Landtagswahl 2022 – Saar
Erstellt von DL-Redaktion am Mittwoch 23. März 2022
Wo jeder einen kennt, der einen kennt
Von Christoph Schmidt-Lunau
An der Saar sind sich Politiker gerne behilflich. Von kleinen Fehlern im Lebenslauf, üppigen Gehältern beim Landessportverband und einem gescheiterten Sparkassendeal.
Im Saarland erzählen sie gerne Geschichten über den Zusammenhalt. Diese besondere Verbundenheit gehe zurück auf den Bergbau unter Tage, wo jeder auf den anderen angewiesen war. Das prägt, auch wenn sie sich selbst auf die Schippe nehmen: „Wenn ein Saarländer eine Briefmarke kauft, dann geht er nicht durch den Haupt-, sondern durch einen Nebeneingang; er hofft in der Post einen Freund zu treffen.“ Ein „gudder Bekannter“ besorgt auch Briefmarken zum günstigeren Sonderpreis. „Jeder kennt einen, der einen kennt“, so preist Ministerpräsident Tobias Hans, CDU, die verzweigten Beziehungen und Familienbande im Saarland. Der 44-Jährige weiß davon aus eigenem Erleben.
Als der Aktivist der Jungen Union und angehende CDU-Funktionär im Jahr 2006 die Politik endgültig zu seinem Beruf machte, war sein Vater, Peter Hans, CDU-Landtagsfraktionschef. Sohn Hans wurde „wissenschaftlicher Referent“ der Fraktion, anschließend „persönlicher“ eines Landesministers. 2009 zog er als Abgeordneter in den Landtag ein, 2012 stieg er zum Landtagsfraktionschef und 2014 zum Ministerpräsidenten auf.
Kurz vor seiner Wahl zum MP musste Hans junior allerdings seinen Lebenslauf bearbeiten. Er hatte den Abbruch seines Universitätsstudiums verschleiert, indem er sich als „Informationswissenschaftler“ vorstellte. Auch die erste berufliche Station vor der Politik war geschönt. Hans war nicht wirklich „wissenschaftlicher“, also diplomierter Mitarbeiter in der psychiatrischen Fachklinik Neunkirchen-Münchwies“ gewesen, es war ein studentischer Nebenjob.
Aber auch ohne Studienabschluss ist Hans inzwischen oberster Dienstherr der Hochschulen des Landes, denn das Wissenschaftsressort wird aus der Staatskanzlei geführt. Ihm haben die Familienbande sicher eher genutzt als geschadet.
Dramatisch anders ist es seinem Weggefährten Klaus Meiser, 67, ergangen. Der Volljurist war Innenminister, CDU-Landtagsfraktionschef, zuletzt Landtagspräsident und galt sogar als möglicher Kandidat für das höchste Amt. Meiser musste 2018 von allen Ämtern zurücktreten, weil er seine gute Beziehungen und Verbindungen allzu geschäftstüchtig versilbert hatte. Als Präsident des Landessportverbands hatte er nicht nur ein üppiges Salär bezogen, zusätzlich zu den Diäten des Landtagspräsidenten. Wegen Untreue und Vorteilsnahme verurteilte das Landgericht Saarbrücken den zweifachen Ex-Präsidenten rechtskräftig zu einem Jahr und zehn Monaten Haft und einer Geldstrafe von 60.000 Euro zur Bewährung. Meiser hatte seiner Lebensgefährtin und Büroleiterin einen lukrativen Nebenjob im Landessportverband (LSVS) verschafft, ebenso seinem Fahrer. Private Essen wurden mit der Dienst-Kreditkarte bezahlt, der Koch der defizitären LSVS-Kantine bezog das das Gehalt eines Sterne-Cuisiniers. Der privat zugelassene Schulbus eines Präsidiumsmitglieds lief auf Verbandskosten, der rechnete sogar EDV-Einrichtungen über den Verband ab.
