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Lützerath als Fanal

Erstellt von Redaktion am Sonntag 12. Februar 2023

Warum wir transformative Strategien im Kampf gegen die Klimakrise brauchen

Von Markus WissenUlrich Brand

Lützerath bleibt. Selbst wenn die Kohle unter dem Ort im Rheinischen Braunkohlerevier irgendwann abgebaggert sein sollte, wird dessen Name fortwirken: als Symbol für den Mut und den Einfallsreichtum von Menschen, die sich einem mächtigen Konzern ebenso wie der Staatsmacht widersetzen. Lützerath steht auch als Symbol für eine Politik, die die Zeichen der Zeit nicht erkennt. Die Zeichen der Zeit, das sind der Kohleausstieg und der Übergang in eine Produktionsweise, in der das gute Leben aller und nicht die Verteidigung mächtiger Partikularinteressen den zentralen Bezugspunkt bildet.

Dass dies nicht im Sinne von konservativen und liberalen Parteien ist, kann kaum überraschen. Deren historische Funktion besteht darin, gesellschaftliche Veränderungen so lange im Sinne der herrschenden Interessen hinauszuzögern, bis ihre Notwendigkeit unabweisbar geworden ist. Die Empörung über die politischen Versäumnisse richtet sich deswegen in erster Linie gegen die Grünen. Und dies zu Recht: Kaum sind sie zum zweiten Mal nach 1998 Regierungspartei auf Bundesebene geworden, machen sie erneut Politik gegen jene Bewegungen, aus denen sie selbst einst hervorgegangen sind. Beim ersten Mal war es vor allem die Friedensbewegung, die die Grünen unter ihrer damaligen Leitfigur Joschka Fischer brüskierten. Heute enttäuschen sie die Anliegen der Klimagerechtigkeitsbewegung, deren Stärke sie ihre jüngsten Wahlerfolge mitzuverdanken haben.

Sicherlich hat niemand von der grünen Regierungsbeteiligung eine sozial-ökologische Revolution erwartet. Denn zum einen sind die Grünen nur Teil einer Koalition, in der mit der FDP eine antiökologische Kraft über ein erhebliches Druckpotenzial verfügt. Zum anderen steht außer Frage, dass staatliche Politik anderen Logiken folgt als das Handeln sozialer Bewegungen. Die Möglichkeiten staatlicher Politik werden systematisch durch die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse beschränkt. Diese schreiben sich in die staatlichen Apparate ein, sie prägen die Denkweisen ihres Personals und bestimmen, welche Probleme in welcher Form überhaupt debattiert werden können. Der von den 1968ern angestrebte „Marsch durch die Institutionen“ resultierte im Marsch der Institutionen durch die Protagonist:innen der Bewegung. Das war die Erfahrung der ersten grünen Regierungsbeteiligung: Schneller als ihm lieb war und meist ohne es zu bemerken, verinnerlichte das grüne Spitzenpersonal die institutionellen Restriktionen und missverstand dies als Ankunft auf dem harten Boden der Realität. Gemeint war die Realität der Herrschenden, die sie bis dahin kritisiert hatten und die sie nun mitgestalten wollten.

Das Versäumnis der heute tonangebenden Grünen liegt darin, diese Erfahrung nicht reflektiert zu haben. Stattdessen liefen sie blindlings und unvorbereitet in eine Situation, in der sie schließlich den Quasi-Freibrief für einen der weltweit größten Umweltsünder als klimapolitischen Kompromiss verkaufen sollten. Über so viel grünen Realitätssinn wird sich RWE vermutlich noch länger die Hände reiben. Denn in Zeiten einer eskalierenden Klimakrise darf der Konzern weitere 280 Mio. Tonnen Braunkohle abbaggern und verbrennen. Im Jahr 2030, acht Jahre früher als im Kohleausstiegsgesetz vorgesehen, lässt er es dann gut sein mit der heißen Luft und der verbrannten Erde – und kann sich auf der Gewissheit ausruhen, dass dann die gestiegenen Preise für Zertifikate aus dem europäischen Emissionshandel die Kohleverstromung ohnehin unrentabel gemacht haben werden. Als Zugabe obendrauf bekommt der Konzern die Zerstörung einer wichtigen Infrastruktur der Klimagerechtigkeitsbewegung, die ihm in den kommenden Jahren noch einiges an Ärger beschert hätte: Das besetzte Lützerath war ein Ort, an dem Menschen zu Aktionstrainings, Workshops und Festivals zusammenkamen.

Nun ließe sich einwenden, dass die Vorgängerregierung der Ampel die Energiewende systematisch ausgebremst und damit die Sachzwänge, mit denen Grüne und SPD als Regierungsparteien heute konfrontiert sind, erst geschaffen habe. Ohne die Grünen in der Regierung würde zudem alles noch schlimmer kommen. Und schließlich trage die derzeitige Regierung keine Schuld an den Gaspreissteigerungen infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine. All das ist richtig, trifft aber nicht den entscheidenden Punkt: Dieser besteht zunächst einmal in der simplen Tatsache, dass der Abbau der Kohle unter Lützerath aus Gründen der Versorgungssicherheit und Netzstabilität nicht nötig ist. Zu diesem Schluss kommen gleich mehrere Gutachten.[1] Sodann, und in der aktuellen politischen Diskussion weitgehend vernachlässigt, stellt sich die Frage: Für wen und wofür wird der Strom eigentlich erzeugt? Und um wessen Versorgungssicherheit geht es hier eigentlich?

