KOLUMNE-Fernsicht-China
Erstellt von Redaktion am Samstag 21. Januar 2023
Absurde Statistiken trüben chinesisches Neujahrsfest
Kolumne Fernsicht von : Shi Ming
Chinas Fake-News-Strategie kommt im Volk nicht gut an. Das traditionelle Frühjahrsfest wird überschattet von der hohen Zahl der Toten und Misstrauen.
An diesem Samstag ist in China das Frühlingsfest oder das chinesische Neujahr. Ein Fest, das Anlass für Freude und Hoffnung geben sollte. In diesem Jahr wird es massiv von einer Statistik gestört – die der Sterblichkeit aufgrund der grassierenden Pandemie. Spektakulärerweise ist dabei weniger die Sterblichkeit zentraler Störfaktor, sondern die Statistik als solche. Anfang Januar gab das chinesische Desease Control Centrum (CDC) an einem bestimmten Tag 4 Todesfälle bekannt.
Sogar stillgelegte Stahlöfen werden wieder befeuert, um die Toten einzuäschern
Kaum zwei Wochen später korrigierte CDC diese Statistik: In den fünf Wochen bis dato seien in China rund 60.000 Menschen an der Corona-Infektion gestorben, auf den Tag gerechnet waren es 1.714, das 428-Fache jener Tagesstatistik, die schon bei Bekanntgabe Wellen der Entrüstung auslöste, schließlich wurden bereits zwei Wochen zuvor überfüllte Krematorien gemeldet.
In Großstädten wie Beijing und Schanghai wurden, so verlautete aus halbwegs geduldeten Berichten in den sozialen Netzwerken, sogar stillgelegte Stahlöfen wieder befeuert, um die Toten einzuäschern. Mit der drastischen Zunahme schwerer Krankheitsverläufe – offiziell haben 90 Prozent der Infizierten deutliche Symptome und davon wiederum die Hälfte schwere – dürfte die Situation heute noch bedrückender sein.
Laut Uniklinik in der Hauptstadt Beijing könnte die erste Infektionswelle bereits 900 Millionen Chinesen „durchseucht“ haben. Legt man eine in den USA entwickelte Sterblichkeitsrate nach einer Durchimpfung von über 70 Prozent der Bevölkerung, also 1 von 10.000 zugrunde, würde dies die erschreckende Zahl von 900.000 Toten ergeben. Das ist das 15-Fache jener Fünfwochenstatistik in China, da, wo die Durchimpfung der über 75-Jährigen gerade einmal die Marke von 50 Prozent ankratzt.
Sich wie Schnittlauch fühlen
Die Abwehrkraft der Bevölkerung dürfte dort um ein Vielfaches schwächer sein als in den USA und die Sterblichkeitsrate entsprechend höher. Längst vertraut in China kaum noch jemand den offiziellen Zahlen. Sei es, wenn amtliche Ökonomen für das angebrochene 2023 ein Wirtschaftswachstum von über 5, mancherorts sogar bis 10 Prozent prognostizieren, sei es, dass die Arbeitsämter die Arbeitslosigkeit immer noch nahe der Marke von 5 Prozent angeben – sie alle entlocken Chinesen bestenfalls ein müdes Lächeln.
Stattdessen kommt es vermehrt zu offenen Protesten und verbitterten Anprangerungen: Als „Schnittlauch“ bezeichnen sich Normalchinesen selbst schon eine Weile, jenes Kraut, das zeit seines kurzen Lebens mehrfach abgeschnitten wird, also von denen da oben wiederholt abgeerntet wird, bis es sich erholt und erneut wächst. Nun kommt die Sterblichkeitsstatistik ausgerechnet zum Fest der Fröhlichkeit und Hoffnung an die Öffentlichkeit. Im Land macht sich zunehmend Sarkasmus breit.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Vogelbeobachtung in Panama