was damit gemeint ist. Die Parlamentsdebatte dazu war einigermaßen unterirdisch, übertraf an Substanz aber immer noch das durchschnittliche Niveau der medialen Berichterstattung. Diese beschränkte sich, von löblichen Ausnahmen abgesehen, vielfach auf das übliche, personalisierte „Freund-Feind“-Spiel sowie auf die weithin albernen Panikattacken der Partei AfD.
Dabei ist es doch, gerade auch für Journalisten, die darüber berichten möchten, gar nicht so schwierig, das gerade einmal 32 Seiten lange Dokument mit eigenen Augen und wachem Geist zu lesen. Da steht ja – in völkerrechtlicher Breite, aber doch durchweg gut verständlich – ausdrücklich drin, was der Pakt bewirken und was er nicht bewirken soll. Erlauben Sie mir zwei Zitate:
Ziffer 13 des Textes beschreibt den „Gemeinsamen Zweck“. Dort heißt es:
„Mit dem Globalen Pakt wird anerkannt, dass eine sichere, geordnete und reguläre Migration dann für alle funktioniert, wenn sie auf der Basis von guter Information, Planung und Konsens stattfindet. Migration sollte nie ein Akt der Verzweiflung sein. Ist sie es dennoch, müssen wir zusammenarbeiten, um den Bedürfnissen von Migranten in prekären Situationen Rechnung zu tragen, und die jeweiligen Herausforderungen angehen. In gemeinsamer Arbeit müssen wir die Bedingungen schaffen, die es den Gemeinschaften und den einzelnen Menschen ermöglichen, in ihren eigenen Ländern in Sicherheit und Würde zu leben. Wir müssen Menschenleben retten und Migranten vor Gefahren schützen. Wir müssen sie in die Lage versetzen, zu vollwertigen Mitgliedern unserer Gesellschaften zu werden, ihre positiven Beiträge herausstellen und Inklusion und sozialen Zusammenhalt fördern. Wir müssen für Staaten, Gemeinschaften und Migranten gleichermaßen mehr Planbarkeit und Rechtssicherheit schaffen. Zu diesem Zweck verpflichten wir uns, eine sichere, geordnete und reguläre Migration zum Wohle aller zu erleichtern und zu gewährleisten.“
Es mag ungewohnt sein, so einen völkerrechtlichen Text zu lesen. Andererseits sind ja immerhin – mittelbar – ziemlich viele Menschen aus vielen Staaten der Welt beteiligt. Sie sprechen, verstehen und benutzen viele Sprachen, auf ganz verschiedenen sozialen und sprachlichen Grundlagen. Da muss man halt mal etwas weiter ausholen. Die Begründungen der famosen Gesetzentwürfe der AfD im Bundestag sind übrigens durchweg anstrengender zu lesen.
Wie auch immer: An den „Zwecken“ gibt es eigentlich nicht viel zu mäkeln. Dasselbe gilt für die im Text aufgeführten „Ziele“. Der Pakt ist ganz offenkundig kein Vertrag zur Überflutung Deutschlands mit Migranten, sondern der Versuch, sich auf internationale Standards im Umgang mit Migration (nicht nur „Flucht“) und auf menschenrechtliche Grundlagen zu einigen, die in weiten Teilen der Welt nicht eingehalten werden. Wer hieraus ableitet, das geknechtete deutsche Biovolk solle mittels unbegrenzter Sozialleistungen an Fremde seiner Kraft beraubt werden, hat vermutlich ein schwerwiegendes intellektuelles oder seelisches Problem.
Auf der Homepage der AfD beispielsweise ist zu lesen: „Die Bundesregierung (will) einem internationalen Abkommen beitreten, das Migranten aus aller Welt weitgehende Rechte zur Migration, auch nach Deutschland, einräumt.“ Es folgt eine lange Liste von Bedrohungen und Untergangsszenarien, deren fürchterlichstes die Ankündigung ist, Länder, in die Migration erfolgt, könnten „neue Siedlungsgebiete von Menschen anderer Völker, Religionen und Kulturen werden.“ Der erste Satz ist offensichtlicher Unsinn, der zweite Satz beschreibt einigermaßen zutreffend den Verlauf menschlicher Zivilisation während der letzten 50.000 Jahre. Man darf als sicher davon ausgehen, dass entweder diejenigen selbst, die solche Panikmache betreiben, oder jedenfalls ihre Vorfahren sämtlich und ausnahmslos aus fremden in die hiesigen Siedlungsgebiete und zu ihrer Kultur gelangt sind.
„Bindend“ oder folgenlos?
Besonders sachkundig wurde bekanntlich das Schreckgespenst der Verbindlichkeit des Pakts diskutiert. Dazu sind nur zwei Anmerkungen zu machen. Erstens steht in Ziffer 15 Buchstabe c des Pakts:
„Nationale Souveränität. Der Globale Pakt bekräftigt das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, sowie ihr Vorrecht, die Migration innerhalb ihres Hoheitsbereichs in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu regeln. Innerhalb ihres Hoheitsbereichs dürfen die Staaten zwischen regulärem und irregulärem Migrationsstatus unterscheiden, einschließlich bei der Festlegung ihrer gesetzgeberischen und politischen Maßnahmen zur Umsetzung des Globalen Paktes“
Was soll man da noch sagen? Das Letzte, was man eigentlich erwarten würde, wäre eine Entschließung des Parlaments mit dem Inhalt, der Globale Pakt bekräftige das souveräne Recht jedes Staates, seine nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen. Und außerdem schränke der Pakt das souveräne Recht der Staaten nicht ein. Und außerdem hätte die Staaten das Recht, ihre Migrationspolitik souverän zu regeln. Und die Staaten dürften selbst bestimmen, wie sie ihre Migrationspolitik regeln. Und weitere spannende Neuigkeiten.
Genau dies hat der Deutsche Bundestag aber mit Getöse gemacht: Der Pakt „begründet keine einklagbaren Rechte und Pflichten und entfaltet keinerlei rechtsändernde oder rechtssetzende Wirkung“. Die Bundesregierung soll darauf achten, dass die nationale Souveränität Deutschlands gewahrt werden soll: Das Land solle selbst über seine Migrationspolitik bestimmen dürfen, durch den Pakt dürften keine nationalen Hoheitsrechte übertragen werden. Das musste mal gesagt werden! Sonst hätte am Ende noch jemand gedacht, der Pakt bekräftige das souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu bestimmen, überhaupt nicht.
Es stelle sich also zweitens die Frage, vor wem sich die Parteien, die den „Entschließungs“-Text erarbeitet haben, eigentlich so schrecklich fürchten: Vor den Deutschlehrern der Nation? Vor der Unfähigkeit der Bürger, zwei schlichte Sätze zu lesen? Oder vor der rassistischen Propaganda?
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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