Linker Protest von rechts?
Erstellt von Redaktion am Freitag 14. Oktober 2022
Rechtspopulismus – der Anwalt der kleinen Leute?
Quelle : Untergrundblättle – CH
Von : Johannes Schillo
Neue Veröffentlichung zu den „Gestalten der Faschisierung“. In Deutschland hat die niedersächsische Landtagswahl vom Oktober 2022 mal wieder Stoff geliefert, um das rechte Lager als die Kraft zu identifizieren, die den soziale Protest betreut.
Linker Protest von rechts?
Was stimmt: Die AfD protestiert gegen den aktuellen Kurs der Bundesregierung. Sie ist die einzige parlamentarische Kraft, die in Opposition zum NATO-Kurs der BRD-Regierung geht. Sie macht natürlich die obligatorische Verurteilung Russlands mit (siehe das „Positionspapier der AfD-Bundestagsfraktion zum Russland-Ukraine-Krieg“), apropos „völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands, den wir scharf verurteilen“. Dass Deutschland als europäische Führungsmacht, als Aufsichtsmacht über globale Konflikte, befugt ist, in Gewaltaffären Recht zu- und abzusprechen, leuchtet der AfD selbstverständlich ein. Sie entwickelt das sogar weiter – mit einem Moment von nationalem Größenwahn – zur Rolle des Vermittlers, der zwischen, ja über den streitenden Parteien im Ukrainekrieg zur Regelung weltpolitischer Affären schreiten soll. Bismarcks Kalauer vom „ehrlichen Makler“ lässt grüßen! Und Bismarck mit seinem geradlinigen preußischen Militarismus ist ja auch ein expliziter Bezugspunkt der AfD, wenn sie sich etwa im Deutschen Bundestag zu außen- und sicherheitspolitischen Fragen äußert.
Aber trotzdem hat die Partei was gegen diesen Krieg und gegen die Kosten, die er der Nation aufbürdet: Hier ist „nicht der Krieg, sondern sein unzureichender Ertrag für die deutsche Sache, welche auch immer, das Problem“, wie der Gegenstandpunkt formulierte. So kann die AfD sich auch mit lautem Protest für wirkliche Inflationsbekämpfung und solide Haushaltsführung zu Wort melden und auf vielfältige Nöte der Bürgerschaft hinweisen.
Das muss man konstatieren, wobei aber in einem grundsätzlichen Punkt Klarheit herrschen sollte: Die AfD hat weder die soziale Frage „gekapert“, sie also anderen entwendet und für sich vereinnahmt, noch ist ihr Manko, dass sie überhaupt keine Antworten auf die drängenden Zeitfragen anzubieten hätte. Was sich hier zu Wort meldet, ist ein rechtsradikales Programm, das mit seinen eigenen Inhalten in der demokratischen Parteienkonkurrenz antritt, Gemeinsamkeiten mit dem konservativen Lager aufweist und sich von der Linken entschieden abgrenzt. Dabei ist ebenfalls zu konzedieren, dass es in der deutschen Linkspartei – siehe Sahra Wagenknecht – Positionen gibt, die nationale Erfolgsmaßstäbe und -wege attraktiv finden und hier auf ihre Art Anschluss suchen. Aktuell liegt dazu ein Beitrag über „Wagenknechts Abrechnung mit den Linken“ vor, der im Gegenstandpunkt Nr. 3/22 erschienen ist.
Nähere Auskunft darüber gibt auch die Reihe „Gestalten der Faschisierung“, die im Untergrund-Blättle bereits vorgestellt wurde und in der eine Kritik der prominenten Linkspolitikerin Wagenknecht veröffentlicht wurde. In der Reihe ist jetzt ein neuer Band erschienen, der sich mit Björn Höcke befasst, dem AfD-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag und Gründer des einflussreichen „Flügels“ der Partei, der 2020 nominell aufgelöst wurde.
