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Macht+Gewalt=Demokratie

Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 28. Februar 2018

Das ‚Politische‘ und die Gewaltfrage

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Quelle :  Scharf – Links

Von systemcrash

Ein facebook-Freund schrieb im Zusammenhang mit den Ereignissen um die Essener Tafel:

„Meinungsverschiedenheiten lassen sich ausdiskutieren oder man ignoriert sich eben. Nur die Zerstörung des anderen zu wollen zeugt eben von der Unfähigkeit zum Diskurs.“

Meine ad hoc-Antwort:

„Ja, Diskurs und Gewalt schliessen sich aus. Aber auch ‚Gewalt‘ ist ein Mittel in der Politik. Ob Gewalt selbst auch ‚politisch‘ ist, diese Frage wäre es wert, ernsthaft diskutiert zu werden.“

Hinterher fiel mir dann auf, dass meine Antwort zumindest  unvollständig ist. Ich habe den Begriff „Diskurs“ umgangssprachlich im Sinne von Auseinandersetzung oder Diskussion verwendet. Bei Michel Foucault hat der Begriff aber eine klare Beziehung zu Machtverhältnissen:

„Der Poststrukturalist Michel Foucault untersuchte den Wandel der Denksysteme und welche Rolle Macht dabei spielt. Als Diskurs bezeichnet er den Vorgang der Herausbildung jener Wahrheiten, „in denen wir uns unser Sein zu denken geben“. Was jeweils als „vernünftig“ gilt, etabliert sich aus „unpersönlichen und kontingenten Machtwirkungen“.“

Wenn aber Diskurse selbst schon Ausdruck von Machtbeziehungen sind, dann kann man den Begriff nicht ‚wertneutral‘ als anderen Ausdruck ’nur‘ für eine politische Debatte verwenden. Dann geht es in diesen Debatten um einen Streit oder (ideologischen) Kampf, der letztlich auf gesellschaftliche Hegemonie verweist. Und Hegemonie verweist wiederum auf die Existenz gesellschaftlicher Herrschafts- und Klassenverhältnisse.

Wie ich bereits in meinem Dreiteiliger zum Gewaltdiskurs an einem Text von Walter Benjamin dargestellt habe, beruhen Rechtsverhältnisse auf Macht ([soziale] ‚Überlegenheit‘ und als Kehrseite ‚Unterdrückung‘) und Macht existiert in letzter Bedingung als Gewaltverhältnis.

Nun ist eine Definition des Begriffes ‚Gewalt‘ nicht so ganz einfach. Darum mache ich es mir in diesem Artikel leicht und unterstelle einen sehr weiten Gewaltbegriff, der auch strukturelle [1] und psychische Gewalt mit einschliesst. Dies ist sicherlich ein diskutierbarer Standpunkt, aber zumindest unter ‚linken‘ dürfte ich mir damit keine Feinde machen.

Aber zurück zur Ausgangsfrage: ist Gewalt selbst ‚politisch‘, im Sinne eines [legitimen] politischen Mittels?

Die Frage ist vlt etwas missverständlich formuliert, darum zur möglichst präzisen Ab- und Eingrenzung: dass es politisch motivierte Gewalt gibt, ist unstrittig; aber ist auch die Anwendung von Gewalt selbst als ‚politischer Akt‘ (Handlung) anzusehen?

Wenn wir von der umgangssprachlichen Bedeutung des Diskurses im Sinne der (geistigen) Auseinandersetzung ausgehen, dann ist die Gewalt tatsächlich das Ende des ‚Diskurses‘, da dann keine (verbale) Kommunikation mehr stattfindet (stattfinden kann. wo geschlagen oder geschossen wir, wird nicht geredet).

An dieser Stelle kommt es jetzt entscheidend darauf an, wie man das ‚Politische‘ definiert. Meines Erachtens gibt es zwei mögliche Herangehensweisen:

1.) man beschränkt das Politische auf den Bereich der [rationalen] Auseinandersetzung. Dies würde insofern auch Sinn machen (aus ‚linker‘ sicht), wenn man davon ausgeht, dass gesellschaftliche Veränderungsprozesse im Wesentlichen über Meinungswandel und Bewusstseinsveränderung erfolgt. Mit einem Argument kann ich einen Kopf (möglicherweise) geistig oder ideenmässig füllen. Mit einem Hammer kann ich ihn nur einschlagen, mit einer Guillotine (das Hinrichtungsinstrument während der Französischen Revolution) abtrennen.

2.) man sieht das ‚Politische‘ rein als Kampf um die (Staats)’Macht‘. Dies scheint mir die Konsequenz aus dem Diskursbegriff bei Foucault zu sein, aber auch bei Marx und Lenin scheint Gewalt als Ausdruck unversöhnlicher Klasseninteressen legitimiert zu sein und ein notwendiges Mittel zur Erreichung gesellschaftlichen Fortschritts.

„Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.“ (Karl Marx)

„Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung.“ (Manifest)

(Später haben Marx und Engels darüber nachgedacht, ob es in fortgeschrittenen parlamentarischen Demokratien auch die Möglichkeit gewaltfreier Revolutionen geben könnte. Aber so wie die modernen bürgerlichen Staaten hochgerüstet sind, dürfte dies sehr unwahrscheinlich sein.) [2]

Hier kommt jetzt noch ein weiterer Aspekt in der Diskurs-Theorie hinzu: wenn die Akteure, die um Hegemonie streiten, von vornherein ungleiche Ausgangsbedingungen haben, dann kann es auch keine Waffengleichheit (sowohl im übertragenen auch als auch im wörtlichen Sinne) in den Auseinandersetzungen geben.

Ich würde daher meine Ansicht zu dieser Frage so zusammenfassen:

wenn man den Diskursbegriff allein für die rationale politische Debatte akzeptiert, dann perpetuiert man in Wirklichkeit die bestehenden sozialen (Ungleichheits)Verhältnisse. Auch wenn vlt. berechtigte pazifistische Anliegen und Friedenssehnsüchte damit ausgedrückt werden sollen.

Da auch die bürgerlichen Verfassungen ein Widerstandsrecht [3] kennen, muss man tatsächlich davon ausgehen, dass auch Gewalthandlungen im direkten Sinne als ‚politische‘ Handlungen angesehen werden müssen. Dies zwar nicht im Sinne von Bewusstseinsveränderung und Meinungswandel, sondern rein durch die Durchsetzung oder den Erhalt von Machtverhältnissen, die wiederum bestimmten gesellschaftlichen (Klassen-)Interessen dienen (sollen) [4].

Und es kommt noch ein weiterer Aspekt hinzu: rationale Diskurse haben ihre Grenze dort, wo es keine rationale Grundlage mehr für eine Debatte gibt. Um es an einem zugespitzten Beispiel auszudrücken: ich diskutiere nicht mit Faschisten darüber, ob es ein Recht auf Völkermord gibt, oder ob dunkelhäutige Menschen genetisch für niedere Arbeiten geschaffen sind. Wer solche Ansichten vertritt, verlässt den Bereich des rational Diskutierbaren. Was in solchen Fällen dann noch hilft, diese Frage lasse ich ganz bewusst offen.

[1] „Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“ — Bert Brecht

[2] Es ist interessant, dass es in den USA ein sehr freizügiges Waffengesetz gibt, obgleich auch dort das Gewaltmonopol beim Staat liegt. Dies hat sicher zum einen historische Gründe, aber der Einfluss der Waffenlobby auf die (offizielle) Politik dürfte auch sehr gross sein. Wenn sich allerdings Schwarze bewaffnen, wie in den 60er Jahren die Black Panthers, dann hat die Waffenlobby auch nichts gegen restriktive Gesetze einzuwenden. Ob die Schulmassaker in den USA dazu führen, dass die Waffengeseze verschärft werden, wird man abwarten müssen. Ich halte allerdings die Position von so einigen ‚Marxisten‘, dass eine Verschärfung des Waffengesetzes nicht im Interesse des ‚Proletariats‘ sein kann, für ziemlichen Unsinn. Vorrangig geht es um den Schutz des Lebens von Schulkindern. Und wenn das mit einem gestärkten Gewaltmonopol des Staates erreicht werden kann, ist das was Gutes (Lehrerbewaffnung, wie von Trump vorgeschlagen, hingegen ist ein Alptraum aus Dantes Inferno). Und falls es irgendwann mal eine ‚amerikanische Revolution‘ geben sollte, dann wird die Waffenfrage gewiss die geringste Sorge sein.

[3] Es gibt auch im Grundgesetz ein Widerstandsrecht. Dieses bezieht sich aber ausdrücklich auf die Verteidigung der [bestehenden] „verfassungsmäßige[n] Ordnung“. (Vergleich: Art. 20)

[4] Hier würde ich zum Beispiel einen Ansatz für eine Kritik an der RAF sehen. Die RAF hatte zwar politische Ziele definiert, aber ihre Gewalthandlungen hatten keinerlei gesellschaftliche Basis und Verankerung, sondern blieben isoliert auf die Gruppe und eventuell ein gewisses Unterstützerumfeld. Dadurch wirkte ihre Gewalt sogar kontraproduktiv, indem auch breite Bevölkerungsschichten sich mit dem bürgerlichen Staat ’solidarisierten‘ und diesem einen Vorwand für Reppression (gegen linke), Gesetzesverschärfungen und Aufrüstung gaben. Unabhängig von der Frage, ob die Guerillastrategie in hochindustralisierten Ländern überhaupt Sinn macht, zeigt sich am Beispiel der RAF, dass Aktionen, die breite Massenaktionen (der Klasse) ersetzten (substituieren) sollen, niemals zum Erfolg führen können, sondern eher reaktionären Kräften in die Hände spielt. Und wenn sie zum ‚Erfolg‘ führt (wie in Kuba), dann entsteht daraus keine Räte-Demokratie der Subalternen (also ihre Selbstermächtigung), sondern ein bürokratischer Bonapartismus (in der Regel gestützt auf das Militär und einer weit verzweigten Partei- und Staatsbürokratie, wie sie berüchtigt wurde in der UdSSR seit Stalins Zeiten. Aber auch Maos China machte da keine Ausnahme), der auch nicht der Emanzipation letzter Ratschluss sein kann.

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