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Kooperation+Zurückhaltung

Erstellt von Redaktion am Montag 14. Februar 2022

Für eine neue deutsch-europäische Sicherheitspolitik

Die Sicherheitspolitik des Westens steckt in einer tiefen Krise: Das zeigte sich zuletzt eindrücklich in Afghanistan, wo es einem lokalen bewaffneten Akteur gelang, die westlichen Truppen in einem jahrzehntelangen Krieg zu zermürben. Während die globale Dominanz der USA zunehmend in Frage gestellt wird, gewinnt China regional wie global an Macht und Einfluss. Zugleich rüsten viele Staaten auf, eine Rüstungskontrolle findet jedoch kaum noch statt. Mit der Folge, dass die Friedlosigkeit in der Welt insgesamt zunimmt. Daneben gewinnen globale Probleme, wie der Klimawandel, der Verlust an Biodiversität und Pandemien immer mehr an Bedeutung.

Welche Auswirkungen haben diese Entwicklungen für eine deutsche Sicherheitspolitik, die dem im Grundgesetz verankerten Ziel, „dem Frieden in der Welt zu dienen“, verpflichtet ist? Und wie kann diese zukunftsorientiert ausgerichtet werden? Das Spektrum der möglichen Antworten auf diese Fragen ist vielfältig. Eine Möglichkeit besteht darin, sich sowohl vor den aktuellen Gefahren für den Frieden als auch vor den langfristigen existenziellen Problemen wegzuducken. Eine andere Möglichkeit ist, stark genug zu werden, um die eigenen Vorstellungen davon, wie internationale Ordnung hergestellt werden kann, durchzusetzen – auch gegen den Willen anderer Akteure. Konkret hieße das für den Westen, einschließlich Deutschlands, unter Führung der USA mit allen Mitteln seine Vormachtstellung zu verteidigen und vorrangig den Aufstieg Chinas zu stoppen.[1] Die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock sieht ebendies auch als Voraussetzung für „ein Zusammenspiel von Dialog und Härte“.[2]

Beide Alternativen sind jedoch untauglich. Untätige Akteure werden früher oder später von den Problemen überrannt oder müssen sich dem anpassen, was andere bestimmen. Beispiele für die Konsequenzen solchen Verhaltens bieten etwa die 1930er Jahre, als Nachbarstaaten, aber auch die USA die Aggressivität des deutschen Faschismus lange Zeit unterschätzten.

Doch auch das Streben nach einer Fortsetzung der westlichen Hegemonie stellt einen Irrweg dar. In der jüngeren Vergangenheit haben wir, Stück für Stück, das Scheitern dieser Strategie erlebt. Der „unipolare Moment“ nach dem kampflosen Sieg des von den USA geprägten Modells des liberalen Kapitalismus über den Staatssozialismus unter bolschewistischer Kontrolle wurde dazu genutzt, um Kriege zu führen, auch wenn diese gegen vereinbartes internationales Recht verstießen – wie im Kosovo, im Irak und in Libyen. Und die Vorstellung vom „Ende der Geschichte“, wonach letztlich alle Menschen davon überzeugt seien, dass das westliche Modell alternativlos ist, hat sich nicht erst mit dem unrühmlichen Ende des westlichen militärischen Engagements in Afghanistan als fataler, friedensfeindlicher Fehlschluss erwiesen.[3] Das Festhalten an der Vorstellung, die USA müssten auf ewig die führende Weltmacht bleiben, erschwert den friedlichen Übergang in eine Welt, in der andere Staaten nicht nur ein Vielfaches der Bevölkerung stellen, sondern diese auch in Wirtschaftskraft ummünzen und eine angemessene Rolle in der Gestaltung der Weltordnung beanspruchen.

