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RENTENANGST

Die Linken und Flüchtlinge

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 1. August 2018

‚Menschenrechte‘ und ‚Migrationsdiskurs‘

File:Wien - Demo Flüchtlinge willkommen - Menschenrechte sind grenzenlos.jpg

Quelle  :  Scharf – Links

von systemcrash

Ich habe auf facebook [1]die Debatte um die ‚Evakuierung‘ der ‚Weisshelme‘ aus Syrien mitbekommen. Da ich über die politische Situation in Syrien nur äusserst unvollkommen ‚informiert‘ bin, wollte ich mich nicht direkt zu dieser Frage (der Weisshelme) positionieren. Aber die Frage der ‚Menschenrechte‘ interessiert mich doch zu sehr, so dass ich zumindest gepostet hatte:

„Menschenrechte heissen Menschenrechte, weil sie für ALLE Menschen gelten. Das Menschsein als solches reicht aus, um ihnen gewisse Rechte zuzugegestehen. Diese Rechte unterliegen [idealerweise] keinerlei Abhängigkeit von irgendwelchen Macht- oder Interessenkonstellationen, sondern existieren qua NATUR des Menschseins. Darum spricht man auch vom sog. Naturrecht. Dies ist der zentrale Kern des humanistischen Menschenbildes.

Dass das in der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit nicht immer so hinhaut ist das Eine. Aber Menschenrechte für politische Zwecke zu instrumentalisieren und den politischen Zwecken unterzuordnen scheint mir auf keinen Fall ein Weg zu sein, der für die Verwirklichung des humanistischen Menschenbildes zielführend ist. Eher scheint er den Keim neuer und zukünftiger Unterdrückungen bereits in sich zu tragen. Dass diese (neue) Unterdrückung dann im Namen des ‚Fortschritts‘ auftritt, macht sie eher gefährlicher denn ‚besser‘.“

Da ich aber an meiner ‚Definition‘ der Menschenrechte selbst etwas zweifelte schrieb ich noch in einem Kommentar:

„Gelten Menschenrechte nur für Leute, die mit den eigenen politischen Zwecken vereinbar sind? Das scheint mir doch stark den Gedanken der Menschenrechte zu pervertieren. 
Sicherlich kann man sich überlegen, ob es so etwas wie ‚taktische Grenzen‘ bei Menschenrechten geben muss, wenn man keine Selbstmordpolitik betreiben will. Aber das ist eine ANDERE Diskussion, als die Frage nach dem Wesen der Menschenrechte (deren Sinn ja in der Idee ihrer Unteilbarkeit besteht). 

Das eigentliche Problem hatte ich aber selbst bereits angedeutet mit dem in Eckklammern gesetzten Wort ‚idealerweise‚.

Nun habe ich — mehr zufällig — eine Abhandlung über Hannah Arendt zur Flüchtlingsfrage in die Hand bekommen und dort findet sich folgende interessante Passage:

„Hannah Arendts Lösungsvorschlag ist eine fundamentale Neukonzeption der Menschenrechte, welche auf das Recht, Rechte zu haben, aufbaut. Dieses Recht sichert die Zugehörigkeit zu einer politischen Gemeinschaft, durch die die Menschenrechte als staatlich gesicherte Grundrechte garantiert werden. Arendt versteht Rechte politisch – sie sind höherstufige, vorstaatliche, universale Weltbürgerrechte auf Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die so die Bürgerrechte garantieren können. Der außerordentliche Unterschied dieser Neukonzeption zu der bisherigen Auffassung der Menschenrechte liegt darin, dass Hannah Arendt Rechte nicht als etwas Moralisches definiert, das durch Vernunft oder Moral gegeben ist, sondern als etwas, das erst durch das gemeinsame Handeln im öffentlichen politischen Raum geschaffen wird. Für Arendt besitzen Menschen, die aus allen politischen Gemeinschaften herausgerissen wurden, keine Rechte, die ihnen von Natur aus zustehen. Erst die Zugehörigkeit zu einem Staat sichert dem Individuum Rechte, also auch die Menschenrechte.“ (Leonie Loszycki, Wir Flüchtlinge: Hannah Arendts Kritik der Menschenrechte angesichts der heutigen „Flüchtlingskrise“, 2017)

Diese Konzeption der Menschenrechte [2] darf sich sicherlich mit Fug und Recht ‚realistischer‘ nennen als die mehr ‚moralistische‘ Konzeption des ‚Naturrechts‘. Trotzdem sehe ich hier das Problem darin, dass eben auch Menschen aus failed states qua ihres Menschseins unveräusserliche Rechte haben. Dass diese Rechte nur durch politisches Handeln geschützt werden können, ist dabei aber eine abgeleitete (sekundäre) Frage, die nicht das ‚Wesen‘ der Menschenrechte als solche berührt.

Datei:Wien-Parlament,Menschenrechte.jpg

Es wäre allerdings naiv anzunehmen, in einer Welt, die von Krisen, Kriegen und Interessenkonflikten geschüttelt wird, könnten die Menschenrechte quasi ’neutral‘ über dem ‚politischen Raum‘ schweben und dadurch für ‚Gerechtigkeit‘ sorgen. In Wirklichkeit ist es so, dass die Menschenrechte für politische Zwecke instrumentalisiert werden und der ‚Humanismus‘ selbst ein politischer Standpunkt ist, der gegen Macht- und Herrschaftsinteressen handelnd vertreten werden muss. Oder wie es ein ander fb-freund formulierte:

„Die Haltung der Bundesregierung, das Recht auf politisches Asyl selektiv nach ihren politischen Interessen zu vergeben, sollten Linke kritisieren. Kontraproduktiv ist da[s], wenn wir selbst solches Vorgehen propagieren – vor allem in einem bürgerlichen Staat, der nicht der unsere ist. Es liegt im Interesse der Arbeiterklasse, die Universalität des Asylrechts zu verteidigen. Es darf nicht an eine politische Gesinnung der Asylsuchenden gebunden sein. Mit solchen politischen Standards öffnen wir der Willkür der Herrschenden alle Türen.“ (https://www.facebook.com/heino.berg/posts/2219909444690682)

Ob es gute Gründe für ‚linke‘ gibt, dass ‚Asylrecht‘ für Weisshelme [3] in Frage zu stellen, weiss ich nicht. Heike Hänsel hat diesen Standpunkt in einem Artikel bei heise noch mal zusammengefasst. Mich überzeugt diese Argumentation nicht. Solange die ‚linken‘ nicht die Staatsmacht (was etwas ist als eine Regierungsbeteiligung in einem bürgerlichen Staat) inne haben, sollten sie universale Rechte nicht von der politischen Einstellung abhängig machen.

Dieser Schuss kann sehr leicht nach hinten losgehen!

‚Selbstmordpolitik‘ ist allerdings auch nicht wirklich zu empfehlen.

[1] Ein fb-Freund schrieb:

„die geschätzte Genossin Heike Hänsel hat sich in ihrer Presserklärung gegen die Aufnahme von sog. „Weißhelmen“ ausgesprochen und „stattdessen“ den Schutz von Julian Assange gefordert.

Völlig unabhängig von der Beurteilung der „Weißhelme“ und ihrer Rolle im syrischen Bürgerkrieg haben nach Auffassung unserer Partei ALLE Menschen das Recht auf Ausreise- und politisches Asyl, die im Kriegsgebiet von politische Verfolgung und Tod bedroht sind.

Es ist und bleibt falsch, das Asylrecht der einen gegen das anderer Menschen auszuspielen oder seine Verteidigung von der politischen oder religiösen Einstellung der Betroffenen bzw. davon abhängig zu machen, ob sie von den Herrschenden (in diesem Fall von Assad und Putin) als „Terroristen“ bezeichnet werden.

