Mehr Mut, Genossen
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 24. Juni 2017
Die Schulz – SPD hat viel getan, um die zufriedene
Mitte und Lobbyverbände nicht zu verschrecken.
Doch ihrem Steuerkonzept fehlt etwas Entscheidendes
Autor Stefan Reinecke
erlin, Juni, SPD-Wirtschaftsforum. Bosse und Genossen sollen hier vernetzt werden. Die Herren tragen dunkle Anzüge, die Damen Kostüm. Der Chef des Arbeitergeberverbandes BDI, Dieter Kempf, will schnelles Internet und warnt vor zu hohen Kosten für Umweltschutz. Organisator des Events in der hippen Humboldt-Box in Berlin-Mitte ist Michael Frenzel, ein distinguierter älterer Herr, SPD-Mitglied, früher Chef des Reisekonzerns TUI. Er sorgt sich um die „Wettbewerbsfähigkeit des Standort Deutschland“, ein angesichts des gigantischen Exportüberschusses recht luxushaftes Bedenken. Frenzel warnt vor der Linkspartei. „Umverteilung“, sagt der Gründer des Wirtschaftsforums, „ist ja immer mit Neid verbunden.“ Das Wort Gerechtigkeit fällt hier nur in Verknüpfung mit „Leistung“. Viel anders klingt das beim Wirtschaftsrat der CDU auch nicht.
Es gibt nicht nur, wie schon oft bemerkt wurde, eine Sozialdemokratisierung der Merkel-CDU, sondern auch eine Christdemokratisierung der SPD. Viele Sozialdemokraten haben an der Politik der Großen Koalition wenig auszusetzen, hadern aber mit der Rolle als ewiger Juniorpartner. Und so rät Frenzel Martin Schulz zur Koalition mit Cem Özdemir und Christian Lindner.
Schulz sitzt in der ersten Reihe und verzieht bei diesem Rat keine Miene. Koalitionsdebatten stehen auf der Minusseite seiner ersten fünf Monate als SPD-Kanzlerkandidat. Erst liebäugeln mit Rot-Rot-Grün, dann nach der Saarland-Wahl ein hektischer, wirrer Schwenk zur Ampel. Danach fragten sich in der Partei manche, wie man Korrekturen an der Agenda 2010 ausgerechnet mit der FDP durchsetzen will.
Schulz eilt ans Rednerpult, wirft einen knappen Blick auf sein Manuskript und sagt: „Diese Rede halte ich jetzt nicht. Ich werde spontane Anmerkungen machen.“ Dann folgt der große Schulz-Bogen, von Trump zur steuerlichen Absetzbarkeit von Forschung für Unternehmen, von Europa über China bis zur Digitalisierung. Schulz vibriert vor Dringlichkeit, ballt die Faust, wenn es den Freihandel zu loben gilt, hebt den Zeigefinger, wenn er den Exportüberschuss Deutschlands verteidigt oder kostenfreie Kitas fordert. Ein halbes Dutzend Mal entdeckt er „Gemeinsamkeiten“ mit dem BDI-Chef, dem er „dankbar ist, dass er auf die Struktur der Gewerbesteuer hingewiesen“ hat.
Keine Hysterie
Ein paar Tage später setzt Schulz die Charmeoffensive in Richtung Wirtschaft beim BDI-Kongress fort. Mit Erfolg. Jedenfalls sieht es so aus. Die Reaktion der Eliten auf das Steuer- und Rentenkonzept der SPD ist verhalten. Das übliche Genörgel von Verbänden. Aber keine Deutschland-geht-unter-Hysterie.
Wie würde die Republik aussehen, wenn die SPD ihre Ideen ein zu eins umsetzen würde? Superreiche würde etwas mehr Steuern zahlen, Normalverdiener etwas weniger. Die Löhne würde ein wenig steigen, die Kitas wären kostenlos, die Bundeswehr bekäme etwas mehr Geld. Die kräftigste Umverteilung versteckt sich hinter dem sperrigen Begriff „Paritätische Finanzierung des Gesundheitssystems“. Die wurde mit SPD-Beteiligung abgeschafft. Seitdem zahlen Arbeitnehmer mehr, Arbeitgeber weniger. Das zu korrigieren würde die Unternehmer laut Berechnungen des DGB sieben Milliarden im Jahr kosten. Arbeitslosengeld Q, Familiengeld und Familienarbeitszeit, Parität bei der Gesundheit, all das summiert sich zu einem etwas angenehmeren Alltag für Durchschnittsdeutsche. Aber das Meiste klingt kompliziert, kleinteilig, technokratisch.
In der EU würde Deutschland unter Kanzler Schulz weiter vom Euro profitieren, ohne per Eurobonds andere Staaten zu stabilisieren. Schulz kündigt zwar Investitionen in der EU an – aber in welchem Umfang, ist unklar. Sie wären wohl, wie alles in diesem Programm: ein bisschen halt. Martin Schulz redet über Europa, das einzige Thema, bei dem er sich wirklich auskennt, seltsam blass. Sogar Wolfgang Schäuble, Lieblingsfeind der Linken in Europa, befand kürzlich, dass der deutsche Exportüberschuss um 50 Prozent zu hoch sei – Schulz feiert Exportüberschüsse unverdrossen als Lohn für deutschen Fleiß. „Er ist aus Brüssel die große Koalition mit Juncker gewohnt“, sagt ein Genosse ratlos.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquelle : Lebensqualität Stabile Preise Neue Demokratie Vollbeschäftigung … … (nicht) über den Tag hinaus „Die SPD verspricht die Zukunft – versagt in der Gegenwart- und entschuldigt sich mit der Vergangenheit -!“
Abbildung:
Füllhorn – Brandt reitet auf Schmidt als müdem Gaul, der auf einem Aktenordner hängen bleibt, beobachtet von Marx, Wehner und Kluncker (Karikatur)
KAS/ACDP 10-028 : 8 CC-BY-SA 3.0 DE