Merz – 100 Jahre zu spät
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 29. November 2022
Bürgergeld: Stimmungsmache auf Stammtischniveau

Der Gesang eines Deutschen Republikaners
Von Christoph Butterwegge
Seit die Ampel-Koalition im September ihr „Bürgergeld“-Projekt[1] auf den parlamentarischen Weg gebracht hat, torpedieren Wirtschaftslobbyisten, die CDU/CSU-Opposition und Boulevardmedien das Vorhaben. Zwar konnten sie aufgrund der Mehrheit von SPD, Grünen und FDP nicht verhindern, dass der Bundestag die umfassende Reform der als „Hartz IV“ bekannten Grundsicherung für Arbeitsuchende[2] verabschiedete, aber sie können über den Bundesrat – der seine Zustimmung verweigerte – und den Vermittlungsausschuss die Einführung verzögern und das ursprüngliche Konzept inhaltlich verwässern. Sollte die Union an ihrer Blockadepolitik festhalten, stünde die Erhöhung der Regelsätze zum 1. Januar 2023 auf der Kippe – und das trotz der momentan hohen Preissteigerungen, die gerade für Menschen mit geringem Haushaltseinkommen kaum zu verkraften sind.
Mit großer medialer Reichweite werfen Kritiker*innen der Ampel-Koalition vor, das Bürgergeld derart großzügig bemessen zu haben, dass Geringverdienende nicht mehr arbeiten gehen würden, wenn es realisiert sei. Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, behauptete in der „Rheinischen Post“, das Bürgergeld mache für mehr Menschen das Nichtstun lohnender als das Arbeiten: „Es sorgt für Demotivation bei denjenigen, die mit einem geringen Gehalt regulär arbeiten. Am unteren Ende verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen regulärer Arbeit und dem Bürgergeld.“[3] Dass dies gerade wegen der gegenwärtigen Energiepreisexplosion und der Inflation eher für die Erhöhung von Löhnen als für eine Beibehaltung (zu) niedriger Transferleistungen des Staates spricht, kam dem Unternehmer und CDU-Politiker Wollseifer nicht in den Sinn.
Gern wird auch behauptet, das Bürgergeld gleiche einem bedingungslosen Grundeinkommen. Hugo Müller-Vogg, früher Mitherausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sprach denn auch von einem „Grundeinkommen light“, weil es während einer sechsmonatigen „Vertrauenszeit“ weitgehend sanktionsfrei bleiben soll.[4] Auch die beiden Soziologen Rolf G. Heinze und Jürgen Schupp missverstehen die Maßnahmen der Bundesregierung als schleichende Transformation einer beitragsfinanzierten Lebensstandardabsicherung zum Grundsicherungsstaat mit einer universalistischen Sozialintegration.[5] Dabei handelt es sich gerade nicht um eine dauerhaft „bedingungsarme Grundsicherung“ für alle, sondern eher um Hartz IV light für ausgewählte Personengruppen.
Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen hat das Bürgergeld allerdings gar nichts gemein, denn trotz seines irreführenden Namens bekommt es weder jeder Bürger oder jede Bürgerin, noch wird es an die Leistungsberechtigten ohne Bedingungen ausgezahlt. Vielmehr sind erstens nur Erwerbsfähige anspruchsberechtigt, die ein so geringes Einkommen haben, dass man davon nicht in Würde leben kann. Um das Bürgergeld zu erhalten, müssen sie zweitens jeden ihnen offerierten Job annehmen, auch wenn er weder nach Tarif noch ortsüblich entlohnt wird. Von einem bedingungslosen Grundeinkommen könnte nur dann die Rede sein, wenn keine Bedürftigkeit vorliegen müsste sowie „Wahlfreiheit“ zwischen Erwerbsarbeit und Leistungsbezug existierte.[6]
Unvollständige Beispielrechnungen
„Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der arbeiten kann und es nicht tut“, betonte auch Mario Czaja, Generalsekretär der CDU, im Berliner „Tagesspiegel“ mit Blick auf das Bürgergeld.[7] Hiermit drückte Czaja einen gesellschaftlichen Grundkonsens im Sinne der Leistungsgerechtigkeit aus. Allerdings garantiert der im Bürgergeld gegenüber Hartz IV sogar leicht erhöhte Erwerbstätigenfreibetrag, dass dies ausnahmslos der Fall ist – vorausgesetzt natürlich, dass alle Geringverdienenden davon Kenntnis bekommen und die ihnen zustehenden Leistungen wie Kindergeld, Kinderzuschlag, Unterhaltsvorschuss, Wohngeld oder ergänzendes Bürgergeld auch in Anspruch nehmen. Zudem steigt durch den seit dem 1. Oktober auf 12 Euro brutto pro Stunde angehobenen Mindestlohn das Lohnniveau vornehmlich im niedrigsten Segment, wodurch sich der Abstand zu den Transferleistungen weiter erhöht. Doch das wird von der lautstarken Kritik am Bürgergeld geflissentlich unterschlagen: Fast immer präsentieren die Kritiker*innen Beispielrechnungen, die staatliche Leistungen für Geringverdienende komplett unterschlagen. So präsentiert etwa die „Bild“ folgenden schiefen Vergleich: Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern zwischen 6 und 13 Jahren erwarte ein Bürgergeld in Höhe von 1598 Euro im Monat, während einem verheirateten und sozialversicherungspflichtig beschäftigten Berliner Maler mit zwei Kindern bestenfalls 1967,12 Euro netto blieben. Weil dieser davon im Unterschied zu den Bürgergeldbeziehenden noch Miete und Heizkosten tragen müsse, lohne sich für ihn das Aufstehen künftig nicht mehr, so die „Bild“.[8] Allerdings blieben Sozialleistungen für die Familie des Malers – wie Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld – in dieser Rechnung außen vor.
Weitere Republikaner der jüngeren Weltgeschichte als Vorbilder
Die Kritiker*innen des Bürgergeldes stützten sich insbesondere auf eine Studie des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Denis Haak und Ulrich Schmidt glaubten ermittelt zu haben, „dass das Bürgergeld bei sehr vielen Haushaltskonstellationen deutlich attraktiver ist, als wenn ein Alleinverdiener eine Vollzeitstelle zum Mindestlohn annimmt“.[9] Die von den Autoren bemängelte Verletzung des sogenannten Lohnabstandsgebots ist allerdings irrelevant: Diese vormalige sozialrechtliche Norm, nach der Transferleistungen für Paare mit drei Kindern niedriger sein müssen als das durchschnittliche Nettoeinkommen eines entsprechenden Haushalts mit einem Alleinverdienenden in einer unteren Lohn- bzw. Gehaltsgruppe, gilt bereits seit 2011 nicht mehr. Vielmehr soll die „Grundsicherung“ die physische Existenz und die gesellschaftliche Teilhabe sichern – wovon sie seit ihrer Einführung allerdings weit entfernt ist.
Die vom IfW vorgelegte Untersuchung wies zudem so gravierende methodische Fehler auf, dass das Institut sie von seiner Homepage nehmen und überarbeiten ließ. So hatten die Autoren Kinder- und Wohngeld unzureichend sowie Kinderzuschlag und Bürgergeld als Lohnergänzungsleistung für Geringverdienende gar nicht berücksichtigt. Selbst unter den schlechteren Rahmenbedingungen von Hartz IV nahmen zuletzt 820 000 Leistungsbeziehende das Arbeitslosengeld II als sogenannte Aufstocker*innen in Anspruch. Als der Mindestlohn noch nicht existierte bzw. erheblich niedriger als heute war, lag deren Anzahl sogar deutlich über einer Million. Gibt es ein schlagenderes Argument gegen das verbreitete Ressentiment, dass Transferleistungsbeziehende „arbeitsscheu“, „Drückeberger“ oder „Faulenzer“ seien?
Quelle : Blätter-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Friedrich Merz, Rechtsanwalt, Lobbyist und Politiker der CDU am 17. Januar 2020 auf einer CSU-Veranstaltung in München. Titel des Werks: „Friedrich Merz (CDU) im Januar 2020“
Michael Lucan-Eigene Arbeit
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- Datei:2020.01.17 Friederich Merz 3782.jpg
- Erstellt: 17. Januar 2020
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Unten — Trump vs Kim
Matt Brownaus London, England-Trump vs Kim
- CC BY 2.0
- Datei:Trump vs Kim (43730413891).jpg
- Erstellt: 20. Juli 2018
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