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RENTENANGST

Kleiner Mann, große Frau

Erstellt von Redaktion am Montag 9. März 2015

Ein Dilemma der Linkspartei

File:Gregor Gysi & Sahra Wagenknecht.jpg

Autor: U. Gellermann

Rationalgalerie

Datum: 09. März 2015

Gregor Gysi ist ein höchst intelligenter Mann. Ihm ist eine verführerische Intelligenz zu eigen, die mit blendendem Charme geziert ist. Dieser Tendenz zum Genialen kann nicht mal Gysi selbst widerstehen: Weil er so gescheit ist, hält er die meisten anderen für blöd. Erst neulich wieder im Bundestag. Die LINKE-Fraktion hatte sich mehrheitlich für die Zustimmung der „Verlängerung der Griechenlandhilfe“ entschieden. Dieser Antrag der Regierung hörte sich gut an: Frisches Geld für die armen Griechen, da kann man doch nicht Nein sagen. Sahra Wagenknecht konnte. Denn der scheinbar karitative Zug der Regierung sieht neben dem neuen Geld nur alten Unsinn vor: Die Verlängerung all jener Maßnahmen, die den Griechen mehr Elend und weniger Zahlungsfähigkeit beschert hatten. Darüber wollte Frau Wagenknecht in ihrer Fraktion reden. Aber die Fraktion ließ ausgerechnet die Frau aus ihren Reihen, die den meisten ökonomischen Sachverstand mitbringt, nicht zu Wort kommen. In der Links-Fraktion, das weiß man, gilt das Wort von Gregor Gysi. Mit ihm ist vieles möglich, gegen ihn sehr wenig. Und der hielt einen Wagenknecht-Beitrag nun mal für unmöglich.

Wer jetzt so blöd ist, ausschließlich an eine inhaltliche Entscheidung gegen Wagenknecht zu glauben, der ist so blöd wie Gysi das gerne hätte. Denn hinter dieser Ohrfeige für Sahra Wagenknecht wabert die seit langem verdrängte Frage nach der „Doppelspitze“ der Bundestagsfraktion. Ein Parteitag hatte sich für eine Doppelspitze ausgesprochen und auch eine Bundesausschuss-Tagung der Partei forderte eine Frau neben einem Mann an der Spitze der Fraktion. Und die wahrscheinlichste Frau neben dem Fraktions-Chef Gysi wäre eben Frau Wagenknecht. Das wäre doch nicht schlecht, sagt sich der Laie: Die Frau hat Ahnung, kann gut auftreten, zeigt in jeder Talk-Show jene Nervenstärke, die ein Beweis von Wissen ist. Und sie wäre zudem ein kluges Beispiel dafür, wie nützlich eine Frauenquote sein kann. Aber der professionelle Gysi weiß, dass der Laie blöd ist. Er wäre tödlich beleidigt, wenn seiner überwölbenden Intelligenz widersprochen würde. Und weil die Links-Fraktion wiederum weiß, was ein beleidigter Gysi anrichten kann, steht sie nicht gegen ihn auf wenn er einmal „Sitz!“ gerufen hat.

Auch als der Linkspartei einmal von außen eine Antisemitismus-Debatte angetragen wurde, fiel dem brillanten Gregor Gysi als Reaktion sein geniales „Sitz!“ ein. Mit einer Rückzugsdrohung setzte er in der Bundestagsfraktion einen Beschluss durch, nach dem Kritik an Israel mit Antisemitismus und Rechtsextremismus gleichgesetzt wurde. Während der interessierte Laie gedacht hätte, dass ein Stöckchen, das der Linkspartei von den Mainstream-Medien hingehalten wird, ignoriert werden sollte, hatte der professionelle Chef der LINKEN entschieden doch drüber zu springen. Dem dummen Laien wäre die Frage eingefallen, ob denn israelische Kritiker an Israel auch Antisemiten wären. Noch dümmer wäre sicher die Frage gewesen, ob die Mehrheit der Bundestagsfraktion, die von ihren Mitarbeitern verlangte die gleiche Haltung einzunehmen, nicht brutal gegen die Meinungsfreiheit verstossen hatte, aber solche Fragen mussten schweigen. Denn Gregor der Allwissende und Alleinseligmachende hatte mal wieder sein bestes und klügstes Argument eingesetzt: Den Rücktritt.

Inzwischen weiß die Mehrheit der Linksfraktion schon: Falls sie irren sollte, wird Gysi erneut sein stärkstes Argument einsetzen, und da sitzt sie schon lieber vorauseilend stramm. In Vorbereitung der letzten Europa-Wahlen wollte die Linkspartei einen Satz aus dem Parteiprogramm in das Europa-Wahl-Programm übernehmen: Die EU sei eine „neoliberale, militaristische und weithin undemokratische Macht“. Da denkt der Laie unbefangen: Ein Parteitag ist das höchste Gremium einer Partei, also kann doch so ein demokratisch erarbeiteter Satz problemlos übernommen werden. Aber draussen, in der professionellen Wirklichkeit tobte ein echter Mediensturm: Die arme EU, so könne man die doch nicht diffamieren, die habe doch total demokratische Rettungsschirme aufgespannt. Sie plane zwar eine militärische Eingreiftruppe, aber nur zu Friedenszwecken und neoliberal . . . ja gut, aber nur ein bisschen. Wie gut, dass die Linkspartei ihren Gregor hat. Der suchte sich gleich ein paar Kameras und sagte: „Für uns linke Internationalisten gibt es kein Zurück zum früheren Nationalstaat. Wir müssen Befürworter der europäischen Integration sein.“ Zwar hatte keiner seiner Genossen gegen die europäische Integration geredet, aber es war doch eine wirklich schöne Ecke, in die sie gestellt wurden. Gysi und Kameras: das ist eine Macht. Und schwupps wurde die Formulierung geändert. So geht innerparteiliche Demokratie, schnell und einfach.

Die Sahra Wagenknecht ist in den letzten Jahren immer größer geworden. Nicht durch höhere Absätze, sondern durch gewachsene Intelligenz. Durch häufiges Bücken vor dem Mainstream ist Gregor Gysi geschrumpft. Jetzt wird die große Frau nicht für den gleichberechtigten Platz an der Fraktionsspitze kandidieren. Der kleine Mann hat gewonnen. Die antiken Griechen nannten das einen Pyrrhos-Sieg, nach jenem König, der von Sieg zu Sieg in die Niederlage eilte. Das ist das Dilemma der LINKEN.


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