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Merkel zum Vierten

Erstellt von DL-Redaktion am Montag 9. Oktober 2017

Die Republik am Scheideweg

von Albrecht von Lucke

Das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 ist ein historisches – in einem historischen Jahr. Der 50. Todestag Konrad Adenauers am 19. April, der Tod Helmut Kohls am 16. Juni und am kommenden 8. Oktober der 25. Todestag Willy Brandts: In diesem Jahr verdichtete sich noch einmal die Geschichte der Bonner Republik. Gleichzeitig schreibt dieses Jahr nun seinerseits Geschichte, denn es steht für das Ende der Republik, wie wir sie kennen. Der alte Satz, Bonn (oder Berlin) ist nicht Weimar, klingt heute nicht mehr so überzeugend wie zuvor. Seit diesem 24. September sind wir Weimarer Verhältnissen ein Stück nähergerückt.

Mit ihrem vierten Wahlsieg ist Angela Merkel, die „geschiedene Frau aus dem Osten“ (Edmund Stoiber), endgültig in der Adenauer- und Kohl-Liga angekommen – und das, so das Einzigartige dieser Karriere, alles ohne westliche Hausmacht. Für die zwölf Jahre unter wechselnden Merkel-Regierungen zahlt die Republik allerdings einen hohen Preis.

Dafür steht vor allem eine Zahl: 53,5 Prozent – das Wahlergebnis der gesamten Großen Koalition. Es ist Ausdruck eines fundamentalen Niedergangs der Volkspartei als Modell. Zur Erinnerung: Adenauer, aber auch Kohl erzielten annähernd gleiche Ergebnisse, allerdings alleine für die Union. Gestartet 2005 bei gut 70 Prozent ist Schwarz-Rot nach zwei Legislaturperioden unter Angela Merkel (unterbrochen von Schwarz-Gelb) keine „GroKo“ mehr, sondern nur noch die letzte verbliebene Zweier-Koalition der Republik. Merkel hat in ganz erstaunlicher Weise ihre bisherigen Koalitionspartner kannibalisiert, bei allerdings jeweils immensem eigenen Zutun von FDP und SPD. Das fundamental Neue dieser Wahl: Nun ist auch die Union im Kern angegriffen, ihre 33 Prozent stehen für das schwächste Unions-Ergebnis seit 1953. Beide Volksparteien sind somit massiv angeschlagen. Gerade auf deren Stärke aber basierte die erstaunliche Stabilität der Bundesrepublik.

Von Beginn an machten die Parteien der rechten und der linken Mitte, Union und SPD, die Regierungen unter sich aus. Und im Zentrum des Parlaments, als Funktionspartei für die jeweilige Mehrheitsbildung, saßen erst die Liberalen und ab 1983 auch die Grünen. Doch wie die klassische Lagerkonstellation, hier das bürgerliche, dort das linke Lager, sind nun auch die kleinen Koalitionen Geschichte. Wie über Schwarz-Gelb ist die Zeit auch über Schwarz-Grün hinweggegangen, ohne dass dieses Bündnis je im Bund erprobt worden wäre. Heute ist die SPD die letzte verbliebene Funktionspartei. Doch mit ihrem angekündigten Rückzug aus der „Großen Koalition“ scheidet auch diese Option aus. Damit aber ist die Republik, wie bereits jetzt die heillosen Jamaika-Debatten zeigen, zwar nicht gleich unregierbar geworden (um einen Kampfbegriff aus den im Nachhinein fast idyllischen 1970er Jahre aufzunehmen),[1] aber doch erheblich schwerer regierbar. Erstmalig verfügt die Republik über ein Sieben-Parteien-Parlament (in sechs Fraktionen), das ob der Absage der SPD keine Zweier-Koalition mehr möglich macht. Das aber heißt, so die Ironie der Geschichte, dass die „Keine Experimente“-Kanzlerin Angela Merkel jetzt mit dem Gegenteil konfrontiert ist: „Mehr Experimente“ sind zwingend geboten.

Die Geburtshelferin der AfD

Merkels „Sieg“ trägt zudem einen schweren Makel: Mit der AfD ist eine neue, starke Rechtspartei in den Bundestag eingezogen. Damit geht die rechte Volkspartei den Weg der linken: Seit der Entstehung der WASG und der Gründung der Linkspartei 2005 ist die alte bundesrepublikanische Linke gespalten und faktisch regierungsunfähig. Merkels Fundamentalliberalisierung der Union hat den Platz auf der Rechten weit geöffnet. Auf diese Weise hat die Kanzlerin zugelassen, was alle ihre Vorgänger zu verhindern wussten. Konrad Adenauer gelang es schon in seinen ersten Amtszeiten, die rechten Splitterparteien in die Union zu überführen und damit erst die Voraussetzung für seine absolute Mehrheit 1957 zu schaffen. Adenauers Nachfolger, von Ludwig Erhard bis Helmut Kohl, hielten die nationalistische Rechte ebenfalls klein, obwohl die NPD 1969, nach der ersten großen Koalition unter Kurt-Georg Kiesinger und Willy Brandt, den Bundestagseinzug beinahe geschafft hätte.

Erst mit Angela Merkel ist die Alleinvertretung des rechten Parteispektrums durch die Union zu Ende. Mit der AfD zieht erstmals eine in Teilen offen rechtsradikale Partei in den Bundestag ein – allen Provokationen der Höckes und Gaulands zum Trotz. Oder vielleicht schlimmer noch: vielleicht gerade wegen ihnen. Da die Wählerinnen und, weit überwiegend, Wähler sich auch diesmal nicht haben abschrecken lassen, hat die AfD den Beweis erbracht, dass eine in Teilen antisemitische Partei heute wieder salonfähig ist.

Wie sehr dies den Diskurs radikalisieren wird, haben die letzten Jahre gezeigt. Die bloße Angst vor einer künftigen AfD-Fraktion hat die CSU zu einer Imitation der AfD-Rhetorik („Herrschaft des Unrechts“) wie der AfD-Politik (Obergrenze) veranlasst. Mit fatalen Konsequenzen, wie vor allem im Osten, aber auch in Bayern zu besichtigen ist, wo die AfD ihr bestes Ergebnis in einem West-Bundesland erreicht hat. Dennoch steht zu befürchten, dass die CSU mit Blick auf die bayerischen Landtagswahlen 2018 die Dosis ihrer grundfalschen Medizin eher noch erhöhen wird, anstatt diese endlich abzusetzen.

Mit der AfD, die aus Prinzip nicht koalitionswillig ist, zieht zugleich eine radikale Systemkritik in ein hochgradig destabilisiertes Parlament ein. Ihr erklärtes Ziel: die absolute Macht zu erlangen, um dann, ganz im Jargon der konservativen Revolution, die Quatschbude „auszumisten“ (Markus Frohnmaier, AfD-MdB). Hier aber liegt auch der kategoriale Unterschied zwischen AfD und Linkspartei: Die AfD setzt auf die radikale Verunglimpfung aller Eliten und „des Systems“. Die Linkspartei ist durchaus systemkritisch, aber grundsätzlich koalitionsbereit.

Im Bundestag dürfte die AfD zukünftig eine Doppelstrategie fahren: Speziell der Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland wird sich staatstragend geben, aber gleichzeitig den Tabubruch weiter perfektionieren, um die radikalen Kräfte zu befriedigen. Mit dem Abgang von Frauke Petry aus Fraktion und Partei ist es bereits zu einem ersten „Reinigungsprozess“ gekommen, weitere Abspaltungen dürften in diesem „gärigen Haufen“ (Gauland) zwangsläufig folgen.

Diese neue Rechte steht für eine gewaltige Polarisierung der Gesellschaft. Hingegen ist es die zentrale Aufgabe der Politik, eine handlungsfähige Regierung zu schmieden. Wer damit fatalerweise überhaupt „nichts zu tun“ hat, ist die deutsche Linke. Fundamental geschwächt, ist sie – als Formation mehr noch als Partei – der vielleicht größte Verlierer dieser Bundestagswahl. Mit dem 24. September hat sich die von Willy Brandt beschworene „Mehrheit jenseits der Union“ bis auf Weiteres erledigt. Durch den Einzug von AfD und FDP in den Bundestag ist die gesamte Republik massiv nach rechts gerutscht; die rechnerische Chance für rot-rot-grüne Bündnisse ist damit auf unabsehbare Zeit perdu.

Die Linke im Aus

Quelle   :    Blätter      >>>>>     weiterlesen

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Grafikquelle    :   https://twitter.com/Smiley007de

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