Die deutsche Sicherheitspolitik muss einen neuen Ort zwischen diesen zwei extremen Alternativen finden. Die Bindung an Staaten mit liberaler Wertorientierung bleibt dabei wichtig, auch mit Blick auf die militärische Komponente. Angesichts der derzeitigen russischen Politik liegt die Erhaltung der Nato als Militärbündnis in deutschem Interesse, denn eine europäische Alternative ist nicht absehbar.[4] Aber zugleich muss die Bereitschaft zunehmen, auch mit jenen Regierungen zusammenzuarbeiten, die weder demokratisch noch liberal sind. Denn in einer globalen Ordnung ohne Hegemon lassen sich vereinbarte Regeln nur kooperativ durchsetzen. Gleiches gilt für die Bearbeitung globaler Zukunftsprobleme. Sicherheitspolitik sollte dabei nicht zum Hemmschuh werden, indem sie Konfrontationen verschärft, sondern sie sollte – etwa durch Rüstungskontrolle – vielmehr Gemeinsamkeit befördern. Weitere Leitlinien zukunftsorientierter Sicherheitspolitik sollten Bescheidenheit und Zurückhaltung sein. Selbst in den Jahren US-amerikanischer Dominanz waren die Ziele begrenzt, die sich mit sicherheitspolitischem Instrumentarium von Militär bis Krisendiplomatie umsetzen ließen. Das gilt umso mehr für die Periode nach dem Ende der Unipolarität.

Die notwendige Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik

Auch im deutschen sicherheitspolitischen Diskurs der vergangenen drei Jahrzehnte dominierte die Vorstellung von der ideologischen Überlegenheit des westlichen Modells, mit den USA als dessen Hüter. Für dessen Sicherung war die deutsche Politik zunehmend bereit, „Verantwortung“ zu übernehmen, nicht zuletzt auch in den Auslandseinsätzen der Bundeswehr in Afghanistan, im Irak und in Mali. Gleichzeitig unterstützte sie die vor allem von Frankreich vorangetriebenen Versuche, neben der von den USA angeführten Nato auch innerhalb der EU eine europäische sicherheitspolitische Dimension aufzubauen, etwa durch die Vereinbarung einer Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats in Artikel 42(7) des EU-Vertrages oder die Schaffung eigenständiger militärischer Planungskapazitäten. Zugleich versuchte sie, gegenüber Russland eine konziliantere Politik zu fahren als die USA. Beides erfolgte allerdings, ohne die Führungsmacht der USA in Hinblick auf die hard security in Frage zu stellen.[5] Diese grob skizzierte Orientierung der deutschen Sicherheitspolitik wird allerdings durch Trends und Tendenzen in der US-amerikanischen Politik selbst in Frage gestellt. Das wurde besonders während der Präsidentschaft Donald Trumps deutlich, hat sich aber mit dem Amtsantritt Joe Bidens nicht grundlegend geändert.[6] Auch Biden macht deutlich, dass für die USA der pazifische Raum sicherheitspolitisch Vorrang hat. Stärker noch als Trump verknüpft seine Administration dies mit einem konfrontativen Vorgehen gegenüber China. Zwar betont der amtierende Präsident im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dass ihm die Nato wichtig sei. Das ändert aber nichts daran, dass für ihn die Eindämmung Chinas eine höhere Priorität hat. Was diese Prioritätensetzung konkret bedeuten kann, wurde mit dem von den USA, Großbritannien und Australien geschlossenen Sicherheitspakt „Aukus“ und der damit verbundenen diplomatischen wie ökonomischen Ausbootung Frankreichs deutlich.

Alle Räder stehen still – wenn die USA es will ?

Allein die laufende Umorientierung der USA erfordert eine Neujustierung der bisherigen deutschen Sicherheitspolitik. Eine Verschärfung der Konfrontation mit China liegt nicht im deutschen Interesse, nicht nur wegen der wirtschaftlichen Aspekte, sondern auch wegen der Gefahren, die in der Veränderung der globalen Machtarchitektur liegen. Eine weitere Verschlechterung des Verhältnisses zwischen den USA und China schwächt die (noch) funktionierenden Elemente der globalen regelbasierten Ordnung, erschwert ein gemeinsames Handeln bei globalen Problemen und birgt zudem die Gefahr eines verheerenden militärischen Konflikts.[7] Ein für den Westen wie China akzeptables Arrangement erfordert Zugeständnisse sowohl von der chinesischen als auch von der US-amerikanischen Führung. Aus westlicher Sicht sind Fragen der Akzeptanz global vereinbarter Regeln zu Menschenrechten und Minderheitenschutz sowie der Verzicht auf militärische Aggression in der Nachbarschaft vorrangig; für die chinesische Seite ist es wichtig, als gleichberechtigter Partner des Westens in der Weltpolitik anerkannt zu sein und dass die USA die provokativen Demonstrationen ihrer Militärmacht in der Region einstellen. Eine zukunftsorientierte deutsche Sicherheitspolitik sollte daher die eigenen Wertvorstellungen aktiv vertreten, zugleich aber der Eskalationsstrategie der USA gegenüber China entgegentreten. Insbesondere in der Frage, ob sich die Nato künftig strategisch gegen China ausrichtet, sollte sich Deutschland verweigern.

