DEMOKRATISCH – LINKS

                      KRITISCHE INTERNET-ZEITUNG

RENTENANGST

Ist Natur Kenias Zukunft?

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 22. März 2018

Naturschutz auf dem Holzweg

File:Kenya safari.jpg

Von Ilona Eveleens

In Kenia soll der uralte Embobut-Wald wieder zu neuer Pracht wachsen. Doch dazu müssen die angestammten Waldbewohner weichen. Das Volk der Sengwer wehrt sich. Wer trägt hier den Sieg davon – die Ökologie oder die Menschenrechte?

Elias Kimaiyo ist untergetaucht. Er lebt in einem winzigen Zimmer in der Stadt Eldoret. Kimaiyo ist ein gesuchter Mann: Die Behörden haben genug von seinem Aktivismus. Lokalpolitiker nennen ihn einen Kriminellen. Seine Angst ist so groß, dass er ständig die Handy-Nummer wechselt und seine Telefone meistens abschaltet, um nicht lokalisiert zu werden.

Der 39-jährige Kimaiyo ist Aktivist der Volksgruppe der Sengwer in Kenia. Die rund 30.000 Sengwer haben ihr traditionelles Siedlungsgebiet im uralten Embobut-Wald im Westen Kenias. Das Problem: Der Embobut-Wald ist ein Wasserschutzgebiet. Dort und in den benachbarten Hügeln entspringen die Flüsse, die die Wasserversorgung großer Teile Kenias gewährleisten.

Kenias Regierung will den Wald wiederherstellen, als Schutzgebiet. Dafür sollen die Sengwer weichen. Ein klassisches Dilemma der Entwicklungspolitik: Naturschutz gegen Entwicklung, Indigene gegen den Staat. Nur sind diesmal die Rollen vertauscht: Die Natur soll gegen die Wünsche der Indigenen geschützt werden.

Denn längst ist der Embobut-Wald nicht mehr eine geschlossene tiefgrüne Decke wie noch vor Jahrzehnten. Er ist reduziert auf Ansammlungen an Bäumen auf verstreuten Stellen. Auf den vielen offenen Stellen grasen Kühe, Schafe und Ziegen. Sie gehören den Sengwer selbst. Heute leben die ehemaligen Jäger und Sammler mehrheitlich nicht mehr wie ihre Vorfahren, die im Wald alles fanden, was sie brauchten.

Große Teile des Embobut-Walds sind verloren

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts die britischen Kolonialherren diesen Teil Kenias unter ihre Kontrolle brachten, aßen die Sengwer Fleisch von wilden Tieren, die sie mit Pfeil und Bogen töteten. Sie sammelten Wurzeln und wilde Körner, mit denen sie ihre Ernährung ergänzten. Sie naschten Honig von den Bienen und benutzten Heilkräuter für Krankheiten. Und bei festlichen Anlässen trugen die Männer Felle von den schwarz-weißen Colobus-Affen, die in großen Gruppen im Wald lebten.

Das ist alles Vergangenheit. Die East African Wildlife Society (EAWLS), Kenias führende Naturschutzorganisation, schätzt, dass im Jahr 2009 drei Viertel des ursprünglichen 20.000 Hektar großen Embobut-Waldes verloren waren. Baumverlust, der langfristig zu Erosion und Dürre führt, ist in ganz Kenia ein Problem: Vor der Kolonialzeit war das Land zu 40 Prozent mit Wald bedeckt, jetzt sind es laut der Regierung nur noch beklagenswerte 7 Prozent.

Nicht nur die Sengwer sind daran schuld. Die meisten Felder, die sich bis hoch an die Spitze der einst bewaldeten Berge erstrecken, gehören Bauern von der Volksgruppe der Marakwet, der größten der Region. Die Marakwet leben in Dörfern am Fuße der Berge, nicht im Wald selbst wie die Sengwer.

Waldschutz und Waldbesiedelung durch Menschen gehen nicht zusammen, findet Julius Kamau, Direktor von EAWLS. Er sagt: Embobut muss dringend wiederhergestellt werden, weil Kenia bereits jetzt mit gravierendem Wassermangel zu kämpfen hat. Baumwurzeln sind wichtig, um Regenwasser festzuhalten, und können als Wasserbecken fungieren. Aber kann ein kranker Wald gesunden, wenn Menschen darin leben?

Kimaiyo in seinem Versteck in Eldoret findet nicht, dass das ein Dilemma ist. Dass die Sengwer in ihrem angestammten Wald leben, sei eine Situation, bei der alle Beteiligten nur gewinnen könnten, sagt er. „Wir kennen den Wald am besten. Wir sind die natürlichen Schützer.“ Die Sengwer beanspruchen jahrhundertealte traditionelle Rechte, um im Wald leben zu dürfen.

Die Sengwer halten im Wald Kühe und Schafe – keine Ziegen, die alles kahl fressen. „Diese Tiere fressen ja nur Gras“, sagt Kimaiyo über die Kühe und Schafe. „Aber wenn es schlecht ist für den Wald, muss eine Alternative gesucht werden. Doch die gibt es nicht, weil außerhalb des Waldes nur Äcker sind, wo die Tiere nicht bleiben können. Wir wollen lernen, den Wald zu schützen. Aber wir brauchen auch Hilfe, um zu überleben.“ Allerdings ist bekannt, dass auch Schafe dazu neigen, durch Verbiss das erwünschte Wachstum der Vegetation nachhaltig zu hemmen.

