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Kommentar Lehrermangel

Erstellt von Redaktion am Mittwoch 29. August 2018

Quereinsteigen statt Sitzenbleiben

Lehrer Florian Bätschi mit Schulkindern (Ernst Ludwig Kirchner)

Autor Kersten Augustin

Die besten Lehrer sind die mit Lebenserfahrung und Persönlichkeit. Sie wissen, wovon sie sprechen. Deshalb braucht es mehr Seiteneinsteiger.

Glaubt man dem Philologenverband, dann ist der Untergang nahe: „Geradezu dramatisch bis katastrophal“ sei der Lehrermangel an deutschen Schulen. Und der Deutsche Lehrerverband schätzt, dass 40.000 Lehrer in Deutschland fehlen. Man sieht schon Schüler über Tische und Bänke gehen.

Natürlich ist es Ausdruck eines politischen Versagens, dass es nun zu wenig Lehrer gibt in Deutschland. Und es wird deutlich, wie hohl das Gerede ist von der Bildungsnation, wenn nicht einmal genug Lehrkräfte zur Verfügung stehen, um die Aufbewahrung der Kinder von 8 bis 16 Uhr zu gewährleisten – geschweige denn eine Ausbildung, um im globalen Wettrennen gegen dreisprachige Chinesen in Elektroautos zu bestehen.

Das größte Problem ist, dass der Lehrermangel die deutschen Schüler nicht im gleichen Ausmaß trifft. Weil Lehrer sich heute wieder ihre Schule aussuchen dürfen, suchen vor allem Schulen in armen Stadtteilen mit anstrengenden Schülern verzweifelt Personal. Das Gymnasium in Grünwald oder dem schmucken Taunusort wird weiterhin kaum Probleme haben, Personal zu finden. Allen Beteuerungen von der „Ressource Bildung“ zum Trotz bleibt Deutschland also, was es ist: eine Gesellschaft, in der nicht die Schulklasse, sondern die Klasse der Eltern das Leben bestimmt.

Und doch stört etwas an der aktuellen Debatte um Quereinsteiger, denen unisono die Eignung abgesprochen wird. Es ist die Geringschätzung, mit der dabei über Menschen mit ungeraden Lebenswegen gesprochen wird. Die hohe Zahl der Seiteneinsteiger sei ein „Skandal“, eine ganze Schülergeneration „nehme Schaden“. Quereinsteiger berichten auch von missgünstigen Kollegen. Es klingt, als seien Quereinsteiger nicht nur inkompetent, sondern für Schüler gemeingefährlich.

Dabei sind jene Menschen die besten Lehrer, die von ihren Schülern interessant gefunden werden. Weil sie spannende Dinge erlebt haben, weil sie wissen, wovon sie sprechen, wenn es im Politikunterricht um Prekarität geht oder im Deutschunterricht um einen Romanhelden, der nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll.

Klassenlehrer mit Elvistolle

Wer bei einem Klassentreffen an seine Schulzeit zurückdenkt, erinnert sich selten an die Lehrer mit den besten didaktischen Konzepten, sondern an die interessantesten Persönlichkeiten. Mein Klassenlehrer in der Mittelstufe war ein promovierter Historiker, ein Quereinsteiger, würde man heute sagen. Er unterrichtete uns auch in Latein, obwohl er das nicht studiert hatte.

Er hatte eine Elvistolle und eine goldene Taschenuhr, und in seiner Freizeit schrieb er an Wikipedia-Artikeln über den Versailler Vertrag mit, da war das Onlinelexikon noch keine drei Jahre alt. Auf seine Arbeitszettel druckte er kleine Comics von Calvin und Hobbes, über die er selbst lauter kicherte als seine Schüler. Den Unterrichtsstoff aus dem Lateinunterricht habe ich längst vergessen. Aber von meinem Klassenlehrer habe ich gelernt, dass man ein Nerd sein kann und trotzdem cool.

Es ist kein Ausdruck von Qualifikation, schon als Abiturient im Alter von 19 Jahren keine Träume von der Zukunft zu haben, die über das Lehrerpult hinausgehen, das zwei Bänke weiter vorne steht. Wer in den letzten zehn Jahren pädagogische Seminare an einer deutschen Hochschule besucht hat, trifft dort auf viele Studierende mit einem hohen Sicherheitsbedürfnis, das der Lehrerberuf und die damit verbundene Verbeamtung bietet. Das ist nicht schlimm, aber ein bisschen langweilig.

Quelle    :        TAZ        >>>>>      weiterlesen

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