Bereitschaft zur Zusammenarbeit und zum Interessensausgleich bilden auch zentrale Bestandteile eines tragfähigen Verhältnisses zu Russland. Zwar kann das nicht bedeuten, auf die Fähigkeit zur Verteidigung des Territoriums verbündeter Staaten zu verzichten. Aber die militärische Dimension der Sicherheitspolitik muss der politischen untergeordnet bleiben und letztere sollte auf Kooperation statt auf Konfrontation abzielen. Eine weitere militärische Eskalation stellt keine zukunftsorientierte Strategie dar. Schon jetzt avanciert die Bedrohung Russlands durch den Westen zunehmend zum zentralen Narrativ Präsident Putins.[8] Eine solche Entwicklung erschwert es, nach Möglichkeiten des Ausgleichs und der Zusammenarbeit mit Russland zu suchen. So mühselig solche Versuche sind, nicht zuletzt aufgrund der russischen Politik in der Ukraine, im eigenen Land und anderswo, so unvermeidbar sind sie für die Sicherheit in Europa.[9]

Die Zukunft der europäischen Sicherheitspolitik

Auch auf die partielle Abkehr der USA von der Nato, die sich bei einer neuerlichen Präsidentschaft Trumps durchaus in eine endgültige verwandeln könnte, muss die deutsche Sicherheitspolitik zukunftsorientiert reagieren. Insbesondere in Mittel- und Osteuropa wächst die Angst vor einer aggressiven Politik Russlands. Dies weckt zugleich Erwartungen nach einem Aufbau militärischer Stärke der Europäischen Union und insbesondere einem stärkeren militärischen Beitrag Deutschlands.

Die Zweifel an der langfristigen Verlässlichkeit der USA sind insbesondere in Frankreich durchaus dankbar angenommen worden. Präsident Emmanuel Macron schwebt – ganz im Sinne vieler seiner Amtsvorgänger – ein militärisch starkes Europa vor, das zwar den Schulterschluss mit den USA sucht, aber zugleich in wichtigen sicherheitspolitischen Fragen zu eigenständigem Handeln fähig ist.[10] Das Vorhaben hat infolge des Brexit-Schocks breiten Zuspruch in der EU gefunden, auch weil es als gemeinsames Projekt den Zentrifugalkräften in anderen Politikfeldern, etwa der Migrationspolitik oder der Rechtsstaatlichkeit, entgegenwirken könnte.

War in Ukraine (34158203791).jpg

Die Idee eines militärisch starken und strategisch eigenständigen Europas auf Augenhöhe mit den USA und China ist allerdings eine Chimäre – aktuell wie auf absehbare Zeit.[11] Grundvoraussetzung dafür wäre ein gemeinsames Entscheidungszentrum, dem sich die Nationalstaaten unterordnen müssten. Zu den größten Gegnern einer solchen Entmachtung der Hauptstädte zählt Frankreich, das zugleich der entschiedenste Befürworter einer Weltmacht Europa ist.[12] Aufgelöst werden soll dieser Widerspruch letztendlich dadurch, dass sich die anderen Mitgliedstaaten der EU den französischen Zielvorstellungen für eine gemeinsame EU-europäische Friedens- und Sicherheitspolitik anschließen und, unter der Führung Frankreichs, des einzig verbliebenen Mitglieds der EU mit Vetorecht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, eine weitgehend eigenständige Rolle in der Weltpolitik anstreben.

Quelle      :      Blätter-online         >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen      :

Oben          —   Das Haus „Bonn“ der [Bundesakademie für Sicherheitspolitik] in Berlin-Pankow.

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2.) von Oben      —   Treffen der Außenminister von Russland (Sergej Lawrow) und USA (Antony Blinken) im Januar 2022

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Unten       —       War in Ukraine

 

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