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Im Regenwald Brasiliens

Erstellt von Redaktion am Samstag 27. Juli 2019

Sie kommen mit Kettensägen

Von Anja Martin

„Unter dem indigenen Land liegt Wohlstand“, hat Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro gesagt. Bodenschätze, Flächen für Rinder und Soja. Die Indigenen stehen den Eindringlingen hilflos gegenüber.

ie zwei Hüter des Waldes halten Pfeil und Bogen in der Hand, sitzen im Bug des schmalen Bootes, die Augen aufs Wasser gerichtet. Bewegungslos. Stundenlang. Ohne sich zu unterhalten. Was sie bewahren wollen, zieht links und rechts an ihnen vorbei. Der größte zusammenhängende Regenwald der Erde. Manche sagen auch: die grüne Lunge der Welt.

Ein Teil Amazoniens ist im Besitz der Parakanã, des Stamms, zu dem die beiden Männer im Boot gehören. Genau 7.738 von acht Millionen Quadratkilometern Regenwald. Gelegen im Bundesstaat Pará, am Rio Xingú, dem letzten großen Nebenarm des Amazonas, bevor der in den Atlantik fließt.

Die Parakanã bekamen das Land vor zwölf Jahren zur alleinigen Nutzung zugesprochen, weil schon ihre Vorfahren hier jagten, sammelten, Kinder bekamen. Lange bevor es den Staat Brasilien gab. Nie würden sie den Wald für Viehweiden oder Sojaplantagen abholzen, den Boden auf der Suche nach Erzen umgraben. Das verbietet ihre Kultur.

Die Parakanã können sich ohne Übertreibung die Hüter des Waldes nennen, aus der Luft kann man gut erkennen, wo ihre Territorien liegen. Es sind die durchgängig grünen Flächen. Wer genauer hinschaut, entdeckt an den Rändern braune Flecken, die sich in die Gebiete hineinlegen wie Teppiche.

Wegen der braunen Flecken sitzen wir in diesem Stahlboot mit Außenbordmotor und zwei Sprittonnen. Wer im Regenwald auf dem Wasser unterwegs ist, braucht genügend Diesel. Die Parakanã wollen uns deutschen Journalisten zeigen, wo Holzfäller und Goldsucher mal wieder zugeschlagen haben. Dafür fahren wir vom Hauptdorf Apyterewa den breiten Rio Xingú nach Süden, dann den schmalen, verschlängelten São Sebastião entlang in Richtung Osten, immer an den Grenzen des Parakanã-Territoriums entlang.

Schon drei Stunden sind wir unterwegs. Allen wird klar, warum die Jäger der Parakanã, die sich zurzeit lieber Krieger nennen, ihr Gebiet nicht schützen können. Die Entfernungen sind immens, der Regenwald ist in vielen Teilen undurchdringlich. Die schnellsten und oft auch einzigen Wege sind die auf dem Wasser.

Den Parakanã gelingt es kaum, sich den weißen Eindringlingen gegenüber Respekt zu verschaffen – egal ob mit oder ohne Pfeil und Bogen. Deswegen meiden sie direkte Konfrontationen. Meist sprechen sie auch nicht dieselbe Sprache – weder kulturell noch linguistisch.

„Unsere große Aufgabe ist es, das Land zu schützen und zu bewahren“, sagt Kawore, 31, schwarz glänzende Haare, ein Jaguarzahn am Lederband um den Hals. Natürlich hat er den Jaguar selbst erlegt. Sein Nachname: Parakanã. So heißen alle Mitglieder seiner Ethnie. Kawore ist einer der drei gewählten Vertreter seines Dorfes, eine Art Vize-Kazike, verantwortlich für den Kontakt nach außen, für Gespräche mit der Regierung, für Treffen mit anderen indigenen Ethnien, die dieselben Probleme haben. Es gibt mehr als 300 in Brasilien. Als einer der ganz wenigen seines Volks spricht Kawore Portugiesisch.

Lange waren die Kettensägen still, erzählt er, doch in letzter Zeit werde wieder viel gerodet, fast tausend Hektar im September letzten Jahres. Das zeigen Luftaufnahmen, die die Parakanã mit Hilfe der Indigenenbehörde Funai gemacht haben. Mehrfach haben sie Anzeige erstattet, doch nichts ist passiert.

Finden sie bei Polizei, Politik und Justiz kein Gehör, sind die Indigenen machtlos. Die Parakanã im Apyterewa-Reservat sind nur 470 Menschen – ohne Finanzkraft und ohne wichtige Player in ihren Reihen. Seit vierzig Jahren kämpfen sie für ihr Land, sagt Kawore. „Die aktuelle Regierung taugt nichts. Wir merken schon jetzt, dass sie indigene Gebiete freigeben und Eindringlinge stärken will.“ Der Umweltminister, den der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro für seine Regierung gewählt hat, wandte sich vor Kurzem an die Holzfäller im Amazonasgebiet: „Ihr seid die Guten in diesem Land, die, die arbeiten.“

436.600 Quadratkilometer Regenwald wurden im brasilianischen Teil des Amazonasgebiets seit 1988 abgeholzt. Das ist deutlich mehr, als Deutschland groß ist (353.500 Quadratkilometer). Der Höhepunkt der Rodungen war Mitte der neunziger Jahre, mit rund 29.000 Quadratkilometern pro Jahr. 2004 starb noch einmal fast so viel Wald. Dann gingen die Zahlen wegen besserer Überwachungsmöglichkeiten zurück, um seit 2015 wieder anzusteigen.

Menschen drängen in den Regenwald, die Rinder züchten, Gensoja anbauen und Bodenschätze finden wollen. Bäume stören da nur. Das findet auch Jair Bolsonaro. Immer wieder fordert der Präsident mehr Platz fürs Agrobusiness. „Wir wollen die Natur schützen, aber ohne dabei Hindernisse für den Fortschritt zu schaffen“, sagte er vor seinem Amtsantritt.

Índios da etnia Terena2.jpg

Links Indigenengebiet, dichter Regenwald, ab und zu Schilder: nicht betreten. Rechts das Brasilien für jedermann, oft mit unklaren Landverhältnissen, doppelten Urkunden, löchrigem Waldbestand. Je weiter wir nach Osten kommen, umso häufiger sehen wir, dass Wald fehlt, dass das grüne Uferband durchbrochen ist – auch auf der geschützten Seite.

Quelle        :         TAZ         >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben       —       Blick von oben über den Regenwald am Amazonas

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Unten        —    Índios da etnia Terena na cerimônia de encerramento da nona edição dos Jogos dos Povos Indígenas (Olinda PE)

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