Jerusalem, – Linie – 1 –
Erstellt von DL-Redaktion am Dienstag 12. Dezember 2017
Eine Fahrt mit der Straßenbahn von West nach Ost
Aus Jerusalem von Susanne Knaul
Wem gehört die Heilige Stadt? Donald Trump hat sich da festgelegt. Aber was sagen die Jerusalemer?
Um kurz nach 10 Uhr am Vormittag steht Avihu Lugassi an der Haltestelle Herzl Berg und wartet auf die Linie 1 der Jerusalemer Straßenbahn. Es gibt nur diese eine Linie, und die beginnt in dem bürgerlichen jüdischen Viertel Kirjat Hajovel mit seinen gepflegten kleinen Straßen, Ein- und Mehrfamilienhäusern, aber auch modernen mehrstöckigen Mietshäusern, die begehrt sind, vor allem bei frommen Familien. Wer das Grab von Theodor Herzl, des Visionärs des Judenstaates, besuchen möchte, der steigt am Herzl Berg aus.
Für den 17-jährigen Lugassi hat an diesem Freitag gerade das Wochenende begonnen. Er will zum Machane Yehuda Markt, bummeln, vielleicht ein paar Nüsse einkaufen oder etwas zum Naschen, bevor er zu seiner Familie fährt, die in Netanja lebt, an der Mittelmeerküste. Der junge Mann ist Schüler einer Jeschiwa, einer Thoraschule, in der fromme Juden die heiligen Texte studieren. Er trägt schwarze Hosen und ein ordentlich gebügeltes weißes Hemd, die schwarze Kipa sitzt auf den dunklen Locken mit einer Haarnadel fest. Seine nackten Füße stecken in Crocks und lassen den Jungen in dem werdenden Mann hervorlugen, so wie die Reste vom Babyspeck im Gesicht des Pubertierenden.
Für Lugassi ist völlig klar, dass er „mit Gottes Hilfe immer in Jerusalem bleiben“ wird. Das ganze jüdische Volk sollte in der heiligen Stadt leben, „um bereit zu sein, wenn der Messias kommt“, was, wie er glaubt, schon bald geschehen werde. „Klar ist Jerusalem Hauptstadt“, sagt Lugassi, der leise und schnell spricht aber sehr bestimmt. Dass US-Präsident Donald Trump das jetzt auch so sieht, findet er „ganz nett“.
Fast 70 Jahre nach Gründung des Staates Israel ist noch immer völlig offen, wem Jerusalem gehört oder welche Teile der Stadt Israel zugesprochen werden sollenund welche den Palästinensern. Um zu erkunden, was die Jerusalemer selbst dazu sagen, ist eine Fahrt mit der Linie 1 die ideale Annäherung. Denn die Bahn verbindet den jüdischen Westen mit dem arabischen Osten, sie schafft den Anschluss zwischen reichen und armen Vierteln und überquert dabei eine Grenze, von der höchst strittig ist, ob es überhaupt eine Grenze ist, so wie hier fast alles ziemlich strittig ist.
Es piept an der Haltestelle Herzl Berg. Die Türen schließen selbsttätig, der Zug ruckt an. Die Straßenbahn fährt zügig die Herzl-Straße entlang, bis der Zug die Weiße Harfe erreicht hat, eine kaum zehn Jahre alte Hängebrücke am Eingang der Autobahn in Richtung Tel Aviv. Nächster Halt ist der zentrale Busbahnhof. Das Publikum wird gemischter, die ersten Touristen steigen zu, und Araber, die in Westjerusalem arbeiten oder dort Besorgungen machen. Unter die ganz in Schwarz und Weiß gekleideten jüdischen Männer mischen sich Jeansträger und Frauen mit bunten knielangen Röcken und Sandalen.
„Ich hoffe, der Messias kommt. Dann löst sich der Konflikt von selbst“
Schimschon Cohen
Jeschiwa-Schüler Lugassi steigt an der Jaffastrasse, Ecke Machane Yehuda aus, wo sich am späten Vormittag Menschenmengen durch die Marktgassen drängen. Ein junger Musiker mit der für national-religiöse Juden typischen bunt-gestrickten Kipa auf dem Kopf und den Zizit, den Schaufäden traditionell jüdischer Kleidung unter seinem Kapuzenpullover, lässt mit gekonntem Trommeln auf Plastikeimern und Metallschalen ein paar Leute einhalten. Am Straßenrand sitzen zwei ältere Israelinnen und halten die Hand auf.
