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RENTENANGST

„Lassen wir das Rumnölen!“

Erstellt von Redaktion am Samstag 28. Januar 2023

Robert Habeck über Klimapolitik und Krieg

Hier ist aber auch nur noch die Dekoration grün ! Und was WIR machen bestimmt ein Jeder  selbst.

Das Interview mit Robert Habeck führten Anja Krüger, Tobias Schulze und Peter Unfried.

Die Räumung von Lützerath sei richtig gewesen. Warum er der Klima­bewegung trotzdem dankbar ist, sagt Vizekanzler Robert Habeck im taz-Gespräch.

wochentaz: Luisa Neubauer spricht wegen der Räumung von Lützerath und angesichts der LNG-Terminals von einer Re-Fossilisierung deutscher Energiepolitik. Was ist das Gegenargument, Herr Habeck?

Robert Habeck: Das Gegenargument ist, dass Putin die Gaslieferungen nach Deutschland gestoppt hat, wir damit die Hälfte des Gases zur Versorgung verloren haben und schmerzhafte Entscheidungen treffen mussten, um eine Notlage zu verhindern. Wir haben aktuell 8,8 Gigawatt Kohlekraftwerke mehr am Netz als ursprünglich vorgesehen. Den Kohlestrom setzen wir ein, um Gas zu sparen. Der klimapolitische Gau wäre, wenn wir nach dem nächsten Winter sagen müssten: Wir müssen diese Kohlekraftwerke doch noch länger laufen lassen, weil wir uns nicht um eine ausreichende Versorgung mit Gas gekümmert haben. Kohle für Stromerzeugung ist eine klimapolitische Sünde. Um die nicht weiter zu begehen, brauchen wir derzeit noch Gas.

Man sieht Sie jetzt dauernd bei Einweihungen von LNG-Terminals, wo verflüssigtes fossiles Gas gelagert und weiterverteilt wird. Wäre mehr persönliche Zurückhaltung nicht angebracht?

Ohne jemandem zu nahe zu treten: Es spricht ganz schön viel Vergessen aus dieser Haltung. Eine Gasmangellage – und mit ihr schwere Schäden für Wirtschaft und Gesellschaft – ist eine ernsthafte Gefahr. Das, was wir jetzt erreicht haben – Unabhängigkeit von russischem Gas, volle Gasspeicher, wieder gesunkene Preise – ist kein selbstverständlicher Zustand. Die Gasspeicher sind nur voll, weil wir gehandelt haben. Weil wir die Gesetze geschrieben und uns um Ersatz gekümmert haben. Weil wir Gasimporteure vor dem Zusammenbruch bewahrt haben. Und weil viel Geld dafür ausgegeben haben.

Wie viel Geld?

Viele Milliarden. Die waren notwendig, um eine tiefe Krise abzuwenden. Allein für die Uniper-Rettung und dann die Übernahme des Konzerns haben wir rund 30 Milliarden bereitgestellt. Ob wir das am Ende alles brauchen, wissen wir nicht, aber sie als Sicherheit bereitzustellen, war nötig. Sonst wären hunderte Stadtwerke in Gefahr geraten und damit die Versorgung der Haushalte.

Fühlen Sie sich von Neubauer und der Klimabewegung unverstanden?

Nein. Wir brauchen Protest. Die Klimabewegung und gerade Fridays for Future haben die Klimapolitik ganz oben auf die Agenda in Deutschland gebracht. Das war eine große Leistung. Dafür bin dankbar.

Sie sprechen sehr nett über die Klimabewegung.

Nett wäre paternalistisch. Es geht mir um das gegenseitige Verständnis der unterschiedlichen Rollen. Eine Protestbewegung darf sich auf das Dagegen konzentrieren und muss mehr fordern, als der Status quo ist. Sie muss kritisieren, antreiben. Und sie muss Aufmerksamkeit schaffen. Das ist sinnvoll. Meine Rolle ist eine andere. Da geht es darum, Entscheidungen und Gesetze in Regierung und Parlament durchzusetzen, Alternativen zu schaffen, ja, auch Kompromisse einzugehen. Und ich muss die Energiesicherheit gewährleisten.