Wer – wie die Abgeordneten Hänsel und Dehm – Menschen die Flucht aus einem Bürgerkriegsgebiet verweigern möchte, nur weil sie als Gegner des Assad-Regimes von diesem verfolgt werden, macht die LINKE indirekt zu Komplizen dieser Regierung und unseren internationalen Kampf gegen die Aushöhlung des Asylrechts unglaubwürdig.“ [https://www.facebook.com/heino.berg/posts/2219909444690682]

[2] Inwieweit hier wirklich das Denken von Hannah Arendt wiedergegeben ist, habe ich nicht geprüft.

[3] Soweit ich die Quellen kenne, ist die Zusammenarbeit der Weisshelme mit Islamisten in Syrien unbestreitbar.

Anhang

Auszug: Loszycki: Wir Flüchtlinge: Hannah Arendts Kritik der Menschenrechte angesichts der heutigen „Flüchtlingskrise, 2017:

„Dabei sei zu erwähnen, dass nicht die geflüchteten Menschen das Problem sind, das es zu bewältigen gilt, sondern die bürokratischen Hürden: Wohnungen zu finden, Hilfe im Alltag zu vermitteln und Sprachbarrieren abzubauen. Solidarität ist ein Sozialprinzip, das durch das Leben in einer Gemeinschaft zwingend notwendig ist, um Ungleichheiten innerhalb dieser auszugleichen: Es verbindet Menschen. Besteht keine Solidarität unter den Menschen, so sind Einzelne mit ihren Bedürfnissen und Interessen alleine gelassen.60 Ayten Gündogdu argumentiert in Anlehnung an Hannah Arendt, dass Solidarität die Antwort auf die Flüchtlingssituation ist, denn das Solidaritätsprinzip unterscheidet sich von Empfindungen und Sentimentalitäten, Mitgefühl und Mitleid61. Als politisches Prinzip bewegt die Solidarität zum Handeln und ist – anders als Leidenschaften – zwar durch Leid hervorgerufen aber nicht durch dieses weitergeführt. Starke Emotionen lassen kein reflektiertes und logisches Handeln, sondern nur impulsives zu. Solidarität kann abstrakte und scheinbar ‚kalte‘, gefühllose Begriffe wie die ‚Würde des Menschen‘ fundieren.62 Solidarität sollte angesichts der heutigen „Flüchtlingskrise“ darauf abzielen, auch in Bezug auf Menschenrechte und Politik verwirklicht zu werden. Heute ist es so, dass die Geflüchteten in einer Masse gesichtsloser, leidender Menschen untergehen und mit dem einzigen sie definierenden Attribut „Flüchtlinge“ versehen werden, wodurch es kaum möglich ist eine Politik mit dem Fokus auf Solidarität und Menschenrechte zu entwickeln.63 Zwar setzt Solidarität eine Ungleichheit voraus, wie Didier Fassin64 deutlich macht, doch wird diese große Gruppe an Menschen abseits der bestehenden Gesellschaft verortet und hat dadurch keinen Solidaritätsanspruch. Daher müssen Menschenrechte zu etwas Politischem werden: Ayten Gündogdu beschreibt wie Hannah Arendt in The Human Condition65 die frühen Arbeiterbewegungen beispielhaft anführt, um zu demonstrieren, dass die betroffenen Menschen dieser Zeit nicht in der Position passiver Opfer bleiben wollten, sondern die ihnen zustehenden Rechte und darüber hinaus neue einforderten. Dadurch führten sie eine neue Art von Politik ein und beförderten ihre Probleme in den politischen Raum der Gemeinschaft, wodurch neue Formen der Solidarität geschaffen wurden.66 Aus diesem Zustand der Rechtlosigkeit müssen sich also auch die Geflüchteten unseres Jahrhunderts befreien und ihre Anliegen in den Fokus der Politik rücken, um Solidarität mit Mitgliedern der Gemeinschaft, aus der sie noch ausgeschlossen sind, zu erreichen. Denn erst durch das Handeln in einem politischen Raum verwirklicht der Mensch das Menschsein67.“

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Grafikquelle   :

Oben    —      Demonstration „Flüchtlinge willkommen! Nein zur Festung Europa!“ am 19. März 2016 in Wien

Source Own work
Author Haeferl

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