Auf dem Markt geht es bunt durcheinander auf Hebräisch und Arabisch zu, und ab und an mischen sich Englisch und Russisch dazwischen. Jüdische Israelis und Palästinenser arbeiten Hand in Hand hinter den mit Obst und Gemüse beladenen Tischen, und auch bei der Kundschaft vermischen sich beide Völker. „Den besten Käse der Welt gibt es hier“, ruft eine junge Händlerin und bietet ein dünnes Scheibchen Gouda zum Probieren. Viele Israelis kommen nicht nur hierher, um ein paar frische Äpfel, Nüsse oder Gebäck zu kaufen, sondern auch, um eines der Straßencafés zu besuchen. Wesentlich leiser geht es vis-à-vis des Marktes an der verkehrsberuhigten Jaffastraße zu, dort, wo nur die Straßenbahn rollen darf.
Anise heißt der in grellem rot gestrichene Naturkostladen, in dem Schimschon Cohen seine Rente aufbessert. Das Leben ist teuer in Israel, aber die Arbeit macht dem 72-Jährigen erkennbar Spaß. Cohen hat volles graues Haar, trägt eine schwarze Kipa, und unter dem Pullover schaut ein roter Hemdkragen hervor.
„Was darf es denn sein“, fragt er ein junges Paar, das in den Laden kommt. „Natürlich haben wir Mandelmilch“, sagt er freundlich und bleibt es auch, als die beiden wieder gehen, ohne die Milch zu kaufen. Die Preise sind gesalzen. „Das hier ist eben ein Boutique-Geschäft.“ Als Kleinkind kam Cohen mit seiner Familie aus Bratislava nach Jerusalem. „Wir können auch deutsch reden“, wechselt er in die Sprache seiner Mutter. Die war Österreicherin. „Jerusalem ist für mich nicht nur mein Lebensmittelpunkt und von religiöser Bedeutung“, erklärt er. Dreimal am Tag betet Cohen, der sich als frommen Juden bezeichnet. „Ich hoffe, dass der Messias bald kommt“, lacht er verschmitzt über sich selbst. „Dann würde sich der Konflikt von selbst lösen.“
Angst vor Unruhen, Herr Cohen? „Die regen sich schon wieder ab?
Seit einer Weile wohnt Cohen mit seiner Familie in Ostjerusalem, in der israelischen Siedlung Pisgat Seew. Die Straßenbahn wird ihn am Nachmittag dorthin zurückbringen. Angst vor Unruhen nach Trumps Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels? „Ach, die regen sich schon wieder ab“, sagt Cohen über die protestierenden Palästinenser: „Heute ist es Trump, morgen ist es etwas anderes.“
Von Cohens Naturkostladen sind es nur wenige Stationen bis zur Altstadt, vorbei am Rathaus und den rund zwei Dutzend schlanken Palmen davor. Bürgermeister Nir Barkat hat seinen Amtssitz mit den Stars and Stripes zum Dank an Trump dekorieren lassen. Der Zug biegt in Richtung Osten und hält nicht weit vom Damaskustor, dem Eingang zum muslimischen Teil der Altstadt. Seit dem Morgen steht hier ein Sonderaufgebot berittener Grenzpolizisten bereit, sollte es zu Demonstrationen kommen. Tausende Muslime strömen gerade vom Freitagsgebet in der Al-Aksa-Moschee durch die engen Gassen zurück in Richtung des Richtung des Damaskustores.
Der 26-Jährige Maslim Barakan aus dem arabischen Stadtviertel Beit Safafa kehrt auf dem Heimweg bei Abu Shukri ein, „der beste Falafalbäcker in der Altstadt“, wie sich Juden und Muslime ausnahmsweise einmal einig sind. Barakan bestellt Falafal, Humus, einen Teller mit sauren Gurken und je einer geviertelten Zwiebel und einer Tomate. Das essen hier alle. Zweimal wöchentlich kommt der fromme Muslim in die Al-Aksa-Moschee. Was meint er zu Trump? „Jerusalem war immer arabisch und wird es immer bleiben“, sagt Barakan und meint beide Stadthälften, Ost und West. Ein Zusammenleben beider Völker in Jerusalem schließt er aus.
Am Freitag ist im Restaurant von Abu Shukri nicht viel los. Die meisten Muslime essen zusammen mit ihren Familien. Barakan wischt mit einem Stück Pita über den Humusteller. „Allahu akbar“, rufen draußen vor dem Laden zornige Frauen und Männer und drängeln die mit Helmen und kugelsicheren Westen ausgestatteten israelischen Grenzpolizisten zur Seite. Doch beide Seiten scheinen darauf bedacht zu sein, es nicht zur Gewalt kommen zu lassen.
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Mount Herzl Light Rail station
Unten — Jerusalem, Israel – The Old City with Mount Scopus and the Mount of Olives
- Source : Own work
- Author : Shmuel Spiegelman
- Date :
- Permission : CC-BY-SA-1.0 (See below)
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