Klimagipfel + -konferenzen
Erstellt von Redaktion am Dienstag 17. Dezember 2019
Zerschlagt das Kartell des Nichtstuns
Eine Kolumne von Christian Stöcker
Die Menschheit scheint angesichts der Klimakrise unfähig zu zielführendem Handeln. Das lässt sich mit einem lang bekannten psychologischen Phänomen erklären. Das Gute ist: Es weist auch den Weg zur Lösung.
Stellen Sie sich bitte folgende Situation vor: Eine Gruppe von Menschen sitzt in einer aufblasbaren Rettungsinsel, dicht an dicht, auf dem offenen Meer treibend. Die Schiffbrüchigen hoffen auf baldige Hilfe.
Plötzlich hört jemand ein leises Zischgeräusch, dann noch jemand und noch jemand. An unterschiedlichen Stellen rund um die Rettungsinsel sind kleine Löcher im Gummi entstanden. Klein genug, um sie mit einem angefeuchteten Finger zuzuhalten, aber groß genug, dass die Insel langsam Luft verliert.
Erstmal Fingeryoga
„Halten Sie mal das Loch da direkt vor ihnen zu!“ ruft einer, und der Angesprochene entgegnet: „Da bei ihnen pfeift es doch auch, halten Sie doch erstmal ihr Loch zu!“ Einige wenige drücken ihre Zeigefinger schon krampfhaft auf den Gummi, doch es zischt und pfeift noch an diversen Stellen. „Mir tut jetzt schon die Hand weh!“, stöhnt jemand, „ihr Loch ist doch viel größer als meins! Machen sie erstmal das zu!“ Die angesprochene Frau stellt sich taub und sucht lieber angespannt den Horizont ab.
„Das mit den Fingern bringt doch nichts und ist auch viel zu anstrengend!“, versucht ein Mann im Anzug die Debatte in eine andere Richtung zu lenken, „was wir brauchen, ist eine gute Idee! Hat nicht irgendjemand eine gute Idee?“ Stille. „Bis wir eine Idee haben, sollten wir erst einmal gar nichts tun. Nur Innovation kann uns retten!“ Statt einer Antwort hört man weiterhin nur leises Zischen.
„Hysterie!“
Dann plötzlich vielstimmiges Stimmengewirr: Irgendjemand fragt, ob nicht jemand Fahrradflickzeug dabeihat. Eine Frau mittleren Alters erklärt laut und bestimmt, sie werde ihr Loch demnächst zuhalten, sie müsse nur vorher noch eben ihre Fingeryoga-Übungen abschließen. Einer ruft, sein Loch sei doch viel später entstanden als die anderen, die sollten jetzt erst einmal in Vorleistung gehen.
Ein weiterer erklärt mit drohendem Unterton, er werde sein Loch erst dann zuhalten, wenn ihm zugesichert werde, dass er eine Extraration von den Wasser- und Lebensmittelvorräten bekomme. Ein Mann mit rotem Kopf schreit wütend, er sei diese Hysterie leid, alle sollten jetzt gefälligst mal die Klappe halten. Unterdessen wird der Rand der Rettungsinsel langsam weicher.
Die beschriebene Situation nennt man in der Spieltheorie ein soziales Dilemma: Viele müssten etwas tun, um allen zu helfen, aber niemand will anfangen. Natürlich würde sich in Wirklichkeit kaum jemand so verhalten, das wäre ja selbstmörderisch.
Oder?
Tatsächlich gibt es eine Reihe von psychologischen Experimenten, die da Zweifel aufkommen lassen. Dabei spielen drei Faktoren wichtige Rollen:
Verantwortungsdiffusion – sind doch so viele Leute da, sollen erst mal die anderen machen.
- „Pluralistische Ignoranz“ – wir orientieren uns in unserem Verhalten in ungewohnten Situationen automatisch und bevorzugt daran, wie sich die anderen verhalten. Wenn aber niemand etwas tut, kann auch niemand als Vorbild für aktives Eingreifen dienen.
- „Bewertungsangst“ – wenn ich jetzt etwas tue, ist es womöglich das Falsche, und dann lachen die anderen über mich.
Erschreckend oft, das hat eine Vielzahl von Studien gezeigt, tun Menschen, besonders dann, wenn viele andere dabei sind, in gefährlichen Situationen erst einmal: nichts. Sie greifen beispielsweise nicht ein, obwohl sie augenscheinlich gerade den Beginn einer Vergewaltigung miterleben. Der ursprüngliche Anlass für diesen Forschungszweig war ein Sexualmord in New York, den angeblich 39 Menschen mitbekamen, ohne einzugreifen.
Man nennt das in der Sozialpsychologie den Zuschauereffekt. Je mehr andere dabei sind, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit, dass jemand handelt.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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