„Die Sengwer kennen den Wald am besten. Wir sind die natürlichen Schützer“ Elias Kimaiyo

Kenias Regierung erkennt die Sengwer nicht als eigene Volksgruppe mit eigenen Rechten an, ebenso wenig, wie früher die britische Kolonialmacht es tat. Deswegen gewährt sie ihnen nicht das Recht auf eigenes angestammtes Land und damit keine Möglichkeit, den Wald selbst zu verwalten.

File:Giraffe Sweetwater Nat Park Kenia.jpg

Vor einigen Jahren, berichtet Naturschützer Kamau, bekamen mehr als 400 Sengwer-Familien jeweils rund 4.000 Euro, um den Wald zu verlassen, in anderen Regionen Land zu kaufen und ein neues Leben zu beginnen. „Aber teilweise kamen sie zurück, nachdem sie das Geld empfangen hatten. Sengwer sind nicht die einzigen Ureinwohner in der Region, die ein besonderes und ausdrückliches Recht haben. Alle sind abhängig vom Wasser aus dem Wald. Sie haben alle Recht auf Wasser“.

Für Sengwer-Aktivist Kimaiyo stellt sich das Handeln der Regierung anders dar. Er erinnert sich, wie Anfang dieses Jahrhunderts seine Eltern den Wald verlassen mussten. „Mein Vater wurde verhaftet, und unser Haus wurde von der Forstverwaltung verbrannt. Das war eine Erfahrung, die ich nie vergessen werde. Ich beschloss, mich einzusetzen für meine Leute. Ich beendete mein Studium und lernte alles, was ich finden konnte, über Embobut und Sengwer.“

Vor einem Jahr war Elias Kimaiyo selbst an der Reihe. Bei einer erneuten Aktion der Forstverwaltung gegen „illegale Siedler“ im Wald rannte der lange, schlanke junge Mann weg und fiel mit einem Knie auf einen Stein. „Die Förster holten mich ein und schlugen mich mit ihren Gewehrkolben auf meine Schulter. Jetzt kann ich meinen rechten Arm nicht mehr benutzen, und meine Kniescheibe ist beschädigt.“

Wütende Sengwer setzen aus Rache ein Gebäude der Forstverwaltung in Brand. Dies machte den Konflikt zu einem echten Krieg zwischen den beiden Lagern. Waldhüter schlagen Sengwer aus dem Wald, verbrennen Häuser und Besitz und beschlagnahmen das Vieh. Kürzlich starb ein alter Mann während einer solchen Konfrontation.

Alle Menschen sind abhängig vom Wasser aus dem Wald. Sie alle haben ein Recht auf Wasser“ – Julius Kamau

Als Reaktion auf das brutale Verhalten suspendierte die EU Mitte Januar ihre mehr als 30 Millionen Euro umfassende Unterstützung für den Schutz der Wasserschutzgebiete in Kenia. „Die EU besteht darauf, die Rechte einheimischer Völker zu achten. Es wurde nie erwartet, dass die Erhaltung von Wasserschutzgebieten Ausweisung oder den Einsatz von Gewalt bedeuten würde“, heißt es in einer Erklärung aus Brüssel.

Zuständige kenianische Regierungsstellen wollten sich gegenüber der taz zu dem Thema nicht äußern. Forstverwaltung und Umweltministerium verweisen aufeinander. Der neue Umweltminister Keriako Tobiko hat immerhin begonnen, die staatliche kenianische Waldbehörde auszumisten: Der Direktor und 14 andere leitende Beamte wurden entlassen. Es hatte zuvor Berichte gegeben, dass die staatlichen Waldhüter Schmiergeld annehmen, um wegzuschauen, wenn Holzfirmen oder Einzelpersonen Wald roden.

Vor dem Hintergrund der gängigen Korruption in Kenia findet der außergewöhnlich harte Umgang der Regierung mit den Sengwer inzwischen landesweit kritische Beachtung. Ende Januar erhielt Elias Kimaiyo in Nairobi für seinen Einsatz einen Menschenrechtspreis der Nationalen Koalition der Menschenrechtsverteidiger. Er schrieb einen Brief an Kenias Präsident Uhuru Kenyatta, in dem er die Beschwerden der Sengwer erklärte. Er bekam bis jetzt keine Antwort.

Quelle   :     TAZ        >>>>>        weiterlesen

——————————————————————————————————

Grafikquellen    :

Oben    —

Description Tourists drive through the Masaai Mara viewing Wildebeests.
Date
Source _MG_5165
Author DEMOSH from Nairobi, Kenya
Permission
(Reusing this file)
w:en:Creative Commons
attribution
This file is licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.

—————————————————
Unten   —

Description Giraffes in Sweetwaters Tented Camp in Kenya
Date
Source Own work
Author Jan Arkesteijn
Permission
(Reusing this file)
Public Domain by author
Public domain I, the copyright holder of this work, release this work into the public domain. This applies worldwide.

Kommentar schreiben

XHTML: Sie können diese Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>