Mappus‘ Manipulationen
Erstellt von DL-Redaktion am Samstag 20. August 2022
StaMi-Akten zu Stuttgart 21
Ganz genau so geht die Politik der Specknacken !
Von Johanna Henkel-Waidhofer und Oliver Stenze
Erst jetzt eingesehene Dokumente zur S-21-Schlichtung und zum ersten Untersuchungsausschuss zum „Schwarzen Donnerstag“ belegen, wie manipulativ die Regierung Mappus Ende 2010 vorgegangen war. Die grüngeführten Regierungen ab 2011 hätten für Aufklärung bei den massiven Täuschungen und Tricksereien sorgen können. Stattdessen führte ihre Blockade zur strafrechtlichen Verjährung.
Winfried Kretschmann wollte 2011, als neuer grüner Regierungschef in Baden-Württemberg, nicht das letzte Hemd hergeben, um Stuttgart 21 zu verhindern. Hätte er aber auch gar nicht müssen, wie jetzt nach langem Rechtsstreit freigegebene Akten aus CDU-Zeiten zeigen: Zuerst tricksten mit allen Mitteln die Projektfans im Staatsministerium seines Vorgängers Stefan Mappus, dann kamen die Grünen und deckten zu viele der Machenschaften.
Einen einzigen Ordner zu suchen und zu finden hätte gereicht. Jetzt wurden Dieter Reicherter Unterlagen, einmal 133 und einmal fünf Seiten, fortlaufend paginiert, im Staatsministerium in der Villa Reitzenstein vorgelegt. Der frühere Richter am Landgericht bekam in den ersten Augusttagen nicht zum ersten Mal Akteneinsicht, diesmal aber auch in Papiere, die er bereits Ende 2012 sehen wollte, und für deren Veröffentlichung er seit 2014 vor Gericht stritt. Die aber wollte das grüngeführte Staatsministerium über vier Instanzen bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhindern, die Deutsche Bahn dabei immer mit im Boot. Letztlich erfolglos.
Reicherter und sein Team kämpfen für viele Betroffene des „Schwarzen Donnerstags“, des brutalen Polizeieinsatzes gegen S-21-Gegner am 30. September 2010. Und dafür, dass belegt werden kann, was schon immer plausibel schien: Die Regierung Mappus hat nicht nur auf den Polizeieinsatz Einfluss genommen, sondern auch auf dessen Aufarbeitung in einem Untersuchungsausschuss, bei dem der MP zwei Tage vor Weihnachten 2010 als Zeuge geladen war. Dort wollten Mappus‘ Berater:innen nichts anbrennen lassen, ebenso wenig bei Heiner Geißlers S-21-Faktencheck, der sogenannten Schlichtung.
Drehbücher à la Hollywood
Den einen, den größeren Teil der nun eingesehenen Akten bezeichnet Reicherter als „Drehbücher à la Hollywood“ für den ersten parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz, der zweite befasst sich mit der Schlichtung.
Für den Untersuchungsausschuss, das zeigen die Dokumente, hat sich Mappus offenbar ungeniert auf Basis der Aussagen schon gehörter Zeug:innen präparieren lassen. Viele Aussagen zum Ablauf der Besprechung am Vorabend des Polizeieinsatzes waren darauf angelegt, die Rolle des Regierungschefs herunterzuspielen. Auf Seite 34 in der Aufstellung vieler Vermerke, Notizen, Faxe oder Vorschläge heißt es fett gedruckt: „(Hinweis für MP: Ihr in der Sitzung gemachtes Angebot, ggf. selbst mit verschiedenen MPs zu sprechen, um zusätzliche Kräfte aus anderen Ländern zu gewinnen, wurde bislang von keinem Zeugen der Besprechung thematisiert).“ Mappus beteuerte aber im Zeugenstand, operativ nichts mit dem Einsatz zu tun gehabt zu haben. Das Dokument belegt also, dass er vor dem parlamentarischen Gremium der Verpflichtung nicht nachgekommen ist, wahrheitsgemäß auszusagen und nicht Relevantes wegzulassen.
