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Linkspartei nach Leipzig:

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 5. Juli 2018

Auf zum letzten Gefecht?

2018-06-09 Bundesparteitag Die Linke 2018 in Leipzig by Sandro Halank–138.jpg

von Martin Reeh

Am Ende lief in Leipzig wieder die Internationale vom Band: „Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht!“ Ein paar Delegierte reckten die Faust, während viele schon Richtung Hauptbahnhof unterwegs waren. Leipzig hatte zwar nicht das letzte Gefecht der Linkspartei gebracht. Aber nach dem Göttinger Parteitag von 2012, bei dem Gregor Gysi vom „Hass in der Fraktion“ gesprochen hatte, wurde in der Messestadt wieder sehr deutlich, dass die Linke immer noch nicht gelernt hat, mit inhaltlichen Unterschieden produktiv umzugehen.

Fraktionschefin Wagenknecht gegen Parteichefin Kipping: So lautete schon in den Monaten vor dem Parteitag die Schlachtanordnung. Für offene Grenzen, gegen offene Grenzen, für eine Sammlungsbewegung oder dagegen. Kippings Ko-Parteichef Bernd Riexinger stand etwas weniger im Rampenlicht, aber an Kippings Seite, Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch versuchte zu vermitteln, stand aber im Zweifelsfall zu Wagenknecht.

In Leipzig folgte nun die Attacke des Kipping/Riexinger-Lagers auf Wagenknecht: Zwar wurden Kipping und Riexinger am Samstag nur mit schwachen Ergebnissen im Amt bestätigt: Riexinger erhielt 73,8 Prozent, Kipping sogar nur 64,6.[1] Dabei hatten Wagenknecht und Bartsch nicht einmal Gegenkandidaten gefunden.

Dann kam Wagenknechts Rede am Sonntagmittag: „Wir streiten über die Frage, ob es für Arbeitsmigration Grenzen geben sollte und wenn ja, wo sie liegen. Aber warum können wir das nicht sachlich tun, ohne Diffamierungen?“, fragte Wagenknecht. „Wenn mir und anderen Genossinnen und Genossen aus den eigenen Reihen Nationalismus, Rassismus und AfD-Nähe vorgeworfen wird, ist das das Gegenteil einer solidarischen Debatte!“

Etwas mehr als die Hälfte des Saales klatschte am Ende der Rede, Kipping und Riexinger in der ersten Reihe notgedrungen auch. Das Tagungspräsidium hatte zu dieser Zeit die Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert inne, eine erklärte Gegnerin von Wagenknechts Positionen. Ans Mikrofon trat Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach. Nachfragen zu einer Parteitagsrede – ein Novum. „Du ignorierst die Position der Mehrheit dieser Partei und du hast jetzt wieder nachgelegt“, sagte Breitenbach mit aller Schärfe und traf damit auf begeisterte Reaktionen in der anderen Hälfte der Delegierten. Eine einstündige Debatte folgte: Der Hass war wieder da, die Linkspartei gespalten. Selbst der mit großer Mehrheit verabschiedete Leitantrag wird beim Punkt Asyl von beiden Seiten unterschiedlich ausgelegt.

Anders als im Grundsatzprogramm ist nicht von „offenen Grenzen für alle“ die Rede, sondern nur von „offenen Grenzen“ im Zusammenhang mit Fluchtbewegungen.[2] „Alle Parteien diskutieren die Flüchtlingspolitik, niemand hat abschließende Positionen, deshalb wird die Debatte auch nicht nach unserem Parteitag beendet sein“, sagte Wagenknecht. „Es muss offene Grenzen für Verfolgte geben, aber wir dürfen auf keinen Fall sagen, dass jeder, der möchte, nach Deutschland kommen kann, Anspruch auf Sozialleistungen hat.“ Für Kipping und Riexinger bedeutet der Leitantrag dagegen keine Abkehr von offenen Grenzen für alle – der Konflikt war wieder da.

Zwei Zeitreisen

Wenn man den Streit in der Linken wirklich begreifen will, muss man zwei Zeitreisen machen. Die eine führt ins Jahr 2012. Damals, am Ende des Göttinger Parteitags, skandieren Delegierte: „Ihr habt den Krieg verloren, ihr habt den Krieg verloren!“ Damit verhöhnen Linke normalerweise Nazidemonstrationen. Hier ist mit „Krieg“ die Auseinandersetzung zwischen dem Lager der Reformer aus dem Osten um Dietmar Bartsch und der Parteilinken um Oskar Lafontaine gemeint.

