Ist das schon Kaputtalismus?
Erstellt von DL-Redaktion am Sonntag 3. Januar 2016
Debatte Kapitalismus und Wachstum
von Robert Misik
Der Kapitalismus ist an seine Grenzen geraten, sagen immer mehr Ökonomen. Aber würde es uns glücklich machen, wenn er stirbt?
Dass der westliche Kapitalismus in einer schweren Krise ist, ist heute ein derartiger Gemeinplatz, dass der Formulierung selbst schon etwas Klischeehaftes anhaftet. 2008 wäre das globale Finanzsystem beinahe zusammengebrochen. Die Rettungsmaßnahmen, die die Staaten in Panik setzten, belasten die Volkswirtschaften noch auf Jahre hinaus.
Die eher neokonservativ und wirtschaftsliberal orientierten Ökonomen können zur Deutung dieser Situation nichts beitragen. Mit ihren Modellen ist schlicht nicht erklärbar, warum ein System, das auf deregulierte Marktbeziehungen setzt, überhaupt in die Krise kommen kann – und warum es nicht wieder zur Prosperität findet, wenn der Staat abgebaut und die Märkte entfesselt werden.
Die eher keynesianisch und sozialreformerisch orientierten Ökonomen sind deutlich näher an der Realität: Ihre Kritik würde in etwa lauten, dass eine falsche Politik – die Deregulierung der Märkte, die Entfesselung des Finanzsystems und das skandalöse Wachstum der Ungleichheit die Stabilität des Systems erst untergraben haben. Dass also, knapp gesagt, seit 30 Jahren eine falsche Politik gemacht wird – das System aber stabilisiert werden könnte, wenn nur eine richtige Politik gemacht würde.
Aber gehen wir mit offenen Augen durch die Welt: Sehen wir etwa nach Spanien, mit seinen Bauruinen, Mahnmäler fehlgeleiteter Innovationen, Kilometer um Kilometer an den Stränden entlang. Werfen wir einen Blick in die Solidarkliniken in Griechenland, in denen sich die Menschen ohne Krankenversicherung drängen; in die amerikanische Provinz, wo die Arbeitslosenzahlen nicht zurück gehen wollen; in die Innenstädte in Nordeuropa, wo scheinbar noch alles stabil ist, wir aber doch schnell spüren: So richtig voran geht es nicht mehr, es ist allenfalls Stagnation bei immer härterer Konkurrenz um den Wohlstand, ohne jede Zukunftszuversicht. Kurzum: Die Maschine funktioniert nicht mehr richtig. Die Frage ist also: Was, wenn die keynesianischen Instrumente heute auch nicht mehr greifen?
Gigantische Kreditexplosion
Der amerikanische Ökonom Robert Brenner hat schon vor zwanzig Jahren in seinem Buch „The Economics auf Global Turbulance“ eine solche Entwicklung konstatiert – und eine krisenhafte Zukunft vorausgesagt. Brenner prägte den Begriff der „säkularen Stagnation“, also einer lang andauernden Stagnation.
Brenners Analyse hat Charme: Sie erklärt das Ende des Nachkriegsbooms und den langsamen Abstiegs aus endogenen Tendenzen, also logischen inneren Dynamiken des Kapitalismus. Damit liegt der Schluss nahe: Wenn sie auch nur grob stimmen, dann lassen sich die Krisentendenzen nicht einfach durch eine andere Politik aus der Welt schaffen. Der entwickelte Kapitalismus stößt einfach an Grenzen, die hohe Wachstumsraten und Produktivitätszuwächse nicht mehr zulassen.
Quelle: TAZ >>>>> weiterlesen
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