„Deutsche Arbeit & preußischer Staat“
Wolfgang Veiglhuber hat in dem von ihm mit herausgegebenen Band den Hauptbeitrag geschrieben. Er steht unter dem Titel „Volksgemeinschaft und ‚solidarischer Patriotismus‘: Der Nutzen der Lohnarbeit für das Vaterland“ und handelt vier Themenblöcke ab, die im Blick auf Wirtschaft und Soziales die Programmatik des Rechtspopulismus ausmachen: Kapitalismusbegriff, Verhältnis von Staat und Ökonomie, Volk und Staat sowie Sozialpolitik. Der Durchgang durch diese Programmpunkte orientiert sich an den Schriften und Reden Höckes, der als radikaler Flügelmann seiner Partei gilt. Veiglhuber ordnet dies aber ins Gesamtbild der AfD ein und zeigt, dass hier kein extremistischer Außenseiter agiert, sondern nur in provokativer Form die nationalen Konsequenzen aus der Verteidigung der schwarzrotgoldenen Marktwirtschaft gezogen werden, wie sie überhaupt bei den Alternativdeutschen und auch bei anderen Parteigängern dieser Wirtschaftsweise üblich ist.
Speziell zeigen sich hier zwei Punkte:
Höcke kennt – im Einklang mit seiner Partei – keine soziale Frage, sondern nur eine nationale. Die Volksgemeinschaft ist das Sorgeobjekt; sie gilt es, gegen innere Verfallserscheinungen und auswärtige Bedrohungen zu verteidigen. „Solidarität“ – das neue Schlagwort für Opfer- und Verzichtsbereitschaft – wird dafür, dem demokratischen Brauch folgend, adaptiert und als Attribut dem Patriotismus zugeordnet. Die vorstaatliche, völkische oder blutsmäßige Identität eines in seiner Heimat verhafteten Menschenhaufens, der sich über den Fortpflanzungstrieb von Vati und Mutti beständig reproduziert, ist der Ausgangspunkt der Sorge. Wenn hier soziale Nöte zu entdecken sind, werden sie aufgegriffen und gegen (angebliche) Nutznießer oder Anstifter aus dem Ausland zum Anliegen eines nationalen Kraftakts gemacht. Dann muss z.B. unsere soziale Marktwirtschaft gegen einen Kapitalismus verteidigt werden, der mit der Globalisierung zu uns herüberschwappt, sich dabei durch einen „raffenden“ Charakter auszeichnet und unsere „Realwirtschaft“ in eine Art „Zinsknechtschaft“ nehmen will. Dann muss z.B. der „Verantwortungsraum“ (Höcke) unserer Solidargemeinschaft eingegrenzt, d.h. die migrantische Population vom Leistungsbezug bei den Sozialkassen ausgegrenzt werden.
Es stimmt also auch nicht, was bereits die letztgenannten Beispiele deutlich machen, dass die Partei „überhaupt keine Antwort“ anzubieten hätte, wie mit den Missständen im Lande umzugehen wäre. Von der Notwendigkeit einer bundesweiten Inflationsbekämpfung bis zur Aufhebung des baden-württembergischen Nachtangelverbots kann sie mit tausend guten Vorschlägen aufwarten. Veiglhuber geht dem Sammelsurium von ordnungs-, wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepten nach, das sich, wie bei demokratischen Parteien üblich, gar nicht groß um Konsistenz zu bemühen braucht. Hauptsache, man dokumentiert die eigene (potenzielle) Tatkraft! Und wenn man die grundsätzliche Linie wissen will, der sich die vielen guten Ideen verdanken, ist die Partei überhaupt nicht um eine Antwort verlegen: Es geht ihr um die Erneuerung der nationalen Sittlichkeit im Lande. Höcke z.B. will einen grundlegenden sittlich-moralischen Wandel – weg von einem „dekadenten westlichen Lebensstil“.
Reihe „gestalten der faschisierung“. Hamburg, Argument-Verlag (argument.de).
Nr. 1: Klaus Weber (Hg.), Sloterdijk – aristokratisches Mittelmaß & zynische Dekadenz. 2021, 175 S.
Nr. 2: Wolfgang Veiglhuber/Klaus Weber (Hg.), Wagenknecht – nationale Sitten & Schicksalsgemeinschaft. 2022, 285 S.
Nr. 3: Wolfgang Veiglhuber/Klaus Weber (Hg.), Höcke I – deutsche Arbeit & preußischer Staat. 2022, 139 S.
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Grafikquellen :
Oben — AfD-Stand in Mödlareuth.
Verfasser | PantheraLeo1359531 / Quelle : Eigene Arbeit / Datum : 03. Oktober 2020, |
Unten — Keine Alternative für Deutschland. Aufkleber gegen die Partei Alternative für Deutschland, in SVG Format.
Source | Own work |
Author | Weeping Angel |
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