Und hier kommt nun die ab Mai 2011 grüngeführte Regierung ins Spiel. Bis 2015 hätte Kretschmanns Vorgänger möglicherweise wegen uneidlicher Falschaussage strafrechtlich belangt werden können – hätte das Staatsministerium die Akten nicht bis zuletzt gemauert. Doch nun ist die Sache verjährt.
Ins Spiel kommen die Grünen auch in ganz besonderer Weise bei der Schlichtung. Alles sollte auf den Tisch, das war die Devise von Heiner Geißler, und alle sollten an den Tisch. Auch der heutige Ministerpräsident. Aus den jetzt eingesehenen Akten geht aber hervor, dass und wie im Herbst 2010 in der Zentrale der CDU/FDP-Landesregierung völlig ungeniert strategische und taktische Überlegungen angestellt wurden, den Beratungen im Stuttgarter Rathaus längst bekannte Verbesserungsvorschläge als neue Ideen unterzujubeln.
„Nachsteuern im Windschatten des Schlichterspruchs“
Deren Notwendigkeit war nach außen immer geleugnet, intern aber schon eingeräumt worden bei diskreten Gesprächen zwischen Bahn und Projektträgern. „Das S-21-Konzept hat in Einzelpunkten Eng- und Schwachstellen (z.B. 2. Gleis Flughafen, Rohrer und Wendlinger Kurve)“, heißt es wörtlich in einer vertraulichen Notiz vom 10. November 2010, „bei denen ein Nachsteuern ‚im Windschatten‘ des Schlichterspruchs vorteilhaft sein könnte.“
In einer zweiten Aktennotiz 13 Tage später wird das weitere Vorgehen orchestriert. Offensichtlich beerdigt werden mussten die Versuche, den Schlichterspruch heimlich und allein zwischen Befürwortern und Geißler „vorab“ abzustimmen. O-Ton: „Dr. Geißler legt Wert auf seine Unabhängigkeit. Deshalb gibt es auf Arbeitsebene keine Möglichkeit, das Schlichtungsergebnis unmittelbar zu beeinflussen.“ So wurden höhere Ebenen angepeilt. Etwa ein Forschungsprojekt „Große Infrastrukturvorhaben“, das an den Politikprofessor Frank Brettschneider von der Uni Hohenheim vergeben werden könnte. Oder eine Enquête-Kommission, die zur gesellschaftlichen Partizipation an politischen Entscheidungen arbeiten könnte, wenn auch erst „in der kommenden Legislaturperiode“.
In der jedoch regierten die Grünen zusammen mit den Sozialdemokraten und dem großen Versprechen von einem substanziellen Neuanfang („Der Wechsel beginnt“). Kretschmann zog in die Villa Reitzenstein ein und mit ihm das Ziel, der Bürgerschaft auf Augenhöhe zu begegnen. Also hätte er alles daran setzen müssen, die dunklen Aktenecken auszuleuchten.
Wer sich nie in politischen Posten einkaufte – grunzte auch nicht mit den Schweinen.
Zwar war der grüne MP Projektbefürworter:innen aus der SPD in die Falle gegangen und hatte sich mit dem Sozialdemokraten Peter Friedrich als Minister im Staatsministerium einen Aufpasser im eigenen Haus zur Seite stellen lassen. Auch die neue graue Eminenz in der Villa Reitzenstein, der Amtschef Peter Murawski, hatte sich nicht eben als Stuttgart-21-Kritiker und vor allem -Kenner hervorgetan. Aber Kretschmann wusste wie viele andere führende Grüne seit Jahren um die diversen Defizite des Tiefbahnhofs – und wusste deshalb sicher, wo er hätte suchen lassen können.
Frühere Akteneinsicht hätte Aus für S 21 sein können
Quelle : KONTEXT-Wochenzeitung >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Stefan Mappus (* 4. April 1966), 2010 – 2011 Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg
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Unten — Winfried Kretschmann u. Winfried Aßfalg bei der Verleihung des Verdienstordens des Landes Baden-Württemberg am 23. April 2016 (seit 2016 in Form eines stilisierten Kreuzes)