Kulturelle Grundwerte?
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 1. Mai 2018
Die Scheinfreiheit der Bibel
Heinz-Werner Kubitza
Konservative betonen gern unsere christlichen Wurzeln. Tatsächlich hat sich unsere moderne Gesellschaft stark in Abgrenzung zum Christentum definiert.
Wissen Sie, was christliche Werte sind? Können Sie welche aufzählen? Mit solchen Fragen kann man Politiker, die sich gerne in Sonntagsreden plakativ auf selbige berufen, leicht ins Schleudern bringen. Meistens hört man dann von Toleranz, von Menschenrechten, Demokratie und der Freiheit des Einzelnen.
In der Tat sind dies wichtige Werte unserer Gesellschaft. Aber sind sie wirklich christlichen Ursprungs? Oder sind es nicht vielmehr Werte der Aufklärung, die, in Gegnerschaft zum Christentum, erst erstritten werden mussten? Beruhen die Grundwerte unserer Gesellschaft tatsächlich irgendwie auf religiösen Fundamenten, wie so oft behauptet wird, gerade wenn beabsichtigt wird, sich gegen den Islam abzugrenzen?
Nehmen wir zum Beispiel die „Toleranz“, die man vielleicht als grundlegenden Wert bezeichnen kann, weil ohne sie eigentlich keine freiheitliche Gesellschaft denkbar ist. Jeder und jede ist anders und darf dies auch sein. Aber ist „Toleranz“ ein christlicher Wert? Sicher nicht, denn das Christentum ist fast über die gesamte Zeit seines Bestehens mit dem Gegenteil, nämlich der Intoleranz eines absoluten Wahrheitsanspruchs, aufgetreten. Es gab nur die eine christliche Wahrheit, und diese galt es anzuerkennen. Der Weg zum „Heil“ war klar vorgegeben, und nur die Gläubigen konnten der Hölle entgehen. Das Nichtchristliche war ein Vergehen, gegen das Staat und Kirche gemeinsam vorgingen.
Aufruf zur Verfolgung
Besonders die Juden haben unter der Intoleranz eines rechthaberischen Christentums immer übel leiden müssen. Noch im 20. Jahrhundert galt Toleranz in kirchlichen Kreisen als höchst anrüchige Haltung, und besonders die katholische Kirche sah in ihr noch bis zum zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren eine Anfechtung des Teufels.
Ohne den Grundwert der Toleranz können jedoch auch die Menschenrechte insgesamt keine sichere Grundlage haben. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, formuliert unser Grundgesetz an prominenter Stelle. Dem stimmen moderne Christen zwar gerne zu und meinen ähnliche Sätze bereits in der Bibel zu finden. Doch wo andere Menschen schon allein wegen ihres Glaubens verfolgt werden sollen, wozu nicht nur der Koran, sondern leider auch die Bibel an viel zu vielen Stellen aufruft, ist das Wort „Menschenwürde“ noch nicht einmal als theoretischer Anspruch, geschweige denn als Wirklichkeit wahrnehmbar.
Ein wirklicher Freiheitsbegriff konnte so lange nicht aufkommen, wie die (christliche) Religion das gesellschaftliche Leben bestimmte. Denn zur Freiheit, also auch zur Meinungsfreiheit, gehört auch immer dazu, seine Meinung frei sagen zu können, also ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Die christliche Dogmatik aber kennt zwar die Möglichkeit einer Entscheidung gegen Gott, doch wer diese wirklich ergreift, fällt dem göttlichen Gericht anheim. Die römisch-katholische Dogmatik sieht sogar heute noch für all diejenigen, die den Katholizismus kennen gelernt haben, aber sich dennoch nicht zu ihm bekennen – was unter anderem auf alle Protestanten zutrifft –, nicht weniger als die ewige Folter in der Hölle vor. „Christliche Freiheit“ reicht eben nur so weit, bis man sich „falsch“ entschieden hat.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Gutenberg-Bibel, ausgestellt in der New York Public Library
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Author | Joshua Keller |
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Unten — Südwestdeutsche Roma werden am 22. Mai 1940 am hellen Tag durch Asperg zur Deportation geführt. (Bild der RHF)