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Kretschmer seine Sachsen

Erstellt von Redaktion am Sonntag 22. April 2018

Unter Sachsen

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Zwei Grinsende Gesichter im Tentrum – da bleibt nur die rechte Ecke

Von Thomas Gerlach

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer reist durch sein Bundesland und sucht das Gespräch mit dem Volk. Warum? Weil die Entfremdung zwischen der CDU und den Leuten so groß wurde, dass diese bei der letzten Bundestagswahl massenhaft zur AfD rannten

Die graue Halle ist wie ein geschliffenes Raumschiff – herabgekommen in die Oberlausitz mit ihren Bergkuppen, Wäldern und Kirchtürmen. In Schönbach ist der Klotz, groß wie ein Fußballstadion, am Dorfrand gelandet und hat die Pforten geöffnet. Von Zeit zu Zeit eilen Arbeiter hinein, ohne Hektik zu verbreiten. Plötzlich biegt ein Konvoi um die Ecke und hält auf das Mitteltor zu. Der Wagen stoppt, die Beifahrertür öffnet sich, und schon springt Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, heraus. Er marschiert durch das Werkstor der Gebrüder Frindt GmbH und bleibt vor der weltgrößten Abkantpresse stehen.

Oder haben die Chinesen eine größere? Ein Ingenieur sinniert kurz. Egal. Was die Gebrüder Frindt in Schönbach geschaffen haben, hat das Zeug zur Erfolgsgeschichte. Die passt gut zum Aufbruch, zum Frühling und zu dem 42 Jahre alten Burschen, der seit 13. Dezember 2017 den Freistaat Sachen regiert und sich jetzt von einem Arbeiter die Abkantmaschine erklären lässt. Zehn Meter breit, zehn hoch steht sie in der Halle – ein Papierschneider für Riesen.

Wie ein Hänfling in dunkelblauem Anzug wirkt Kretschmer, den Kopf schräg geneigt, vor dem Ungetüm. Ein Politiker im Gespräch mit einem Mann aus dem Volke, aufmerksam, neugierig, zugewandt. Das ist schon ein prima Bild für den Tag. Schade nur, dass der Arbeiter das Monstrum nicht zum Leben erweckt. „Zu laut!“, winkt er ab. Kretschmer hätte kein Wort verstanden. Und er solle doch wissen, wo die Steuergelder geblieben sind, feixt der Kerl. Die Gebrüder Frindt führen Kretschmer weiter durch ihr metallenes Reich, ein Unternehmen aus der Lausitz – global erfolgreich und heimatverbunden.

Wie verwandelt wirkt die Welt an diesem Frühlingstag. Und mit ihr Michael Kretschmer. Gleich einem Hans im Glück läuft er durch die Hallen. Die schlanken Hosenbeine verleihen ihm etwas Dynamisches, als würden sich darunter Federn verbergen. Kretschmer blickt zu den Hochregalen, schaut auf die Paletten zu seinen Füßen. Noch vor einem halben Jahr lag er genauso am Boden wie die Stahlplatte, herabgesunken vom Gipfel der Bundespolitik in die Bedeutungslosigkeit von Ostsachsen, von wo er einst aufgebrochen war.

Der 24. September, der Tag der Bundestagswahl, endete für Kretschmer mit einem Debakel. Er verlor seinen Wahlkreis, in dem er viermal triumphierte, an einen Nobody, einen der AfD-Dämonen, die aus den Tiefen der Provinz auftauchten, um die politische Landschaft umzuwühlen. Kretschmers Dämon ist der Malermeister Tino ­Chrupalla. Der AfD-­Kreisvorsitzende holte sich mit 32,4 Prozent der Stimmen das Mandat. Kretschmer, seit 2009 stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, kam auf 31,4 Prozent.

Ausgerechnet Kretschmer, der sich ab 2015 als rechtgläubiger Fels in einer sandweich gewordenen Merkel-CDU profilierte, der als Generalsekretär die Sachsen-CDU nach Bayern ausrichtete, der gemeinsam mit der CSU Heimat und Patriotismus als Kraftquell pries. Ausgerechnet Kretschmer war das prominenteste Opfer beim Aufstieg der AfD zur bundesweit drittstärksten Kraft. In Sachsen aber kam sie mit 27 Prozent auf Platz eins. Die CDU, seit der Wiedergründung des Freistaates 1990 unangefochten die stärkste Partei, war entthront. Im Sommer 2019 ist Landtagswahl. Sollte Kretschmer kein Gegengift finden, könnte Sachsen das erste Bundesland werden, in dem die AfD nicht nur einzelne Kreise erobert, sondern einen ganzen Flächenstaat.

Jetzt noch mit den Gebrüdern Frindt ein Foto, schon zieht der Tross von dannen. Erleichtert zündet sich der Bürgermeister eine Zigarette an. Seit dem denkwürdigen Jahr 1990, erzählt er, ist er der Dorfschulze. 28 Jahre Politik für die Menschen im Auftrag der CDU. Einmal hat er dafür eine Urkunde erhalten – und im vorigen Jahr einen Denkzettel: In Schönbach hat die AfD im September mit 46,9 Prozent das deutschlandweit höchste Ergebnis erzielt.

In den übrigen Kommunen des Landkreises sah es allerdings nicht anders aus. In 46 von 53 Gemeinden lag die AfD vorn, nur in 7 die CDU. Deshalb diese Idee: Der neue Ministerpräsident sollte mit seinen Bürgern ins Gespräch kommen, eine Art Stammtisch wäre gut, ein „Sachsengespräch“, wo jeder das Wort ergreifen kann und Kretschmer erst mal zuhört. Anfang Februar hat Kretschmer im Erzgebirge erstmals dazu eingeladen. Dort begann seine Tour durch die Landkreise, Kretschmers Heimat war die fünfte Station.

Quelle  :   TAZ         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen    :

Oben    —     Präsidium mit Bundeskanzlerin Angela Merkel beim 27. Landesparteitag der Sächsischen Union am 17. November 2012 in Leipzig

 

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