Vor der Landtagswahl 2017 überreichten unter Meisers Verantwortung mehrheitlich CDU-PolitikerInnen Schecks im Wert von insgesamt 55.000 Euro an Kultur- und Sporteinrichtungen. Innenminister Klaus Bouillon (CDU) durfte sich über eine große Feier zu seinem 70. Geburtstag freuen. Die fünfstellige Rechnung sollte der Sportverband übernehmen. Bouillon, dem eigentlich die Rechtsaufsicht über den LSVS oblag, kam mit einem blauen Auge davon. Die vom Sport bezahlte Sause habe er „nicht gewünscht“, beteuerte er und bezahlte nachträglich eine überschaubare Rechnung aus eigener Tasche. Die jahrelange Machenschaften hatten Bouillon und seine Fachabteilung zuvor nicht erkannt. Jahr für Jahr hatte der LSVS über seine Verhältnisse gelebt, am Ende stand ein Millionendefizit.
„Mach’s gudd, awwer nid se ofd! Schaff, awwer nid se viel!“ Nur nicht zu viel arbeiten. Im Saarland geht es grundsätzlich um ein gesundes Verhältnis zwischen dem Geschaff und gutem Leben. „Hauptsach, gudd gess!“ ist das Motto, und „Wann mier gudd gess hann, hann mier aach schnell geschaffd!“
Ähnlich tiefgründige Volksweisheiten, wie sie der Schriftsteller Georg Fox als saarländisches Grundgesetz aufgeschrieben hat, standen auch am Beginn der Legislaturperiode im Saarbrücker Landtags. Alterspräsident Josef Dörr (AfD), damals 78, durfte reden. Im Vorfeld war spekuliert worden, ob der pensionierte Schulrektor die Gelegenheit zu nationalistischen oder rassistischen Ausfällen nutzen würde. Zur allgemeinen Überraschung trug Dörr lediglich Gedichte und Sinnsprüche in den Mundarten des Saarlands vor, die SaarländerInnen selbst nennen es „Platt“. Eingeweihte erklärten die unerwartete Zurückhaltung des Seniors so: Er habe „den Klaus“ nicht verärgern wollen, hieß es hinter vorgehaltener Hand. Der später wegen Untreue gestürzte CDU-Grande Meiser war da noch amtierender Landtagspräsident. „Klaus“ und „Josef“ kannten sich aus der CDU, sie sind Nachbarn. Dörr war gerade mit der AfD in den Landtag eingezogen, die Krönung seiner politischen Laufbahn. Er mochte es sich mit dem Präsidenten nicht verderben, bekam später Räume, Mitarbeiter, Fahrer und Dienstwagen, wie es seiner Fraktion zustand.
In der letzten Landtagssitzung vor dem Wahltermin wurde Innenminister Klaus Bouillon mit Dankesreden und Applaus verabschiedet, ebenso wie der Grandseigneur der saarländischen Politik, der ehemalige Saarbrücker Oberbürgermeister, Ministerpräsident, Bundesfinanzminister, SPD-Parteichef und Linken-Parteigründer Oskar Lafontaine. Am Tag danach sollte „Oskar“ spektakulär seinen Austritt aus der Partei verkünden, die er selbst mitbegründet hatte.
Lafontaine, Jahrgang 1943, ein Roter, dem die SPD schließlich nicht rot genug war, Bouillon, Jahrgang 1943, ein konservativer Schwarzer. Wie Lafontaine machte sich auch Bouillon zunächst in der Kommunalpolitik einen Namen. In der Krise des Bergbaus und der saarländischen Stahlindustrie schafften beide den Neustart ihrer Städte, Lafontaine als der unumstrittene Saarbrücker Rathauschef, Bouillon als Bürgermeister von St. Wendel. Sie sorgten mit guten Ideen und besten Verbindungen für kluge Investitionen. Beide setzten dabei ausdrücklich auch auf die sogenannten „weichen“ Standortfaktoren, Kultur und Wissenschaft, begründeten Festivals mit überregionaler Ausstrahlung. Bis heute haben sich die beiden etwas zu sagen.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Plenarsitzung am 21. Juni 2017 im Landtag des Saarlandes -CDU Fraktionsvorsitzender Tobias Hans
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Unten — Klaus Bouillon, Mayor of St. Wendel, Germany during the first city marathon in 2007