Denn selbst wenn die Kohle benötigt würde, um den bestehenden Strombedarf zu decken, wäre es ökologisch naheliegend, erst einmal diesen Bedarf zu problematisieren, bevor zu seiner Deckung noch mehr CO2 emittiert wird: Müssen wir wirklich Strom für Autofabriken erzeugen, damit darin riesige Mengen an immer größeren Fahrzeugen hergestellt werden, die, einmal freigelassen, selbst Unmengen an Strom verbrauchen oder die fossilen Treibstoffe gleich selbst in Kohlendioxid verwandeln? Brauchen wir Energie für eine chemische Industrie, um diese in die Lage zu versetzen, Berge an Verpackungen aus Kunststoff zu produzieren, die nach einmaligem Gebrauch verbrannt oder ins Ausland exportiert werden? – Das ist die Versorgungssicherheit einer Produktions- und Lebensweise, die bereits heute unzählige Menschen in existenzielle Unsicherheit stürzt.

Warum soziale Bewegungen unerlässlich sind

Viel sinnvoller – und angesichts sich zuspitzender Krisen immer dringlicher – wäre es dagegen, innezuhalten und zu fragen, welche Dinge tatsächlich gesellschaftlich notwendig sind und sich zudem auf eine Weise herstellen ließen, die nicht die Erde weiter aufheizt und die Lebensgrundlagen von Menschen hierzulande, andernorts und in der Zukunft zerstört: ein nachhaltiges Mobilitätssystem, ein gut ausgebautes und für alle zugängliches Gesundheitswesen oder energetisch sanierte und preiswerte Wohnungen.

Auseinandersetzungen an den Polizeiketten vor Lützerath

Natürlich ist dafür genug Geld da. Die Gesellschaft ist so reich wie nie zuvor. Wer sich hunderte Milliarden Euro für die Bundeswehr oder die Bankenrettung leisten kann, der hat auch ausreichend Ressourcen dafür, die Gesellschaft zukunftsfähig zu machen. Warum sollten wir weiterhin Ressourcen und menschliche Kreativität dafür verschwenden, neue Finanzinstrumente zu entwickeln, SUVs zu designen oder Waffensysteme zu optimieren? Warum nicht stattdessen die gesellschaftlichen Anstrengungen, die praktische und kollektive Intelligenz von Beschäftigten in der Produktion, im Pflegebereich oder im Gesundheitswesen, die Kreativität von Ingenieur:innen in den Dienst des guten Lebens für alle stellen?

Solche Fragen lassen sich in den Parlamenten und Ministerien kaum diskutieren. Das ist kein Wunder, denn sie gehen ans Eingemachte der kapitalistischen Produktionsweise: an die Möglichkeit, das Privateigentum an Produktionsmitteln letztlich auch zum Schaden der Allgemeinheit nutzen zu dürfen, solange dabei Profite, Wachstum und Steuereinnahmen herauskommen. Übertüncht wird dies mit Begriffen wie „Wettbewerbsfähigkeit“, dem Verweis auf Arbeitsplätze oder dem Argument, dass „die Chinesen“ das Problem beim Klimawandel seien. Europa mache ja schon seine Hausaufgaben. Doch all diese Behauptungen sind Nebelkerzen.

Quelle         :      Blätter-online         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —   Räumung Lützeraths, 11. Januar 2023

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Unten     ––       Auseinandersetzungen an den Polizeiketten vor Lützerath

Ein Kommentar zu “Lützerath als Fanal”

  1. Jimmy Bulanik sagt:

    Die sozialen und die ökologischen Organisationseinheiten sind gut beraten Kartelle zu bilden. Gemeinsam bundesweit und innerhalb von Europa grenzüberschreitend an öffentlichen Veranstaltungen zu kooperieren. Das setzt eigene Narrative und ebensolche Bilder. Damit kann den Preisen der Realpolitik durch Parteien und der Profitgier durch Konzerne etwas wirkungsmächtiges entgegen gesetzt werden.

    https://www.youtube.com/watch?v=61rmV73RauY

    https://www.youtube.com/watch?v=PMz_zplGza0

    https://www.youtube.com/watch?v=mo5ru5PJjXg

    https://www.youtube.com/watch?v=ovX2-Fs9QJc

    https://www.youtube.com/watch?v=H7TyvMJMJj4

    https://www.youtube.com/watch?v=FvmAk7mXtUY

    https://www.youtube.com/watch?v=Xv8FBjo1Y8I

    Intifada bedeutet sich persönlich, in der Gemeinschaft für die Gerechtigkeit zu erheben um im Sinne des Aufbegehren in der Öffentlichkeit gesehen, gehört zu werden. Das wird von allen in der Welt zur Kenntnis genommen werden und pluralistische Diskussionen befördern. Was der Demokratie zuträglich ist.

    Jimmy Bulanik

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