Die Kritik an der LNG-Infrastruktur zielt darauf, dass nach dem Ende des Energiemangels sehr viel fossiles Gas genutzt werden könnte, einfach weil es zur Verfügung steht – und zwar auf Kosten der Erneuerbaren.

Die Gefahr sehe ich nicht. Erstens: Unser politisches Handeln zielt ja voll auf den Ausbau der erneuerbaren Energien. Schneller und mehr – daran arbeiten wir. Wir haben durchgesetzt, dass die Erneuerbaren europaweit im überwiegenden öffentlichen Interesse liegen. Zweitens: Der Energiemangel geht nur vorbei durch Infrastruktur, die wir bauen. Wir kommen durch diesen Winter, weil wir anfangs noch russisches Gas hatten, weil wir jetzt LNG-Terminals in Betrieb nehmen und weil wir aus Norwegen und den Benelux-Staaten mehr Gas bekommen haben.

Andersrum gilt, dass die Versorgung der südöstlichen Nachbarn auch durch Deutschland erfolgt, inklusive eines Teils der Ukraine. Aktuell sind wir Transitland, künftig können wir über die schwimmenden Terminals aber auch Lieferungen für unsere Nachbarn ermöglichen. Wenn wir nur den nationalen Blick haben, machen wir also einen doppelten Fehler. Wir dürfen nicht verkennen, dass die anderen Länder uns versorgen, und nicht verkennen, dass durch uns auch andere Länder versorgt werden müssen.

Sie sagen es: EU-Länder waren in der Energienot solidarisch mit Deutschland, haben aber den Eindruck, dass Deutschland nicht so solidarisch ist – etwa wie es sein Gas in der Welt zusammengekauft hat. Ist es naiv, dass man das zusammen macht?

Das geht und das ist vereinbart worden. Richtig ist aber, dass Deutschland in der Vergangenheit sehr viele seiner Gaseinkäufe in Russland getätigt hat. Deutschland hat Nord Stream 1 und dann auch noch 2 gebaut. Die deutsche Energiepolitik hat lange die Warnungen – gerade von Polen und den baltischen Ländern – komplett ignoriert. Hauptsache, Gas aus Russland war billig.

Die Vorgängerregierungen haben es trotzdem gemacht.

Ja, und es ist schiefgegangen. Das war ein Grund für die hohen Gaspreise, auch in Ländern, die gar kein Gas oder nicht viel aus Russland bekommen haben. Dass andere europäische Länder deshalb zornig sind, kann ich verstehen.

Was folgt daraus für Sie?

Ich sehe die Fehler des letzten Jahrzehnts und bin deshalb der Meinung, Deutschland muss im Zweifelsfall immer ein Stückchen mehr geben. Es ist jetzt unsere Aufgabe, dienend Europa zusammenzuführen.

Gilt dieses Motto „immer ein Stückchen mehr“ auch in der Frage deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine? Oder ist mit dem Kampfpanzer Leopard 2 nun Schluss?

Putin hat mit der europäischen Nachkriegsordnung gebrochen und einen souveränen Staat überfallen – hier, in Europa. Ich halte es für notwendig, die Ukraine bei ihrer Selbstverteidigung zu unterstützen. Putin und sein Imperialismus dürfen nicht siegen. Wir haben deshalb die Unterstützung immer wieder angepasst und werden sie sicher immer wieder überprüfen. Es gilt aber weiter: Deutschland ist keine Kriegspartei und wird es nicht werden. Das ist die Grenze.

Grüne und FDP mussten den Kanzler wochenlang drängen. Warum handeln Scholz und die SPD immer erst nach langem Zögern?

