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Klagen ohne Scham :

Erstellt von Redaktion am Samstag 21. November 2020

Die Profiteure der Pandemie

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Ein Ende der Corona-Pandemie ist nicht in Sicht: Wo die Infektionszahlen im Sommer auf der nördlichen Halbkugel noch auf niedrigem Niveau stagnierten, steigen sie mit Beginn der kalten Jahreszeit nun wieder rasant an. Um vulnerable Bevölkerungsgruppen zu schützen und die medizinische Versorgung sicherzustellen, werden inzwischen ganze Großstädte zu Risikogebieten erklärt oder abgeriegelt. Einen generellen Lockdown wollen alle Regierungen möglichst vermeiden, um die wirtschaftlichen Schäden aus dem Frühjahr nicht noch zu vergrößern: Aufgrund sinkender Wirtschaftsleistung stieg weltweit die Arbeitslosigkeit an und brachen die Steuereinnahmen ein, während zugleich die staatlichen Ausgaben durch die Corona-Hilfsmaßnahmen in die Höhe schnellten.

Gefahr droht den Staaten aber nicht nur durch das Coronavirus. Als Italien am 26. März dieses Jahres über 8000 Corona-Toten zählte – mehr als doppelt so viele wie jedes andere Land –, sinnierten Anwälte einer italienischen Kanzlei bereits über Konzernklagen gegen die staatlichen Notfallmaßnahmen zur Eindämmung des Virus und seiner verheerenden wirtschaftlichen Folgen. Ihr Fazit: Die „übereilten und schlecht koordinierten“ Maßnahmen der italienischen Regierung könnten in den Geltungsbereich internationaler Investitionsabkommen fallen – und zu einer Welle teurer Schadenersatzklagen gegen Italien vor privaten Schiedsgerichten führen.[1]

Weltweit ermöglichen mehr als 2600 Handels- und Investitionsabkommen[2] ausländischen Investoren, Staaten vor privaten Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie ihre weitreichenden Rechte in den Verträgen als verletzt ansehen. Dabei können Konzerne schwindelerregend hohe Summen an Schadenersatz für angebliche Investitionseinbußen fordern – infolge von Enteignungen, aber auch quasi jeglicher Art der Regulierung.

Bekannte hiesige Beispiele sind die Schiedsverfahren des schwedischen Konzerns Vattenfall. Mit einer ersten Klage über einen Streitwert von 1,4 Mrd. Euro erreicht Vattenfall 2010 im Rahmen einer Einigung die Absenkung von Umweltauflagen für das umstrittene Kohlekraftwerk im Hamburger Stadtteil Moorburg.[3] Seit 2012 läuft die zweite Klage über 6,1 Mrd. Euro Schadenersatz für den beschleunigten Atomausstieg nach der Katastrophe von Fukushima. Allein die Rechtskosten zur Verteidigung dieser Klage belaufen sich auf Seiten der Bundesregierung bereits auf knapp 22 Mio. Euro.[4]

Inmitten der Coronakrise bereiten global agierende Anwaltskanzleien nun den Boden für Investor-Staat-Klagen gegen Maßnahmen, die Regierungen ergriffen haben, um Leben zu retten, die Pandemie einzudämmen und ihre wirtschaftlichen Folgen abzumildern. In Webinaren und Publikationen weisen sie ihre Klienten darauf hin, dass sie ihre im Rahmen der Pandemie eingebüßten Gewinne auf Basis von Investitionsabkommen wieder einklagen können. So schrieb die Kanzlei Ropes & Gray im April 2020: „Regierungen haben auf Covid-19 mit einer Reihe von Maßnahmen reagiert, darunter Reisebeschränkungen, Einschränkungen der Geschäftstätigkeit und Steuervorteile. Ungeachtet ihrer Legitimität können sich diese Maßnahmen negativ auf Unternehmen auswirken, indem sie die Rentabilität verringern, den Betrieb verzögern oder von staatlichen Leistungen ausgeschlossen werden. […] Für Unternehmen mit ausländischen Investitionen könnten Investitionsabkommen ein wirksames Instrument sein, um Verluste infolge von Covid-19-bezogenen Maßnahmen auszugleichen oder zu verhindern.“[5]

Schutzmaßnahmen im Fadenkreuz

Die Kanzleien werden nicht müde zu betonen, dass viele der über 1020 weltweit bekannten Investor-Staat-Klagen infolge von Wirtschaftskrisen oder politischen Umbrüchen entstanden sind – wie etwa der argentinischen Finanzkrise Anfang der 2000er oder dem Arabischen Frühling Anfang der 2010er Jahre. In 77 Prozent der Klagen, die gegen Argentinien im Kontext seiner Finanzkrise erhoben wurden, kam es entweder zu einem Schiedsspruch zugunsten des Investors oder zu einer Einigung, bei der die Kläger nicht leer ausgegangen sein dürften.[6] Die Corona-Pandemie könnte nun eine erneute Klagewelle lostreten.

