KOLUMNE – AUFRÄUMEN
Erstellt von Redaktion am Sonntag 19. September 2021
Bekennt euch doch selbst!
Von Viktoria Morasch
Die Linkspartei soll sich zur Nato bekennen, obwohl sie das Bündnis im Wahlprogramm ablehnt. Wann bekennen sich die anderen Parteien zu Dingen, die in ihrem Wahlprogramm stehen?
Wahlkampf heißt, man hört als politisch interessierter Mensch über Wochen hinweg dieselben Vorwürfe, Argumente, Formulierungen. Ein Wort ist mir dabei besonders aufgefallen: Bekenntnis. Ein schönes, altes Wort, finde ich. Wenn ich es höre, denke ich sofort an Kirche. „Ich bekenne mich“, das sagt man nicht einfach so, das muss man schon meinen.
Im aktuellen Wahlkampf fällt „Bekenntnis“ immer wieder in diesem Zusammenhang: Die Linkspartei soll sich verdammt noch mal zur Nato bekennen. Das fordern vor allem SPD und Grüne. Wenn die Linke das nicht tut, kriegt sie keine Koalitionsverhandlungen.
Nun könnte man einwenden: Die Nato ist ein veraltetes Konstrukt. Sie ist gerade in Afghanistan gescheitert. Sogar Joe Biden sagt, dass es Kriege zur „Umgestaltung anderer Länder“ in Richtung Demokratie nicht mehr geben werde. Dieses Militärbündnis zu hinterfragen, finde ich okay, wenn dabei der Schutz osteuropäischer Länder nicht als Lappalie abgetan wird. Aber darum geht es mir gar nicht. Denn man könnte – viel einfacher – auch einwenden: Warum soll sich die Linkspartei zu etwas bekennen, das sie in ihrem Wahlprogramm explizit ablehnt? Und, daran anschließend: Wann bekennen sich die anderen Parteien eigentlich zu den Dingen, die tatsächlich in ihren Wahlprogrammen stehen?
Die FDP zum Beispiel könnte sich zum Liberalismus bekennen. Zu einem kosmopolitischen Liberalismus, der Bürgerrechte schützt, für wirkliche Freiheit steht und nicht nur für die Freiheit von SpitzenverdienerInnen. Der FDP hängt etwas Reaktionäres an, das sie nicht abschütteln kann oder will, ich sag nur: Ehegattensplitting. Daran wollen die Liberalen festhalten.
Olaf Scholz soll sich dazu bekennen, die Situation von Hartz-IV-EmpfängerInnen wirklich verbessern zu wollen. Mit konkreten Zahlen, nicht nur mit dem neuen Begriff „Bürgergeld“. Warum kann er sich beim Mindestlohn auf einen Betrag festlegen, bei der Grundsicherung aber nicht?
Die Union schreibt in ihrem Wahlprogramm: Rechtsextremismus sei die größte Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Warum spielt das Thema dann keine Rolle in ihrem Wahlkampf? Ich will, dass sich die CDU und die CSU zum Kampf gegen Rechtsextreme bekennen. Nicht nur sagen, auch meinen.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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