Wir haben mit der Lieferung von Kampfpanzern jetzt eine große Entscheidung getroffen, die der Ukraine helfen wird. Aber das ist kein Grund zum Jubeln. Es ist eine Entscheidung, die man gut abwägen musste. Jede Leichtigkeit ist fehl am Platz.

Als Alternative zur militärischen Verteidigung der Ukraine gegen den Aggressor Russland werden gern „Verhandlungen“ beschworen. Unter welchen Umständen könnte es aus ihrer Sicht dazu kommen?

Mit Verlaub, Russland hat die Ukraine angegriffen, mit Panzern, Raketen. Es hat Städte und Dörfer besetzt, Männer, Frauen und Kinder werden getötet, gefoltert, verschleppt. Die russische Armee zerstört gezielt Wasserversorgung und Stromversorgung. Wer eine Alternative zur militärischen Verteidigung der Ukraine will, verlangt, dass sie sich von Putins Russland niederrennen lässt. Das gesagt: Glauben Sie mir, es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht wünsche, dass der Krieg ein Ende hat. Aber für Verhandlungen muss die Ukraine in eine militärische Situation kommen, die ihr erlaubt, ihre territoriale Integrität wiederherzustellen.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wo steht die Energiewende in Deutschland heute?

Bei vier.

Wo steht Deutschland, wenn die Legislaturperiode zu Ende ist?

Bei sechs. Acht ist 2030 und 9,5 ist 2040 erreicht. 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Die Vorgaben sehen vor, dass wir bis 2040 die CO2-Emissionen um 88 Prozent reduziert haben müssen. Die letzten 10 oder 12 Prozent sind sicherlich die schwersten. Aber die entscheidende Frage ist: Schaffen wir 90 und 95 und bleiben nicht bei 40 oder 45 stehen? Damit wären die großen Bereiche Verkehr, Gebäude und Energie umgestellt.

Wie kommt die Energiewende jetzt tatsächlich voran, werden wirklich plötzlich schnell viele Windräder gebaut?

Da bin ich zuversichtlich. Mir ist aber noch etwas wichtig, nämlich, dass wir bei der Energieeffizienz vorankommen. Energieverbräuche runterbringen ist genauso Teil der Energiewende. Das bringt Unternehmen große Effizienzgewinne, sprich: wirtschaftliche Vorteile.

Mit der Atom-Entscheidung des Bundeskanzlers ist ja das Energieeffizienzgesetz versprochen worden. Warum ist es noch nicht da?

Wir haben das Gesetz geschrieben, noch mal überarbeitet, was ich selbst wichtig fand, jetzt liegt es in der Ressortabstimmung.

Muss der Kanzler dafür gegenüber der FDP noch ein sogenanntes Machtwort sprechen?

Es ist klar, dass das Gesetz zeitnah kommen muss.

Was heißt zeitnah?

Von unserer Seite aus sind wir fertig.

Ist die Atomdebatte wirklich erledigt?

Die Atomdebatte spielt keine Rolle mehr.

Die FDP hat es immer wieder probiert.

Ende des Winters werden die drei letzten AKWs abgeschaltet. Punkt.

Haben Sie schon Pläne für den 15. April, Mitternacht, wenn die letzten AKWs vom Netz gehen sollen?

Um Mitternacht werde ich hoffentlich schlafen.

Sie behaupten immer, Lützerath sei das „falsche Symbol“ für die Forderung nach Klimapolitik, die das Paris-Abkommen einhält. Welches wäre denn das richtige?

Lützerath ist per Gesetz das Ende des Braunkohleabbaus, nicht das Weiter so. Welches Symbol das richtige ist – nun, das wird die Klimabewegung selbst finden. Es kann nur schiefgehen, wenn ein Energieminister ihr sagen würde, wo sie demonstrieren soll.

Nach den Erfahrungen der letzten Wochen: Würden Sie mit Blick auf Lützerath etwas anders machen?

