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Krieg und Frieden im Land

Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 26. Februar 2023

„Alles ein bisschen schizo“

Von Josef-Otto Freudenreich

Es gibt Menschen, die nicht an Panzer als Friedensbringer glauben. Sie finden sich auf der Ostalb und in einem kleinen Ort bei Tübingen, in der SPD und sogar bei den Grünen.

Ein Oberstleutnant aus Hamburg spricht auf einer Friedensmatinee in Aalen, zu der Leni Breymaier, eine linke Sozialdemokratin, Markenzeichen rote Brille, in die Räume der IG Metall einlädt. Eine gewagte Kombination, weil, was soll ein Soldat sagen, über dessen Kasernentor stand: Si vis pacem para bellum. Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor.

Falko Droßmann, 49, Drei-Tage-Bart, sauber gezogener Scheitel, sagt: „Schauen Sie sich doch mal die Sponsorenliste der Münchner Sicherheitskonferenz an.“ Anfänglich hieß sie „internationale Wehrkunde-Begegnung“, womit ihr Zweck klarer definiert war. Und tatsächlich, dort trifft sich die Creme der Rüstungsindustrie: Lockheed Martin, Airbus, Rheinmetall aus dem Wahlkreis von Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Krauss-Maffei, Hensoldt, dazu noch Datensammler wie Google und Palantir, aber auch Goldman Sachs und die EnBW. Alles Profiteure eines langen Krieges, betont der Offizier. Die Spannung im Saal steigt.

Kurzer Ortswechsel. Am selben Tag verkündet in München Ursula von der Leyen, CDU, die Präsidentin der EU-Kommission, sie dächten daran, der Rüstungsindustrie subventionsmäßig unter die Arme zu greifen. Ähnlich wie der Pharmaindustrie zu Coronazeiten, als die Impfstoffe knapp waren. Dem Militär mangelt es derzeit an Munition, weniger an Geld. Laut Friedensforschungsinstitut Sipri sind die Rüstungsausgaben 2022 auf einem Rekordhoch angekommen: Spitzenreiter sind die USA mit 801 Milliarden Dollar, gefolgt von China mit 293 Milliarden, auf Platz fünf rangiert Russland mit 66 Milliarden Dollar, Rang sieben belegt Deutschland mit 52 Milliarden Euro.

Ein Offizier warnt vor der „Banalisierung“ des Kriegs

In Aalen überrascht der Gast aus Hamburg das Publikum mit der Bemerkung, es werde nicht glauben, „wie viele Unternehmer schon bei mir angeklopft haben“. Wegen künftiger Bauaufträge in der Ukraine.

Um das zu verstehen, muss man wissen, dass der Oberstleutnant seinen Beruf gewechselt hat. Er ist heute Politiker und sitzt seit 2021 für die SPD im Bundestag, dort im Verteidigungsausschuss. Und dennoch: Hier rührt keiner die Kriegstrommel, wie so viele in Medien und Politik, hier warnt einer vor der „Banalisierung“ des Krieges, vor einem leichtfertigen Umgang mit dessen Rhetorik, die Panzern Tiernamen gibt, den Tatbestand verschleiernd, dass sie Tötungsmaschinen sind. Der Oberstleutnant hat viele Auslandseinsätze hinter sich und wünschte sich, dass alle, die nach mehr Waffen riefen, einmal schauten, was sie anrichten. Außenministerin Annalena Baerbock, Grüne, gilt dabei sein besonderes Augenmerk.

Diese Überbietungsspirale, befeuert durch eine publizistische Begleitung, die Bellizisten für klug und Pazifisten für dumm hält, sei „schwer auszuhalten“, sagt Droßmann und verweist auf einen, der sich dieser Dichotomie zu entziehen versuche: Olaf Scholz. Der Kanzler sei noch der einzige, der mit Putin telefoniere, vielleicht noch Frankreichs Präsident Macron, betont er, auch im Hinblick auf die Zukunft. Deutschland müsse der „Motor einer Zusammenarbeit“ mit Russland sein – nach dem Krieg. Das hat die SPD einst Entspannungspolitik genannt.

Im Krieg geboren, im Krieg sterben? Nein!

Droßmann trifft den Nerv seines Publikums. Es will verhandeln, einen Waffenstillstand, den Krieg stoppen. Helmut Schmidt wird zitiert: „Lieber 100 Stunden verhandeln, als eine Sekunde schießen.“ Wie das heute geht, wer mit wem, zu welchem Preis, das weiß auch auf der Ostalb niemand genau, zumindest nicht hier unterm Dach der IG Metall, die den Frieden in ihrer Satzung hat, aber auch genau auf die Arbeitsplätze in den Waffenschmieden schaut. Die einstige Losung „Schwerter zu Pflugscharen“ hat es nicht zur Produktionsreife gebracht.

Der Älteste im Saal drückt aus, worum es letztlich geht. „Ich bin im Krieg geboren und will im Krieg nicht sterben“, sagt Alfred Geisel, und je länger er redet, um so eindringlicher wird seine Stimme. Er habe die Bombennächte im Zweiten Weltkrieg durchlitten, erzählt der 91-Jährige, erlebe heute, was er nicht für möglich gehalten habe, diesen „irrsinnigen Krieg“ in der Ukraine, der ihm wieder schlaflose Nächte bereite, und man rede nicht mehr über Diplomatie, nur noch über Panzer. Dieser „Wahnsinn“ müsse beendet werden, und zwar sofort. Was ist überzeugender? Sein persönliches Erleben oder die Analysen der Sofa-Strategen, die Putin zu Verhandlungen bomben wollen?

Brandt with Richard Nixon, 1971

Geisel war viele Jahre eine wichtige Figur in der Landespolitik. (Seine Tochter Sofie übrigens OB-Kandidatin in Tübingen anno 2022 gegen Boris Palmer.) Von 1972 bis 1996 saß er als SPD-Abgeordneter im baden-württembergischen Landtag, 16 Jahre davon als Vizepräsident. Es war auch die Zeit der sozialliberalen Koalition und der Neuen Ostpolitik, die sich einen Wandel durch Annäherung auf die Fahnen geschrieben hatte, erkennend, dass Alles oder Nichts keine Option mehr war.

In Ellwangen war Willy Brandt ein Verräter

Auf der stockkonservativen Ostalb hat der Erkenntnisprozess länger gedauert. Im Juni 1973 stand Geisel vor dem Ellwanger Bahnhof, zusammen mit Willy Brandt, der das Kinderdorf „Marienpflege“ besuchen wollte. Statt einer Abordnung örtlicher Honoratioren und des Blasmusikvereins empfing sie ein Trupp junger Unionisten („Brandt an die Wand“), die den Kanzler als vaterlandslosen Gesellen und Verräter beschimpfte. Seitdem weiß Geisel, wie schwierig die Sache mit der Vernunft ist. (Ein weiteres Beispiel ist Stuttgart 21. Wegen des brutalen Wasserwerfereinsatzes am Schwarzen Donnerstag hat er 2010 seine Verdienstmedaille an der Pforte des Staatsministeriums von Stefan Mappus abgegeben.)

Quelle          :    KONTEXT: Wochenzeitung-online        >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —     Ein Portrait von Leni Breymaier. Sie sitzt mit rotem Oberteil und roter Brille auf einer Bank.

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2.) von Oben     —       

Brandt with Richard Nixon, 1971

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