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Niemand hat gesagt, das Merkel dort mit einen Schwert abgebildet ist!

Die Palette staatlicher Schutzmaßnahmen, die Kanzleien ins Visier nehmen, ist breit. So könnten ausländische Versorgungsunternehmen Länder wie El Salvador, Bolivien, Kolumbien oder Argentinien verklagen, weil diese verfügten, dass Haushalte in der Pandemie weiter Zugang zu Wasser zum Händewaschen haben sollen – auch wenn diese Rechnungen nicht begleichen können. Im Ausland registrierte Immobilienfirmen könnten Länder verklagen, die Mieter*innen schützen, weil sie aufgrund von Krankheit oder krisenbedingtem Jobverlust ihre Miete nicht zahlen können. „Während diese Maßnahmen den Schuldnern helfen, wirken sie sich unweigerlich auf die Gläubiger aus, indem sie Einkommensverluste verursachen“, begründet die Kanzlei Shearman & Sterling mögliche Corona-Klagen.[7]

Auch Preisobergrenzen für Medikamente und die Lockerung des Patentschutzes zur Entwicklung eines günstigen Impfstoffs könnten Unternehmen vor Schiedsgerichten als vermeintliche Enteignung anfechten. Gleiches gilt für finanzpolitische Maßnahmen wie Kapitalverkehrskontrollen zur Eindämmung destabilisierender Geldabflüsse sowie Schuldenerlasse und Umschuldungen, zu denen Staaten im Kontext der Corona-Wirtschaftskrise gezwungen sein könnten.

Solche Konzernklagen können öffentliche Haushalte massiv belasten. Die Rechtskosten belaufen sich im Schnitt auf 5 Mio. Euro pro Partei.[8] Selbst Staaten, die nicht verlieren, bleiben oftmals auf ihren Anwaltskosten sitzen. So musste Australien die Hälfte seiner Kosten zur Verteidigung gegen die Philip-Morris-Klage gegen Anti-Tabak-Gesetze tragen, obwohl ein Schiedsgericht die Klage wegen missbräuchlichem Verhalten des Konzerns abgewiesen hatte.[9] Verliert eine Regierung gar, wird es noch teurer: Bis Ende 2018 wurden Staaten zur Zahlung von insgesamt 88 Mrd. Dollar verurteilt – was dem 18fachen des Budgets der Weltgesundheitsorganisation für das Jahr 2020 entspricht.[10] Und das dürfte längst nicht alles sein, denn diese Zahl bezieht sich nur auf bekannt gewordene Fälle, bei denen eine Schadenersatzsumme überhaupt öffentlich gemacht wurde.

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Grafikquellen      :

Oben         —      Rathaus Buxtehude, Glasmalerei im Treppenaufgang zum Obergeschoss. Gebäude erbaut in 1914 nach Plänen des Architekten Alfred Sasse (Hannover) als Ersatz für das durch Brand zerstörte mittelalterliche Rathaus und unter Verwendung von Ausstattungselementen aus dem 16. Jahrhundert des Vorgängerbaues. Im Bild zu sehen: Die Gegenwart von Justitia bei der Steuereinname für die Stadtkasse.

Ein Kommentar zu “Klagen ohne Scham :”

  1. Jimmy Bulanik sagt:

    Ein Profiteur der Pandemie sind die Discounter. Gerade weil bedingt durch die Aufgabe von Betrieben, Arbeitsplätzen die persönliche Kaufkraft schwindet.

    Dies ist grundsätzlich bedauerlich. Mit der Zeit wird es wirksame Impfungen gegen den Corona Virus geben. Die Ketten der Pandemie unterbrechen. Die Normalität zieht in das Leben wieder ein.

    Geduld, Hygiene und Diziplin bleibt dahingehend zeitlos.

    Die Volkswirtschaft kann mittels Investitionen aufgebaut werden. Auch das bedarf Zeit. Am besten die EU hält zusammen.

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