Wir beenden die Braunkohleverstromung im Westen acht Jahre früher als vorgesehen. Wir halbieren die Menge des erlaubten Braunkohleabbaus. Wir retten fünf Orte und drei bewirtschaftete Höfe. Wir schaffen Planungssicherheit, damit in Wasserstoffkraftwerke investiert wird. Deshalb: Nein. Die Lösung konnte nur so gefunden werden, wie wir sie gefunden haben. Sie war energiepolitisch nötig und klimapolitisch richtig.

Erwarten Sie eine zunehmende Verhärtung zwischen Aktivismus und Staat?

Es ist nicht akzeptabel, wie Polizistinnen und Polizisten pauschal verunglimpft werden und wie ein Teil der Aktivisten nach einer „Welt ohne Polizei“ ruft. Polizistinnen und Polizisten setzen jeden Tag ihre eigene Sicherheit für die Sicherheit anderer aufs Spiel. Die Polizei ist Teil unseres demokratischen Rechtsstaats. Wenn es Vorwürfe gegen Polizisten gibt, werden sie aufgeklärt, wie es Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul gesagt hat.

Umgekehrt erwarte ich, dass sich die Klimabewegung glasklar von Gewalt distanziert. Ohne Hintertür. Gerade Klimaschutz handelt davon, Freiheit und Leben in einer Demokratie zu schützen. Und Gewalt ist kein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Diese Frage finde ich viel relevanter als die, wie die Klimabewegung und die Grünen klarkommen. Für eine Regierungspartei ist es die logische Konsequenz, in einem Spannungsverhältnis zu einer Bürgerbewegung zu stehen.

Die Spannung haben Sie aber auch innerhalb der Partei. Grüne Beschlüsse in der Regierung, grüner Polizeipräsident setzt sie durch – gegen Grüne Jugend im Widerstand?

Das zeigt nur, wie weit wir gesellschaftlich verankert sind.

Die romantische Illusion gibt es bei manchen immer noch, in der Opposition moralisch unantastbar zu bleiben und dabei den größeren Unterschied machen zu können?

Nein. Die Partei will regieren. Das ist ganz anders als in einer Zeit, die ich noch eher aus der Halbdistanz beobachtet habe. Damals hieß es: In der Regierung muss man so schwierige Entscheidungen treffen. Gehen wir lieber raus. Heute heißt es: Geht es nicht schneller? Kann man nicht mehr umsetzen? Gibt es nicht machtpolitische Hebel, die wir noch nicht gezogen haben? Ich finde das gut.

Einige Grüne finden, Sie sollten in der Regierung mehr Konfrontation wagen, härter verhandeln.

Quelle          :          TAZ-online          >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben     —     Wahlkampf Landtagswahl NRW 2022 von Bündnis 90/Die Grünen auf dem Heumarkt in Köln. Zu Gast waren Robert Habeck (Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz) und Spitzenkandidatin Mona Neubaur

Ein Kommentar zu “„Lassen wir das Rumnölen!“”

  1. Jimmy Bulanik sagt:

    Die Grüne Jugend stellt eine Hoffnung dar. Besonders die Grüne Jugend in Göttingen https://www.gruene-goettingen.de/gruene-jugend sind ein Vorbild. Nicht nur in NRW wie Lützerath. Darum ist es sinnig die Organisation mittels Spenden zu unterstützen. https://gruene-jugend.de GRÜNE JUGEND Bundesverband, IBAN: DE45 1009 0000 2627 7040 06, Berliner Volksbank

    Je mehr die Grüne Jugend die Solidarität erfährt, desto mehr unterstützt es die anderen Gruppen der ökologisch-sozialen Bewegung wie FFF etc. Die Spenden an die Grüne Jugend (KV Göttingen) können gegenüber der zuständigen Finanzverwaltung geltend gemacht werden. Was für alle ein Vorteil ist.

    Jimmy Bulanik

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