Das OLG Frankfurt hat den Angeklagten A. schuldig gesprochen: des Völkermordes in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge, einem Kriegsverbrechen gegen Personen mit Todesfolge, Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen in zwei tateinheitlichen Fällen sowie mit Körperverletzung mit Todesfolge.
Das klingt kompliziert, ist aber letzten Endes nur etwas unübersichtlich, weil die angewendeten Strafnormen recht anschaulich und daher etwas sperrig formuliert sind. Der »Völkermord« ist der hier im Vordergrund stehende Verbrechenstatbestand. Früher stand er ganz vorn im »Besonderen Teil« des Strafgesetzbuchs (§ 220 alter Fassung). Seit 2002 ist er, dem »Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs« folgend, im StGB zum Schatten verblasst, stattdessen in § 6 des damals neuen »Völkerstrafgesetzbuchs« (VStGB) gewandert. Weil die angewendeten Vorschriften sicher nicht allen Lesern geläufig sind, seien sie auszugsweise zitiert.
§ 6 Abs. 1 VStGB lautet:
(1) Wer in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder ethnische Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören,
1. ein Mitglied der Gruppe tötet,
2. einem Mitglied der Gruppe schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 des Strafgesetzbuches bezeichneten Art, zufügt,
3. die Gruppe unter Lebensbedingungen stellt, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen,
4. Maßregeln verhängt, die Geburten innerhalb der Gruppe verhindern sollen,
5. ein Kind der Gruppe gewaltsam in eine andere Gruppe überführt,
wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
§ 7 Absatz 1 Nummer 1 VStGB lautet:
(1) Wer im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung 1. einen Menschen tötet,
(…)
wird in den Fällen der Nummern 1 … mit lebenslanger Freiheitsstrafe (…) bestraft.
Und § 8 Absatz 1 Nummer 1 VStGB lautet:
§ 8 Kriegsverbrechen gegen Personen
(1) Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt
1. eine nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Person tötet, (…)
wird in den Fällen der Nummer 1 mit lebenslanger Freiheitsstrafe … bestraft.
Die übrigen angewendeten Vorschriften lasse ich weg, denn sonst wird es zu unübersichtlich. Man kann, was ich sehr empfehle, die Regelungen auf der Internetseite »Gesetze im Internet« des BMJV unter »VStGB« nachlesen. Das ist aus gleich mehreren Gründen sehr lehrreich: Zum einen kann man erkennen, wie mühevoll und sperrig es sein kann, internationale Rechtsvorgaben in nationales Recht zu »übersetzen« – im Vertrauen darauf, dass die völkerrechtlichen Partner das genauso machen. Zum anderen kann man seine Fantasiefähigkeit überprüfen, indem man die in den §§ 6 bis 8 des VStGB aufgezählten Handlungen sich einmal plastisch und konkret vorstellt. Dabei kann man, wenn man möchte und sich traut, auch gleich eine nachträgliche »Subsumtion« der familiär überlieferten diversen Kriegsabenteuer vornehmen. Schließlich kann man, mit §§ 6 bis 8 VStGB im Hinterkopf, die belanglos klingenden Worthülsen von »Tagesschau« bis »Außenminister« ein wenig besser einordnen.
Hier, im Fall des OLG Frankfurt, hatte der Täter A., ein Kämpfer des »Islamischen Staates«, eine junge Frau (die Nebenklägerin) und ihre fünfjährige Tochter als »Sklaven« gekauft; die Frau verwendete er als Dienerin in seinem gemeinsam mit seiner aus Deutschland stammenden Gattin geführten Haushalt. Beide Opfer wurden lang dauernd und wiederholt misshandelt, erniedrigt und gequält; der Angeklagte fügte ihnen erhebliche Verletzungen zu. Hintergrund der Versklavung war der Umstand, dass die Tatopfer Jesiden, also Mitglieder einer nicht-islamischen Glaubensgemeinschaft waren. Diese werden in der Ideologie der Organisation »Islamischer Staat« als Ungläubige und minderwertig betrachtet; ihre Unterwerfung, Tötung und Vernichtung als Volksgruppe gelten als vorgeblich göttlich erlaubt und erstrebenswert. Sadistische Allmachtsfantasien setzen einen starken Glauben an die eigene Gottgesandtheit nicht voraus; er ist ihnen aber nützlich.
Verfahren
Der Angeklagte A. ist Ausländer. Er hat die Tat gegen die ebenfalls ausländischen Opfer im Ausland begangen. Es ist daher nicht selbstverständlich, dass die deutsche Strafjustiz berufen und berechtigt sein soll, seine Taten zu verfolgen. Die Antwort ergibt sich insoweit aus § 1 Abs. 1 S. 1 des VStGB, das ein deutsches Gesetz ist, kein »Völkergesetz«, und daher für die deutsche Justiz gilt:
»Dieses Gesetz gilt für alle in ihm bezeichneten Straftaten gegen das Völkerrecht, für Taten nach den §§ 6 bis 12 auch dann, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und keinen Bezug zum Inland aufweist.«
Und die Zuständigkeit des OLG als Gericht erster Instanz ergibt sich aus § 120 Abs. 1 Nr. 8 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG). Alles insoweit also klar.

Natürlich kann / muss man fragen, was es die deutschen Gerichte angeht, wenn Ausländer im Ausland Verbrechen gegen Ausländer begehen. Das lässt sich nicht einfach mit einem Hinweis auf einen Vorschriftentext beantworten. Denn die Staaten sind nun einmal, wie man weiß, ein wenig heikel mit ihrer Souveränität und der Verfolgung ihrer Staatsbürger durch fremde Mächte. Wenn die Taliban, die sich kürzlich einmal mehr von der »Terroristenbande« zum Staatsapparat gewandelt haben, in Kabul einen deutschen Staatsbürger aburteilen wollten, weil er in Frankreich einen indischen Imam beleidigt hat, würde unser Außenminister, 55, sogleich in eine Kamera sprechen, dass er, falls das nicht sofort aufhört, den Herrn Bundespräsidenten, 65, ersuchen wird in Erwägung zu ziehen, eine Reihe von möglichen Sanktionen daraufhin prüfen zu lassen, ob er sie nicht vielleicht in seiner nächsten Neujahrsansprache erwähnen dürfen könnte.
Allerdings muss man einräumen, dass es so weit wohl nicht kommen würde, schon wegen der Dringlichkeit anderer Amtsgeschäfte. Der geschäftsführende Außenminister, der uns angesichts des kürzlichen völlig überraschenden Sieges des Taliban-Staats in Afghanistan, einer ganz entlegenen Weltgegend, darüber in Kenntnis setzte, er werde alsbald höchstpersönlich etwa 80.000 »Ortskräfte« einschließlich Kind und Kegel ins sichere Berlin exportieren, hat zunächst noch einmal nachgerechnet, sodass sich die Zahl der hilfebedürftigen Helferlein erfreulicherweise halbierte, und ließ sodann kürzlich berichten, die ersten 500 seien schon da. Da wird es also noch eine Menge Arbeit geben für die kommende Völkerrechtlerin.
Quelle : Spiegel-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main
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Unten — Thomas Fischer auf der re:publica 2016
Ot – Eigenes Werk
Thomas Fischer (Jurist)
CC-BY-SA 4.0
File:Thomas Fischer-Jurist-rebuliva16.JPG
Erstellt: 4. Mai 2016