Kongress Tunix 1978
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 30. Januar 2018
Komm mit, sprachn der Esel
40 Jahre Tunix-Kongress in West-Berlin
Von Philipp Daum, Antje Lang-Lendorff und Johanna Roth
Spontis, Freaks, Theoriestars – der Tunix-Kongress war das Erweckungserlebnis der Alternativen in der Bundesrepublik.
An einem Abend im Dezember 1977 reicht es Stefan König. Zusammen mit Freunden sitzt er an einem langen Esstisch in einer Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg, sie essen, rauchen und reden. Die Berliner kennen sich vom Fußballspielen, aus Kneipen, von der Hochschule. Sie verstehen sich als „Spontis“: Zu jung für die 68er, zu undogmatisch für kommunistische Gruppen. Sie organisieren Uni-Streiks, gehen auf Demos. Aber sie haben bislang vor allem die Erfahrung gemacht zu scheitern. Denn die Auseinandersetzung zwischen Staat und RAF lässt keinen Raum für ihre Themen.
Der Deutsche Herbst liegt hinter ihnen. Die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, die Entführung der „Landshut“, die Suizide der RAF-Mitglieder in Stammheim. Die Bild-Zeitung schreibt im Oktober: „Wer jetzt noch nicht bereit ist, Unbequemlichkeiten seines Freiheitsspielraums freiwillig in Kauf zu nehmen, verliert seinen moralischen Anspruch.“
„Macht doch euren Dreck alleine“, sagen sich die Spontis an diesem Abend. „Wir verweigern uns, verlassen das Land.“ Wirklich auswandern wollen sie nicht, es geht ihnen um die Haltung: Sie wollen nicht weiter anlaufen gegen die Verhältnisse, sondern ihr eigenes Ding machen. Aber wie? König hat eine Idee. „Wir reisen zum Strand von Tunix!“
Stefan König, 22, lebt zu dieser Zeit in einer Kreuzberger Wohngemeinschaft. Er studiert Jura und Ethnologie und trägt gern eine regenbogenfarbene Latzhose. Ein paar Tage nach dem Treffen in Charlottenburg skizziert er zu Hause auf seinem Bett einen Aufruf.
„UNS LANGT’S JETZT HIER!
Der Winter hier ist uns zu trist, der Frühling zu verseucht, und im Sommer ersticken wir hier. Uns stinkt schon lange der Mief aus den Amtsstuben, den Reaktoren und Fabriken, von den Stadtautobahnen. Die Maulkörbe schmecken uns nicht mehr und auch nicht mehr die plastikverschnürte Wurst. Das Bier ist uns zu schal und auch die spießige Moral. Wir woll’n nicht mehr immer dieselbe Arbeit tun, immer die gleichen Gesichter zieh’n. Sie haben uns genug kommandiert, die Gedanken kontrolliert, die Ideen, die Wohnung, die Pässe, die Fresse poliert. Wir lassen uns nicht mehr einmachen und kleinmachen und gleichmachen.
WIR HAUEN ALLE AB!
… zum Strand von Tunix.“
König tritt als Autor nicht in Erscheinung, man versteht sich als Kollektiv. Dieses lädt für Ende Januar nach Berlin. Der szenebekannte Buchvertrieb Maulwurf verbreitet den Aufruf. Bald liegt er bundesweit in Kneipenkollektiven und linken Buchläden aus. Die Leute werden aufgefordert, selbst Kopien zu erstellen und sie zu verteilen. König und seine Mitstreiter fahren Ende Dezember erst mal in den Urlaub. Was sie losgetreten haben, ahnen sie noch nicht. Der Aufruf erreicht Leute mit den unterschiedlichsten Motiven.
Eva Quistorp, 32, erfährt in ihrer 7er-WG in Berlin-Wilmersdorf von Tunix. Die WG hat den ID abonniert, den Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten. Quistorp arbeitet als Lehrerin an der Gesamtschule und engagiert sich in der Umweltbewegung. Gerade hat sie bei den ersten Sommercamps in Gorleben mitgemacht, wo ein Endlager für Atommüll entstehen soll. Sie trifft sich einmal in der Woche im Frauenzentrum, um über Feminismus und Ökologie zu sprechen.
Helmut Höge, 30, erreicht der Aufruf zu Tunix in der Wesermarsch. Ein paar Jahre früher hatte er die Nase voll vom Berliner Stadtleben, verkaufte seine Bücher und kaufte sich dafür ein Fohlen. Als es groß genug ist, Satteltaschen zu tragen, zieht Höge mit ihm durchs Land und arbeitet unterwegs auf Höfen. In der Wesermarsch bleibt er bei Dirk, einem Bauern mit SPD-Parteibuch. Dort erreicht ihn der Aufruf zu Tunix über eine Freundin. Er schreibt in sein Tagebuch: „Dorothé rief an, um mich noch einmal an das Tunix-Treffen zu erinnern, ‚weil ich ja auf dem Land von allen Informationsquellen abgetrennt bin.‘ ‚Das ist doch wohl Blödsinn‘, meinte Dirk dazu.“
Michael Jürgen Richter, 19, ist gerade mit der Schule fertiggeworden und in eine Kommune in Berlin-Schöneberg gezogen. Acht Leute, fünf Zimmer. Ein wilder Haufen. In die Tür zum Klo sägen sie ein Guckloch. Sie machen alles gemeinsam, gehen viel auf Demos. Im Drugstore, einem linken Jugendzentrum, erfahren sie von Tunix. Dort hinzugehen ist natürlich Pflicht.
