DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Kämpfen für den Frieden

Erstellt von Redaktion am Donnerstag 27. Oktober 2022

Eine Replik auf den Kommentar von Franz Alt

Ein Debattenbeitrag von Jens Uthoff

Pazifisten, die Zhadan als Militaristen und Völkerhasser bezeichnen, haben ihn nicht verstanden. „Vielleicht kann man das verstehen, wenn man sieht, wie vor einem auf der Straße ein Mensch getötet wird“

Wer das Morden, das Metzeln und den Vernichtungswillen seitens der russischen Armee aus nächster Nähe erlebt und für den dabei empfundenen Ekel, für Abscheu und Hass drastische Worte findet, dem sollte man erst einmal Verständnis entgegenbringen. Serhij Zhadan wählt in seinem Kriegstagebuch „Himmel über Charkiw“ krasse Worte, er schreibt über russische Soldaten als „Abschaum“, „Unrat“ und „Barbaren“. Wer das zitiert, sollte auch die Kontexte nennen: Es geht um den Angriff auf den Bahnhof in Kramatorsk, um Raketen, die unweit von Zhadans Wohnung einschlagen, um reihenweise ermordete Zivilisten. Um Butscha. Oder eben: um Barbarei.

Einige, wie Franz Alt in der taz, halten Zhadan nun für keinen würdigen Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Nicht nur wegen seiner Wortwahl, sondern auch, weil er sich bedingungslos hinter die ukrainische Armee stellt und damit sicher nicht nur Leute unterstützt, die politisch unverfänglich sind. Doch aus der deutschen „Komfortzone“ (Zhadan) heraus, in der die aktuell dringlichsten Probleme 19 Grad Raumtemperatur und Heizkostenrechnungen sind, lassen sich derlei Urteile auch bequem fällen.

Als Erstes sollte man das Missverständnis aufklären, Zhadan werde „für“ seinen „Hass im Krieg“ geehrt, wie Alt impliziert. Der ukrainische Autor wird für sein Wirken und Werk ausgezeichnet, für Romane wie „Internat“ (2017), der ebendiese Verrohung, Verfinsterung und Verkommenheit im Krieg dicht nachzeichnet. Für die Gedichte in „Antenne“ (2020), in denen er die westliche Ignoranz seinem Land gegenüber anprangert. Dafür, dass er vor Kindern in der Charkiwer Metro Konzerte spielt. Und, ja, auch dafür, dass er unermüdlich Geld für Hilfsgüter und die Armee sammelt. Für Humanität.

Das Wichtigste zu „Himmel über Charkiw“ sagte Zhadan während der Pressekonferenz bei der Frankfurter Buchmesse: „Ich glaube nicht, dass Wut und Hass in dem Buch die zentrale Rolle spielen“, erklärte er. Damit hat er recht. Die Worte des Hasses werden von deutschen Pazifisten aus diesem Werk mit der Pinzette herausgepickt und unter dem Mikroskop gewendet. Und: „Vielleicht kann man das [die hasserfüllte Reaktion] verstehen, wenn man sieht, wie vor einem auf der Straße ein Mensch von einer Rakete getötet wird. Das ist nicht der Moment für politisch korrekte Worte.“ Auch die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk konstatierte in Frankfurt, wie gefühlskalt sie geworden sei.

Zhadan sagt, er glaube nicht, dass sich die Ukrainer für ihre emotionalen Worte rechtfertigen müssten. In seinem Buch – einfach mal den Epilog lesen – setzt er sich differenziert mit dem Sprachverlust auseinander. „Himmel über Charkiw“ sieht er nicht als literarisches Werk. Es sind Facebook-Posts, die ungefiltert seine Kriegswahrnehmung wiedergeben, als solche betrachtet er sie: Ansichten einer Kriegspartei. Sein Verlag machte ein Buch daraus.

Er sei keinesfalls russophob, und doch hält er den Krieg nicht bloß für „Putins Krieg“, sondern für einen, der von vielen propagandaverstrahlten Russinnen und Russen mitgetragen wird. Das sehen regimekritische russische Men­schen­recht­le­r:in­nen und Au­to­r:in­nen nicht anders. Man lese einmal den russischen Autor Arkadi Babtschenko („Im Rausch“), auch der schreibt sich in Rage über seine Landsleute als „Schweinehunde“ und darüber, „dass sich ein ganzes Volk innerhalb weniger Jahre in eine Masse von Charakteridioten verwandeln lässt“. Er vergleicht den Putin’schen Propagandaerfolg mit dem Goebbels’schen. Wollen die deutschen Pazifisten etwa, dass man die Faschisten auch noch mit netten Adjektiven streichelt?

Wer aus Zhadan einen Militaristen und Völkerhasser macht, verkehrt die Verhältnisse. In seiner Friedenspreisrede sagte Zhadan: „Wir unterstützen unsere Armee nicht deshalb, weil wir Krieg wollen, sondern weil wir unbedingt Frieden wollen.“ Klarer geht’s nicht. In seiner Heimatstadt Charkiw liest er regelmäßig vor Soldaten und gibt mit seiner Band Konzerte. Er ist auch vor Bataillonen aufgetreten, die dem ultranationalistischen und rechtsextremen Spektrum zugeordnet werden. Die Situation gibt es nicht anders her.

Ein Rechter ist er deshalb noch lange nicht, wer ihn dazu macht, dient der russischen Propaganda. Schon 2014, in der Debatte über Rechtsextremisten beim Euromaidan, unterschrieb er eine Erklärung mit dem Wortlaut: „Wir sind friedliche Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft aus verschiedenen Regionen der Ukraine. Wir sympathisieren nicht mit den rechtsradikalen Organisationen.“ Auf die Frage, ob er sich als Nationalist oder Patriot bezeichne, sagte er dem Calvert Journal: „Ich bin kein Nationalist. Ein Patriot – das ja.“ Doch der Begriff Patriot sei in der Ukraine anders konnotiert als in Westeuropa oder den USA.

Quelle      :         TAZ-online       >>>>>          weiterlesen

*********************************************************

Grafikquellen       :

Oben      —     House in Zaporizhzhia after Russian strikes on the city with S-300 rockets in the morning of 21 October 2022. The house, a school and infrastructure objects were damaged.

********************************

Unten       —     National Guard of Ukraine demines Kharkiv Oblast after liberation from Russian occupation.

Ein Kommentar zu “Kämpfen für den Frieden”

  1. C. Baumann sagt:

    ergänzend:

    https://scontent-frt3-1.xx.fbcdn.net/v/t39.30808-6/311501890_5396228447156661_743275174759468151_n.jpg?_nc_cat=104&ccb=1-7&_nc_sid=8bfeb9&_nc_ohc=1MPNPzsTSbEAX8lik_V&_nc_ht=scontent-frt3-1.xx&oh=00_AfCozNpyNm7fB7OVpUhc15IKIuy-v3EFS4aCiWxfQC1qqg&oe=635F65B4

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>