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Medien und ihr Publikum

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 13. November 2019

Leser*innen-Beschimpfung

Kolumne Schlagloch von Georg Seeßlen

Autorinnen und Autoren müssen es sich gefallen lassen, für ihre Arbeit von Leserinnen und Lesern beleidigt, geschmäht und denunziert zu werden, mit Kritik und Debatte hat das meistens nicht mehr viel zu tun. Ist nun mal so, Empfindlichkeit gehört nicht zum Berufsbild. Aber es ist doch nur fair, dass man auch mal zurückschimpft, oder?

Kritik gehört zum Geschäft, klar. Warum aber dürfen nur Leserinnen und Leser schimpfen? Also wird heute einmal zurückgegeben.

Oh ihr verschnarchten Hysteriker, ihr neunmalklugen Besserwisser, ihr postcalvinistischen, neospießigen, nicht so geheimen Agenten der Gedankenpolizei, ihr arroganten Besitzer der reinen Wahrheit, die ihr mit nicht weniger als Delegitamation und Abo-Kündigungen droht, wenn jemand nicht genau das schreibt, was ihr schon immer gewusst habt. Ihr glaubt, ihr könnt Autorinnen und Autoren nach Herzenslust beschimpfen und müsst dabei vor keiner persönlichen Beleidigung zurückschrecken, denn die dürfen ja nicht zurückschimpfen und -beleidigen, weil sie eure Deppen und Sklaven sind, an denen ihr eure Neurosen und Minderwertigkeitskomplexe ausleben könnt.

So mies bezahlt, wie die sind, sollen sie ja nicht aufmucken gegen die Kundschaft, die haben will, was sie verlangt. Dorthin denken, wo wir nicht schon unseren Sprach- und Sprechregler aufgestellt haben, ist ebenso verboten wie jede Form der Kritik, die auf uns selber zurückfallen könnte: Das verbittet ihr euch so energisch, dass man eure verbale Diarrhö kaum noch von den rechten Trollen und neoliberalen Hipstern unterscheiden kann, die sich in euren Foren herumtreiben. In diesen Foren, wo man stets den Eindruck hat, als stimme etwas prinzipiell mit der Beziehung zwischen einem Medium und seinen Adressaten nicht. Ihr muffigen Zerstörer der Aufklärungslust.

Ihr Analphabeten, Astrologen, artenreiche Angeber! Ihr weitgereisten Flugschämer, besserverdienenden Alltagshelden, die für jede ökologische und soziale Selbstverständlichkeit einen Moral­orden haben wollt und die ihr, wenn es gerade nicht über einen Autor oder eine Autorin herzuziehen gilt, übereinander herfallt, als sei die Zeitungs- und Magazinlektüre eigentlich nur als Trigger für Empörung und Denunziation im Leserforum gedacht. Wie Vattern, der sich einen Fernsehapparat anschaffte, damit er was hat, worüber er sich aufregen kann. Was habt ihr aus einer urdemokratischen Idee der offenen Debatten gemacht?

Homöopathen der Diskurse …

Wie gekonnt habt ihr verhindert, dass Leserinnen und Leser und Autoren und Autorinnen eine gemeinsame, widerständige, kritische und kreative Kultur erzeugen, eine Basis der demokratischen Zivilgesellschaft vielleicht. Ihr, die ihr Obstruktionismus mit Streitlust verwechselt und Zensurenverteilen (Thema verfehlt! Setzen, Sechs!) mit Dialog. Ihr, die ihr eure politische Ungenauigkeit hinter moralischer Gewissheit verstecken wollt, die keinen Gedanken weiterdenken, sondern immer nur zurückschrauben könnt aufs behagliche Maß in euren geschmackvoll gentrifizierten Kiezen.

Die Toten Kommen ZPS Beerdigung 1.jpg

Ihr Homöopathen der Diskurse, Bücherschrankbesitzer, ihr Schwerst­-Realisten, die ihr am liebsten hättet, dass alles so bleibt, wie es ist, nur ohne Nazis und ohne Klimakatastrophe! Ihr aufgeblasenen Kenn-ichs, Weiß-ichs, War-ich-schons! Ihr eifernden Narzissten, die eines sicher wissen, nämlich dass sie alles besser könnten, wenn man sie nur lassen würde.

Quelle       :         TAZ          >>>>>          weiterlesen

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Grafikquelle        :

Oben           —       gefüllte Sprechblasen    –Ausschnitt aus dem Comic Little Nemo

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