Bartsch fällt in Göttingen bei der Wahl zum Parteichef durch, knapp gewählt wird der eher unbekannte Stuttgarter Gewerkschafter Bernd Riexinger, den das Lafontaine-Lager ins Rennen geschickt hat. Seine Ko-Vorsitzende wird Katja Kipping, deren Strömung Emanzipatorische Linke damals nur eine geringe Hausmacht hat. Aber von vielen wird sie zu den Reformern gerechnet, sie stammt wie Bartsch aus dem Osten. Deshalb hat der Ostler und Reformer Bartsch schlechte Karten, als Kipping den Frauenplatz in der Doppelspitze besetzt. Das begründet den bis heute anhaltenden Hass des Bartsch-Lagers auf Kipping.

In Göttingen steht die Zukunft der Linkspartei erstmals auf der Kippe. Dabei 2005 alles so gut angefangen: Gregor Gysi und Oskar Lafontaine riefen zur Gründung der Linkspartei aus PDS und WASG auf. Eine neue, linkssozialdemokratische Partei sollte dem Sozialabbau von Rot-Grün Einhalt gebieten. Aber die Wirklichkeit war komplizierter: Der Reformerflügel aus der PDS war etwa als Teil der rot-roten Berliner Landesregierung mitbeteiligt, als dort Wohnungen privatisiert wurden. Viele Lafontainisten hielten die Bartsch-Anhänger daher für Wiedergänger des rechten SPD-Flügels.

Aus der SPD wechselten dagegen nur wenige in die Linkspartei. So war Lafontaine im innerparteilichen Machtkampf auf ein Bündnis mit Linksradikalen angewiesen, etwa mit der trotzkistischen Gruppe Linksruck.

Nach der Wahl von Kipping und Riexinger ist der Krieg vorbei, vorerst. Nun setzt die Guerillataktik ein. In die Medien sickern bald kleine, schmutzige Leaks aus dem alltäglichen Parteikampf. 2013 berichtet „Die Welt“ über ein „Liederbuch für fröhliche Bartschisten“, das Stücke wie „Auf, auf zum Bartsch“ enthält mit Zeilen wie: „Die roten Haare werden wir ihr roden, der Hexe Kipping verweigern wir die Hand.“

Trotzdem geschieht 2015 ein kleines Wunder: Bartsch und Wagenknecht beerben Gregor Gysi als Fraktionschef. Gemeinsam, als Doppelspitze. Beide haben Vertrauen während der gemeinsamen Arbeit als stellvertretende Fraktionschefs gewonnen. Das sogenannte Hufeisen ist geboren: das Bündnis von Parteilinken und Parteirechten; die Mitte um Kipping und Riexinger behält den Parteivorsitz. Ab da hätte Frieden in der Linken herrschen können, wenn nicht gerade zu diesem Zeitpunkt mehrere Hunderttausend Flüchtlinge nach Deutschland gekommen wären.

Damit beginnt die zweite Zeitreise, sie geht weiter zurück – bis 1990: Die Mauer ist gefallen, Oskar Lafontaine SPD-Kanzlerkandidat und Ministerpräsident im Saarland. Schon im Juli haben fast 100 000 Flüchtlinge einen Antrag auf Asyl gestellt. In der saarländischen Kleinstadt Lebach sind rund 1400 Romaflüchtlinge untergebracht. Diebstähle sollen sich häufen. Bürger demonstrieren: „Lebach wird zur Geisterstadt/weil’s so viel Zigeuner hat“, heißt es auf einem Transparent.

Lafontaine zieht daraus einen Schluss: „Das Asylrecht muss so gestaltet sein, dass die Bevölkerung es akzeptiert.“ Noch aber blockt die SPD. Doch zwei Jahre, Hunderttausende Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien, rechtsradikale Brandanschläge auf Migranten und einige Wahlerfolge der Republikaner später ist es so weit: Die SPD beschließt 1993 die sogenannte Petersberger Wende und verstümmelt mit der Union das Asylrecht. Es gilt nur noch für jene, die nicht über einen sicheren Drittstaat kommen – also für fast niemanden mehr. Das Problem wird auf die EU-Grenzstaaten verlagert: auf Italien, Spanien, Griechenland.

Die Konsequenz: Die Asylbewerberzahlen gehen massiv zurück; die Anschläge und Wahlerfolge der Rechtspopulisten auch. 1998 gewinnen SPD und Grüne die Bundestagswahl. Asyl spielt keine Rolle im Wahlkampf, Themen der sozialen Gerechtigkeit dominieren. Lafontaine hat der SPD mit der Petersberger Wende den Wahlsieg 1998 und damit die Hoffnung auf eine sozialere Politik in Deutschland ermöglicht – die aber ausbleibt, weil Lafontaine Schröder die Kanzlerkandidatur überlassen hat und nach einem halben Jahr als Finanzminister hinwirft.

Die Lunte in der Linkspartei

Quelle    :       TAZ        >>>>>       weiterlesen

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Grafikquelle     :    Bundesparteitag Die Linke 2018 in Leipzig

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