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Kriminalisierung des Volkes

Erstellt von Redaktion am Samstag 19. Dezember 2020

Dann machen wir eben neue Pläne

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Von Lin Hierse

Die Erzählung des „beschissenen Jahres 2020“ hat ein bisschen geholfen. Sie hat sogar ganz gut funktioniert, solange der Jahreswechsel noch nicht in Sichtweite war. Weil man eben manchmal eine:n Schuldige:n braucht. Und der reflexhafte Ausruf nach dem „Scheißjahr“ hat die maximale Hoffnung mitgetragen, dass im nächsten Jahr alles besser wird – und sich diese Besserung bitte schon an Weihnachten einzustellen hat. Vielleicht geht 2020 einfach als verlorenes Jahr in die Weltgeschichtschronik ein, aber immerhin ist es fast geschafft. Nur noch zwölf Tage bis Silvester! Noch zwölf Tage bis zum Neuanfang!

Die Realität sieht anders aus. Dass die Wunschvorstellung von der Erlösung vom Coronamarathon zum Jahresende nicht eintritt, ist längst klar. Wir verstehen diesen Umstand trotzdem nur sehr langsam, haben aber keine Wahl mehr. Während wir uns im Sommer noch einreden konnten, der Winter würde niemals kommen, meldeten die Gesundheitsämter dem Robert Koch-Institut am ­letzten Dienstag 952 Todesfälle. Neunhundertzweiundfünfzig Menschen, die an oder im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben sind. In 24 Stunden.

Deutschland hat bewiesen, dass es kollektive Eigenverantwortung nicht kann. Viele haben sich im Einzelnen Mühe gegeben, aber alle zusammen nicht genug. Wohlstandsmenschen glauben selbst in einer Pandemie noch daran, unverwundbar zu sein. Politisch Verantwortliche zeigen, dass sie oft noch zu viel europäische Arroganz in sich tragen, um von anderen Ländern und Gesellschaften lernen zu wollen. Und wir? Wir sind jetzt noch ein bisschen ekelhaft zueinander, weil wir spüren, wie ungleich und ungerecht unsere Gesellschaft ist. Schieben Schuld zu und wälzen Verantwortung auf andere ab. Manchmal landet beides bei uns selbst. Manchmal finden wir, dass wir doch alles richtig machen, während andere egoistisch sind. Wir pendeln zwischen Wut und Resignation, weil wir doch wenigstens auf Weihnachten gehofft hatten, auf den Jahreswechsel. Auf eine Belohnung, auf ein „Wie immer“.

Zwischen den Jahren ist eigentlich die einzig sinnvolle fünfte Jahreszeit. Ein Dazwischen-Raum, in dem die Welt gleichzeitig stehen bleibt und sich weiterdreht – ein bisschen so, als wäre ein Kind neu geboren oder ein Mensch gerade verstorben. Als würde man kurz nicht nur wissen, sondern auch ganz stark spüren, was wirklich wichtig ist im Leben. Als wäre man für einen kurzen Moment genau gleich viele Schritte von Vergangenheit und Zukunft entfernt.

Durch Pläne geben wir der Zeit einen Sinn

Diese Zeit hebt sich heraus aus dem Alltagstrott, weil wir entschieden haben, dass sie symbolisch ist. Menschen zählen an Silvester von zehn bis „Happy New Year!“ runter, obwohl die Sekunde nach Mitternacht gar nichts ändert. Aber sie steht für so viel. Für den Wunsch nach, nun ja, Happiness eben. Für einen neuen Kalender, neue Möglichkeiten, neue Pläne. Normalerweise.

Pläne zu schmieden, hilft dabei, eine positive Grundeinstellung zu behalten. Durch Pläne geben wir der Zeit einen Sinn. Pläne strukturieren Tage, Wochen und Monate. Pläne können auch Belohnungen sein, auf die wir uns freuen. Seit Corona ist das anders. Wir können nichts mehr planen, jedenfalls nicht so, wie wir es gewohnt sind.

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Auch Menschen hinter Gitter – lassen sich einfacher füttern. Es wurde auch schon als Freiheitsberaubung bekannt.

Nun ist Lockdown, nicht light, sondern heavy. „Wie immer“ ist aus guten Gründen abgesagt, und es tut natürlich immer weh, schöne Pläne kurz vor Schluss absagen oder ändern zu müssen. Aber wir sind nun mal weder „fast da“, noch wissen wir genau, wie diese Zeit aussieht, in der wir nach Corona ankommen sollen.

Es gibt keine Garantie mehr für die alten Pläne, und schon gar kein selbstverständliches Recht auf sie – eigentlich hätte uns die Klimakrise schon längst in diesen Zustand versetzen müssen. Keine Garantie für den nächsten Sommerurlaub, keine Garantie für einen ausgelassenen Geburtstag und keine Garantie für Sicherheit. Jedenfalls nicht unter den alten Bedingungen.

Für viele Menschen und Gesellschaften auf der Welt ist dieser Zustand der Unsicherheit längst Alltag. Keine Pläne mehr machen können wie früher, weil der Fluss seit Jahren droht, das Dorf zu überschwemmen. Weil das nächste Feuer das Zuhause auffressen könnte. Weil man im Kugelhagel sein Leben verlieren kann. Nicht genug zu essen hat.

So viele Menschen auf der Welt spüren jeden Tag, dass das Leben unfair ist und sie manches nicht in der Hand haben. Viele von ihnen haben auf ganz unterschiedliche Arten Resilienz entwickelt, sie sind geübt in Kreativität, Spontanität und Improvisation. Das sind zunehmend wichtige Fähigkeiten, nicht erst seit der Pandemie, aber durch sie noch verstärkt. Von diesen Menschen können wir viel lernen. Nicht Leben mit Resignation, sondern wie man sich von alten Plänen verabschiedet und neue, den Umständen entsprechende, zeitgemäße Pläne macht.

Quelle        :         TAZ       >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben      —          A graphical representation of Lock-down during Covid 19

Author Sanu N     —       Source   /   Own work
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