In Großburgwedel hört der Schüler Cord Riechelmann, 17, von Tunix. Er ist in den letzten Jahren durch ein paar K-Gruppen gegangen. Länger als drei Monate hat er es bei keiner ausgehalten. Riechelmann hat ein eher diffuses Interesse an Theorie und andere Probleme als den Übergang von der bürgerlichen zur sozialistischen Gesellschaft. Von Tunix verspricht er sich etwas anderes – nicht diese 18-Stunden-Diskussionen darüber, mit welcher Gruppe man bei der 1.-Mai-Demo koalieren kann.
Während König und seine Freunde im Urlaub sind, reist eine Mitstreiterin nach Paris. Sie hat Kontakte zu Leuten um den Philosophen Michel Foucault. Der hat zwei Jahre zuvor seine Kritik am Gefängnissystem, „Überwachen und Strafen“, veröffentlicht und wird von deutschen Spontis begeistert gelesen. Die Franzosen um Foucault sind von dem Tunix-Aufruf elektrisiert.
Zurück in Berlin werden die Initiatoren des Kongresses von der Wirkung ihres Aufrufs überrascht. Wer alles kommen will, wissen sie nicht, wohl aber, dass es viele sein werden.
Ihnen bleiben wenige Wochen für die Vorbereitung. Es bildet sich ein „Koordinationsausschuss Tunix“. Flugblätter werden gedruckt und ein Plakat. Das Motiv: ein Regenbogen, der durch die Häuserschluchten bricht. Es gibt gute Nachrichten von der Technischen Universität: Sie stellt Räume zur Verfügung. Fehlen noch: Übernachtungsmöglichkeiten. Die Organisatoren hängen Zettel in linken Kneipen auf: Wer bietet wo wie viele Schlafplätze an?
Das Programm wächst von selbst. Immer mehr Initiativen melden sich, die ihre Projekte auf dem Kongress vorstellen wollen. König und seine Mitstreiter suchen Räume, verteilen die Veranstaltungen über das Wochenende.
Der Koordinationsausschuss bittet im Westberliner Spontimagazin BUG-Infoum Spenden: „Der clevere Einfall des Koordinationsausschusses, Lotto zu spielen, ist bis auf einen Achtungserfolg (3 Richtige = 3,50 DM) gescheitert. 30.000 Chipse etwa wird oder hat alles bisher gekostet. Und das ist kein Pappenstiel: Deshalb, und vor allem weil TUNIX eine Geschichte von uns allen ist, spendet ein bißchen, wenn ihr könnt.“
Ende Januar ist es so weit: Die Teilnehmer reisen über die verschneiten Landstraßen aus Westdeutschland an. Ein Tankwart auf dem Weg fragt, was denn da eigentlich los sei in Berlin: Spielen da die Rolling Stones, oder was?
Cord Riechelmann will nach Berlin trampen. Auf dem Rasthof Lehrte steckt er seine langen schwarzen Haare in den Rollkragenpulli, das erhöht die Chancen. Ein evangelischer Pfarrer nimmt ihn mit. Der ist links, auf angenehme Weise, denn er macht keinen Gesinnungstest wie die K-Gruppen. Die fragen zum Beispiel: Wie stellst du dir den Übergang zur sozialistischen Gesellschaft vor? Und die richtige Antwort lautet ungefähr so: Reformistisch geht es nicht, durch individuellen Terror aber auch nicht.
Eva Quistorp und ihre Frauengruppe wollen, dass Tunix keine reine Männerveranstaltung wird. Und sie wollen die hässliche TU verschönern. Der Plan: Sie stellen ein Tipi auf. Und verpflegen die Leute mit Gemüse aus Gorleben. Quistorp fährt mit einer Citroën-Ente nach Niedersachsen. Befreundete Bauern schenken ihr einen großen Sack Kartoffeln, krumme Möhren, Steckrüben.
In der Wesermarsch arbeitet Helmut Höge an einem Flugblatt zu Tunix. In seinem „Zwischenruf“ warnt er davor, Tunix als bloße Metapher zu verstehen – warum nicht wirklich abhauen? Dirk, der Bauer, gibt ihm Geld für den Druck. Abends falten sie im Wohnzimmer 200 Blätter auf A4-Größe zusammen. Dann bricht auch er auf. Er lässt sein Pferd bei Dirk und nimmt den Zug nach Berlin.
Aus der Eisenacher Straße in Schöneberg kommt Michael Jürgen Richter mit ein paar Leuten aus seiner Kommune: Signe, Jörgi, Nico der Grieche, Manfred. Sie fahren einen orangefarbenen VW-Bus, es herrscht Partystimmung. Die benachbarte Kommune will auch mit. Sie kommen gerade aus dem KaDeWe und tragen Federboas um den Hals, die sie dort geklaut haben.
Freitag, 27. Januar
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben —
Beschreibung | Programm des TUNIX-Kongress vom 27.-29. Januar 1978 an der Technischen Universität (TU) Berlin. |
Datum | |
Quelle | http://www.weltgegend.de/ends/uni.html |
Urheber | W. Hermann (Fotostab am IfP – Institut für Publizistik FU Berlin) |
Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.
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2.) von Oben —
Beschreibung | Bundesweiter Streik der Universitäten und Fachhochschulen 1976/77 in Westdeutschland und Berlin. Demonstration gegen Berufsverbote am 28.01.1977 in Berlin. |
Datum | |
Quelle | http://www.weltgegend.de/ends/uni.html |
Urheber | W. Hermann (Fotostab am IfP – Institut für Publizistik FU Berlin) |
Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.
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3.) von Oben —
Beschreibung | Bundesweiter Streik der Universitäten und Fachhochschulen 1976/77 in Westdeutschland und Berlin. Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele in der Technischen Universität Berlin (TU) am 11.01.1977. |
Datum | |
Quelle | http://www.weltgegend.de/ends/uni.html |
Urheber | W. Hermann (Fotostab am IfP – Institut für Publizistik FU Berlin) |
Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert.