Mehr Sonne für IG Metaller
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 30. Januar 2018
Ohne Muße keine Freiheit
Von Rudolf Walther
Die IG Metall hat mit ihrer Forderung nach Arbeitszeitverkürzung eine längst fällige Diskussion über Arbeits- und Lebenszeit im Neoliberalismus angestoßen.
Im derzeitigen konformistischen liberal-neoliberalen Politklima wird Tarifrunden der Charakter von Ritualen zugeschrieben und Gewerkschaften der Charme von Dinosauriern und Reliquien. Derlei Kurzschlüsse aber straft die IG Metall mit ihrer jüngsten Tarifforderung als dem Ressentiment geschuldeten Bieder- und Stumpfsinn ab.
Gestützt auf die glänzende Ertragslage in der Metall- und Elektroindustrie fordert die IG Metall sechs Prozent mehr Lohn. Das ist traditionelle Gewerkschaftspolitik. Aber eine zweite Forderung ist von ganz anderem Kaliber und weist weit über traditionelle Politik hinaus.
Eine Umfrage, an der sich über 600.000 Metallarbeiter beteiligten, ergab, dass 57 Prozent der Befragten länger arbeiten (müssen) als die 35 Stunden, die der geltende Tarifvertrag vorsieht. Und 82 Prozent wünschen, ihre Arbeitszeit vorübergehend zu verkürzen. Jörg Hofmann, der Erste Vorsitzende, und die Führung der IG Metall lesen dieses eindeutige Votum mit Recht als „Wunsch nach mehr Selbstbestimmung“ bei der Arbeitszeit, um diese dem „Leben“ anzupassen.
Die Gewerkschaft fordert für alle Beschäftigten, die Arbeitszeit ohne Begründungszwang auf bis zu 28 Stunden pro Woche zu reduzieren. Nach zwei Jahren sollen die Beschäftigten den Anspruch haben, wieder Vollzeit arbeiten zu können. Dieselbe Regelung soll auch für Schichtarbeitende und Beschäftigte in gesundheitlich besonders belastenden Jobs gelten. Für Beschäftigte mit Kindern unter 14 Jahren soll es monatliche Ausgleichszahlungen von 200 Euro geben, für Schichtarbeiter 750 Euro pro Jahr für den Minderverdienst.
Noch vor Beginn der Verhandlungen warnte die FAZ am 27. Oktober 2017 die IG Metall vor dem Schritt auf „gefährliches Terrain“ und erinnerte an die Kosten des zwanzig Jahre dauernden Kampfes zur Durchsetzung der 35-Stundenwoche und den 2003 nach sechs Wochen abgebrochenen Streik, um diese Wochenarbeitszeitverkürzung auch im Osten des Landes zu erkämpfen, wo bis heute 38 Stunden pro Woche gearbeitet werden.
Die „Freiheit“ der Unternehmen, die Arbeitszeit nach Auftrags- und Konjunkturlage – in bestimmtem Rahmen – flexibel zu handhaben, ist eine heilige Kuh der kapitalistischen Marktwirtschaft und die „Zeitsouveränität“ des „freien“ Lohnarbeiters ein rotes Tuch für den Marktradikalismus: „Es passt nicht zu den Gegebenheiten und Anforderungen unserer Zeit, immer weniger zu arbeiten, aber womöglich noch immer besser leben und mehr Wohlstand erreichen, ja sogar erzwingen zu wollen. (…) Es stünde uns viel besser an, einmal ernsthaft die Frage zu prüfen, ob das deutsche Volk nicht bereit sein sollte, anstatt die 45-Stunden-Woche noch zu unterschreiten, wieder eine Stunde mehr zu arbeiten.“ Dies predigte der „Vater des Wirtschaftswunders“ und damalige Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard am 13. Januar 1953.
Luitwin Mallmann, Geschäftsführer eines Arbeitgeberverbandes in NRW, meint 65 Jahre später immer noch, „Arbeitszeitverkürzungen“ bedrohten die „weltweit anerkannte Lieferverlässlichkeit“ der deutschen Industrie. Hinter so kapitaler Logik und durchsichtigen Interessen müssen elementare Vorstellungen von Autonomie und Freiheit des Individuums, wie sie zur Zeit der Aufklärung formuliert wurden und mittlerweile verfassungsrechtlich und menschenrechtlich garantiert sind, natürlich zurücktreten.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Ansteckbutton „35-Stunden-Woche“ der IG Metall aus der Tarifauseinandersetzung um eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Das Logo wurde vom Frankfurter Grafiker Wilhelm Zimmermann geschaffen.
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Unten –– Jörg Hofmann im Gespräch mit Beschäftigten bei FORD in Köln, Mai 2015