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Israel – Der dunkle Fleck

Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 24. Mai 2018

Die Nakba ist in Israel immer noch ein Tabuthema

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von Thomas Vescovi

Seit Ende März protestieren die Palästinenser im Gazastreifen mit dem „Marsch der großen Rückkehr“ gegen ihre Vertreibung vor 70 Jahren. Doch in Israel ist die Nakba immer noch ein Tabuthema.

Der Marsch der großen Rückkehr begann mit einer Großdemonstration am 30. März, dem „Tag des Bodens“, und soll am 15. Mai, dem „Tag der Katastrophe“ (auf Arabisch Nakba), seinen Höhepunkt erreichen. Nach palästinensischen Angaben wurden bei den Protesten bis Anfang Mai mindestens 45 Menschen von israelischen Scharfschützen getötet. Während Israel am 14. Mai den 70. Jahrestag seiner Staatsgründung begeht und die USA ihre neue Botschaft in Jerusalem eröffnen wollen, gedenken die Palästinenser am 15. Mai der 805 000 Vertriebenen aus dem ersten arabisch-israelischen Krieg von 1948/49.

Die Nachkommen der palästinensischen Vertriebenen leben überall in der Welt verstreut. Sie warten bis heute auf die Umsetzung der UN-Resolution 194, die am 11. Dezember 1948 von der Generalversammlung in New York verabschiedet wurde und die unter anderem ein Rückkehrrecht beziehungsweise Schadenersatzzahlungen vorsieht.

In der Vorahnung, dass sich die Version des Siegers durchsetzen würde, haben palästinensische Historiker damals die Ereignisse dokumentiert. Fast 40 Jahre gingen ins Land, bis ihre Chroniken auch jenseits der arabischen Welt wahrgenommen wurden. 1987 erschienen die ersten Arbeiten der „neuen israelischen Historiker“ Benny Morris, Tom Segev, Ilan Pappe, Avi ­Shlaim und anderer.

Im gleichen Jahr brach die erste Intifada (1987–1993) aus; es entstand die Bewegung der „Refuzniks“, junger Is­rae­lis, die sich weigerten, in den besetzten Gebieten Militärdienst zu leisten, und sogar innerhalb der israelischen Armee fing man an, sich selbstkritische Fragen zu stellen. Als dann 1991 viele arabische Länder beschlossen, die US-geführte Anti-Irak-Koalition gegen Saddam Hussein zu unterstützen, sagten sie sich damit auch von der panarabischen Ideologie los, Verhandlungen mit Israel kategorisch abzulehnen. In diesem offeneren politischen Klima wurde Jitzhak Rabin 1992 israelischer Ministerpräsident, dessen Gespräche mit PLO-Chef Jassir Arafat ein Jahr später zur Unterzeichnung der Oslo-Abkommen führten.

In der ersten Hälfte der 1990er Jahre wurden die Thesen der neuen Historiker zwar nicht von allen geteilt, aber immerhin breit diskutiert. Man machte sich Gedanken über eine gemeinsame israelisch-palästinensische Geschichtsschreibung, und eine Kommission kümmerte sich um eine Revision des Geschichtsunterrichts. Dieser vorsichtige Annäherungsprozess geriet jedoch ins Stocken, als Rabin am 4. November 1995 von einem jüdischen Ex­tre­mis­ten ermordet wurde, der Hardliner Benjamin Netanjahu im Mai 1996 zum ersten Mal das Amt des Ministerpräsidenten übernahm und eine Serie von palästinensischen Selbstmordanschlägen in Israel Angst und Schrecken verbreitete.

File:J. B. Barron, ed. Palestine, Report and General Abstracts of the Census of 1922. Government of Palestine.djvu

Der Ausbruch der zweiten Intifada Ende September 2000 zerstörte schließlich die letzten Orte der Begegnung, an denen sich Israelis und Palästinenser über eine gemeinsame Geschichtsschreibung austauschen konnten. Die pazifistischen Gruppen waren schon nach dem Scheitern des Camp-David-Gipfels im Juli 2000 auseinandergebrochen. Ein Scheitern, für das Ministerpräsident Ehud Barak allein Jassir Arafat verantwortlich machte (Jahre später gab er zu, dass er Arafat nichts angeboten hatte). Bis dahin hatten die Friedensaktivisten der zionistischen Linken viel Zuspruch erhalten, doch nach Camp David und dem Beginn des zweiten Palästinenseraufstands stiegen viele aus der Friedensarbeit aus.

Für die jüdische Mehrheitsgesellschaft, die die zweite und weitaus blutigere Intifada als Angriff ohne Vorwarnung wahrnahm, gab es nun „keinen Partner“ mehr zum Friedenschließen – zumal der Aufstieg der Hamas im Gazastreifen der inzwischen weltweit verbreiteten Angst vor islamistischem Terror neue Nahrung gab. 2001 gewann Ariel Scharon, Chef der israelischen Rechten, mit einem neuen Vorschlag die Wahl: Da ein Zusammenleben unmöglich sei, könne nur die Trennung Frieden bringen. Scharon ließ die is­rae­lischen Siedlungen im Gazastreifen räumen und begann im West­jor­dan­land mit dem Bau einer Mauer.

Auf Kosten der Erinnerung an die Nakba wurde außerdem die alte Propaganda wieder aufgefrischt, dass die Palästinenser ihr Land verlassen hätten, um nicht mit den Juden zusammenzuleben, und dass Israel ein Recht auf das Land besitze, da es Abraham von Gott bekommen habe. Scharon verbannte Eyal Navehs kritisches Geschichtsbuch aus den Schulen, und an den Universitäten wurden die Arbeiten der „neuen Historiker“ heftig bekämpft. 2006 gründete sich dann die Studentenorganisation „Im Tirtzu“ (Wenn du es willst), die Kampagnen unter dem Slogan „Die Nakba ist eine Lüge“ organisiert.

Das Wort Nakba wurde aus dem Lehrplan gestrichen

Quelle    :     Le Monde diplomatique         >>>>>        weiterlesen

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Grafikquellen   :

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