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Klimaschutz braucht Kohle

Erstellt von Redaktion am Samstag 15. Dezember 2018

Nur Kapitalismus kann die Erde retten

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Von Ingo Arzt

Die Erde lässt sich nur retten, wenn der Kampf gegen den Klimawandel das Geschäft des Jahrhunderts wird. Ein Selbstläufer ist das aber nicht.

Wie jedes Jahr seit 1995 ist gerade die Zeit der Sünde und der Erlösung – Klimakonferenz. Wissenschaftler rechnen die Sünde nüchtern vor, in CO2-Emissionen und Temperaturkurven: Was die Staaten der Welt bisher an Klimaschutz versprochen haben, wird den Planeten wahrscheinlich um 3,2 Grad aufheizen.

Dann werden die meisten Tier- und Pflanzenarten ausgerottet sein, Fischernetze leer bleiben, fruchtbare Böden veröden, Gesellschaften zusammenbrechen. Doch Teil der Erzählung ist auch die Erlösung, dargebracht von Ökonom*innen und Klimaschützer*innen: CO2-Steuern, erneuerbare Energien, Biolandwirtschaft, Verzicht auf Fleisch und Konsum.

Es gibt einen stillen Konsens darüber, wie das gehen soll: Der Kapitalismus muss die Klimakatastrophe aufhalten. Aus dem Schutz des Planeten muss das größte Geschäft des 21. Jahrhundert werden. Das Gadget, das jeder haben will. Dieser Weg ist paradox: Kapitalismus, das ist die Idee ewigen Wachstums, befeuert von der Ausbeutung der Natur. Das System hat die Klimakrise herbeigeführt – und soll sie jetzt beenden.

Theoretisch gibt es viele schöne Alternativkonzepte: Die Postwachstumsgesellschaft etwa, in der alle mehr Zeit und weniger Zeug haben. Dringend notwendige Utopien, doch sie werden den Kapitalismus so wenig stürzen wie andere historische Versuche. Er ist ein dezentrales Ordnungssystem, das keinen König hat, den man mal eben köpfen kann – und schon machen die Arbeiter- und Solarräte Klimaschutz.

Unzerstörbar ist das Ordnungssystem nicht. Malen Sie sich ein beliebiges Ereignis aus, das die globalisierte Wirtschaft dermaßen kollabieren lässt, dass auch die Menschen in den Industrieländern verarmen: Einen Asteroideneinschlag in der Wall Street, einen Hackerangriff, der sämtlich Computersysteme dieser Welt löscht. Ein totaler ökonomischer Kollaps wäre eine rasante Art des Klimaschutzes. Doch Gesellschaften, die ins Chaos gestürzt werden, neigen zum Konflikt, nicht zur Kooperation. Ein ökologisches Wirtschaftssystem entsteht so nicht. Es gibt keinen Resetknopf, der so schnell wirkt, wie er wirken müsste: Die Menschheit muss bis 2050 eine Wirtschaft etabliert haben, die die Erde nicht nur nicht weiter anheizt, sondern abkühlt.

Das können nur die einzigen beiden Sprachen, die global über alle politischen Lager und Religionen hinweg verständlich sind: Liebe und Solidarität.

Kleiner Scherz. Die Rede ist von Wissenschaft und Geld. Die erste Sprache liefert die Handlungsanweisung gegen die Klimakrise. Die zweite die Mittel dagegen. Nur die Bosse und Banker haben die Kohle, um das Klima zu retten. Viele von ihnen wissen, dass sie ihr heutiges wirtschaftliches Handeln zu Feinden der Umwelt, pathetisch gesagt: ihrer Kinder macht. Sie sind wie Söldner, die überlaufen wollen, dabei aber pleitegehen könnten. Mit ihnen zu kooperieren ist sinnvoll – und die Entscheidung dafür ist ohnehin längst gefallen. Denn das Pariser Klimaschutzabkommen ist zwar mutig, sieht aber nicht vor, den Kapitalismus zu beenden.

Selbst diejenigen, die unser Wirtschaftssystem schlecht finden, versuchen gar nicht erst, es abzuschaffen: Klimaschützer*innen sind heute Fi­nanz­expert*innen. Sie sind es, die Inves­to­r*in­nen davon überzeugen, keine Ölbohrtürme mehr zu kaufen. Sie rechnen als Ingenieur*innen den Energiekonzernen vor, dass eine Solaranlage billiger ist als ein Kohlekraftwerk. Sie sind Juris­t*in­nen und verklagen Konzerne auf Schadenersatz, wenn diese Klima und Umwelt schädigen. Sie sind Lob­by­ist*innen oder Politiker*innen, die versuchen, das Steuersystem ökologisch umzubauen. Kurzum, die Ökos sitzen überall. In Konzernen, in Banken, in der Politik, im Gewissen der Massen. Und sie ernten Erfolge: Die Kosten von Solarenergie sind seit 1975 um 99,5 Prozent gesunken.

Daten sind das neue Öl

Das Ende des Zeitalters fossiler Energien wird den Kapitalismus also nicht beenden, wie viele linke Ökonomen mutmaßten. Zum Glück nicht, denn nur der Kapitalismus selbst hat die zerstörerische und zugleich schöpferische Kraft, die alten Industrien schnell hinwegzufegen. Die nötigen Allianzen zeichnen sich bereits deutlich ab: An der Börse sind die wertvollsten Unternehmen der Welt Apple, Microsoft und Alphabet. Und nicht Exxon, Shell und BP. Das Geschäft des 21. Jahrhunderts ist das Geschäft mit Daten, nicht das mit Öl. Das ist die große Chance.

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Im heute noch dominanten Geschäft mit fossilen Rohstoffen geht es um Raum. Wir zahlen dafür, dass Konzerne Öl fördern, aufbereiten und transportieren. Und wir zahlen dafür, dass Konzerne von Natur aus gespeicherte Energie an den Ort bewegen, an dem sie gebraucht wird. Im Geschäft mit erneuerbaren Energien geht es dagegen um Zeit. Sonnen- und Windenergie liegen nicht in entlegenen Böden begraben. Es gibt sie überall, nur nicht immer, wenn sie gerade benötigt wird. Man kann den Ökostrom zwar speichern, aber das ist teuer, und ein Teil der Energie geht dabei verloren. Strom sofort verbrauchen, wenn gerade die Sonne scheint oder der Wind bläst, das ist die beste Lösung.

Quelle           :        TAZ            >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen        :

Oben    —         Via Bramantino, Locarno, flooded by Lake Maggiore.

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