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Illegale Polizei Aktionen ?

Erstellt von Redaktion am Sonntag 29. September 2019

Warum der derzeitige Einsatz von V-Personen durch die Polizei illegal ist

Querlle       :         Netzpolitik ORG.

 , Dr. Anna Luise Decker

Kontaktpersonen besorgen Verfassungsschutz und Polizei Informationen – ohne Ausbildung, aber mit Honorar aus der Staatskasse. Sie sind gleichzeitig hochwirksame und hochgefährliche Beweismittel. Unsere Gastautorin untersuchte, ob der Einsatz von V-Leuten bei der Polizei legal ist.

Anna Luise Decker studierte Jura in Münster und kam im Zuge eines Praktikums bei einer Berliner Kanzlei erstmals in Berührung mit dem V-Personen-System. Anschließend arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einer Wirtschaftsrechtskanzlei und promovierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zu diesem Thema. Seit Januar 2018 ist sie Richterin in Berlin.

V-Leute werden in verschiedensten Bereichen der Kriminalitätsbekämpfung eingesetzt. Sie sind nicht allein in strafrechtlich relevanten Sachverhalten unterwegs, sondern auch in Milieus, in denen die Schwelle zum Rechtsbruch womöglich (noch) nicht überschritten ist, die dem Staat aber trotzdem unheimlich sind. Es geht um Bereiche, zu denen der Staat selbst keinen Zugang hat, rechts- wie linksextreme Szenen zum Beispiel. Streng abzugrenzen sind V-Personen von verdeckten Ermittlern. Das sind Polizisten, die unter einer Tarnidentität agieren.

Warum die Polizei Privatpersonen einsetzt, liegt auf der Hand: Es ist leicht vorstellbar, dass es für einen Polizisten schwerer bis gar unmöglich ist, in eine Szene angeblich Gleichgesinnter einzutauchen. Zusätzlich ist die Gefahr einer Enttarnung größer als für denjenigen, der in dieser Szene verwurzelt ist. Denn ihm gelingt es, dort wie ein Fisch im Wasser zu schwimmen. Zudem unterscheiden sich V-Leute von Informanten, die nicht langfristig, sondern nur im Einzelfall Informationen der Polizei oder dem Verfassungsschutz weitergeben.

V-Leute haben keinen Dienstherren

V-Leute haben, anders als Polizisten, keinen Dienstherren. Sie besuchen weder die Polizeischule noch unterliegen sie einem Eignungstest, sie brauchen nicht einmal eine abgeschlossene Schulausbildung. Die Identität einer V-Person wird zu keinem Zeitpunkt preisgegeben, das versteht sich von selbst. Eine enttarnte V-Person ist verbrannt und kann nicht mehr eingesetzt werden. Als Zeuge vor Gericht tritt er oder sie nicht auf.

Verfahrensrechtlich relevante Informationen werden durch sogenannte V-Mannführer in den Prozess eingeführt. Nur der V-Mannführer tritt von staatlicher Seite mit der V-Person in persönlichen Kontakt. Das Ergebnis des Gesprächs mit seiner Quelle hält der Ermittler schriftlich fest und berichtet in dem sich möglicherweise anschließenden Strafverfahren den Verfahrensbeteiligten.

In einem Strafprozess ist grundsätzlich das unmittelbarste Beweismittel einzuführen. Daher hat die Aussage des V-Mannführers nicht den gleichen Wert wie eine originäre Vernehmung, er agiert als sogenannter Zeuge vom Hörensagen. Trotzdem sind durch V-Leute schon so manche Verbrechen aufgeklärt worden, an denen sich staatliche Ermittler zuvor die Zähne ausgebissen hatten.

Der finanzielle Anreiz muss hoch sein

Führt man sich das „berufliche“ Vorgehen einer V-Person vor Augen, wird deutlich: Es lebt sich ziemlich gefährlich. Der Anreiz, geheime Informationen mit dem Staat zu teilen, muss groß sein, damit er oder sie sich dazu hinreißen lässt, Geheimnisse mit der Polizei oder dem Verfassungsschutz zu teilen. Darum werden V-Leute auch großzügig entlohnt, sie bekommen Strafrabatte, Vorteile im Rahmen der eigenen Strafverfolgung oder andere Annehmlichkeiten.

Eine genaue Umreißung ihres Besoldungssystems entzieht sich jeglicher – jedenfalls öffentlich zugänglicher Darstellung – ebenso wie die meisten sonstigen Umstände ihres Einsatzes. An die Frage der Entlohnung schließt sich die ihres Erfolgsdrucks an. Die oft vertretene These, dass sich der Einsatz für den Staat dann ganz besonders lohnt, wenn auch viel geliefert wird, scheint daher nicht zu weit hergeholt. Es besteht die Gefahr, dass eine V-Person Informationen aufbauscht oder gar erfindet, um das eigene Honorar zu steigern. Denkbar ist zudem, dass auch die staatliche Kontaktquelle der V-Person ein Interesse daran hat, eine möglichst gehaltvolle Quelle präsentieren zu können und sie die gewonnenen Erkenntnisse zusätzlich aufwertet.

V-Personen sind hochwirksame, hochgefährliche Beweismittel

Allein die Nähe zur Erkenntnisquelle macht eine V-Person für eine staatliche Anwerbung interessant. V-Leute sind Gefängnisinsassen, die ihren Zellennachbarn Freundschaft und intrinsisches Interesse  vorspielen, die Beziehung zum Gegenüber aber in staatlichem Auftrag ausnutzen. V-Leute sind aber auch Private, die ein doppeltes Spiel spielen: Sie geben nur vor, sich dem kriminellen Milieu entsagt zu haben und den Staat auf dessen Kosten mit falschen oder nur der Ablenkung dienenden Informationen versorgen.

Der Einsatz privater Ermittler im staatlichen Auftrag wirft unzählige Fragen auf: Macht sich die V-Person zum Beispiel strafbar, wenn sie bei einem Ausflug mit ihrer Gruppe den Hitlergruß zeigt oder wenn sie sich im Rahmen einer Demonstration vermummt und eine Fensterscheibe einschlägt? Ist ihr Verhalten dem Staat zurechenbar, sodass sich die Einsatzbehörde womöglich sogar schadensersatzpflichtig gegenüber dem Ladeninhaber mit der eingeschlagenen Scheibe macht? Wie ist zu verfahren, wenn der V-Mann eine andere Person dazu verleitet, eine Straftat zu begehen?

Deutlich wird nach all dem: V-Leute sind hochwirksame, aber gleichzeitig auch hochgefährliche Beweismittel.

Aufgrund des dargestellten Spannungsverhältnisses mag man nun eine äußerst komplexe gesetzliche Normierung erwarten. Ein Gesetz, das sich der Problematik annimmt und geeignet ist – oder jedenfalls versucht -, Licht ins Dunkel zu bringen. Weit gefehlt, der V-Personeneinsatz war bundesgesetzlich bis vor kurzem nirgends gesetzlich geregelt.

Der V-Personeneinsatz der Polizei ist nicht bundesgesetzlich geregelt

Der Gesetzgeber hat erst im Jahr 2016 gehandelt. Durch § 9b des Bundesverfassungsschutzgesetzes hat er den Einsatz Privater für den Bundesverfassungsschutz geregelt. Seither dürfen nur Volljährige für die Behörde ausforschen. Der Einsatz des Privaten darf jedenfalls auf Dauer nicht alleinige Grundlage seines Lebensunterhalts sein. Und der V-Mann darf auch nicht wegen eines Verbrechens, beziehungsweise wegen eines Vergehens zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung verurteilt worden sein – wobei von der letztgenannten Voraussetzung großzügig Ausnahmen zugelassen sind.

Der V-Personeneinsatz der Polizei ist hingegen bundesgesetzlich völlig ungeregelt. Die Strafprozessordnung enthält durch die Normierung des § 110a allein eine Regelung für verdeckt ermittelnde Polizisten. Weder der Begriff des „V-Mannes“ noch der der „V-Leute“ ist in der Strafprozessordnung erwähnt. Nur mit einem förmlichen Gesetz ist es möglich, Grundrechte einzuschränken. Der Einsatz polizeilicher V-Leute bewegt sich jedoch derzeit auf völlig unnormiertem Terrain. Das wirft die Frage auf: Ist es der Zweck, der das Mittel heiligt?

Der Gesetzesvorbehalt verbietet es, den Zweck das Mittel heiligen zu lassen

Von dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts gibt es keine Ausnahme. V-Leute besuchen Wohnungen von auszuforschenden Personen und unterhalten sich mit ihnen. Sie können Gesprächsinhalte, anders als bei der Telefonüberwachung, nicht nur abschöpfen. Sie haben sogar die Möglichkeit, Fragen zu stellen. V-Personen ist es dadurch möglich, derart tief in die Privatsphäre einzutauchen, wie es nicht einmal Telefonüberwachung vermag.

Die Möglichkeit, in die Grundrechte der Zielpersonen einzugreifen, ist bei V-Leuten demnach viel tiefgreifender ausgestaltet. Kurz gesagt: Der Gesetzesvorbehalt verbietet es, den Zweck das Mittel heiligen zu lassen.

Die mangelnde gesetzliche Normierung ist nicht alleine ein Problem der Rechtsphilosophie, anders als es der Vorsitzende der Deutschen Polizeigesellschaft Rainer Wendt darstellt. Das zeigt sich zum einen dadurch, dass der Gesetzgeber sich der Thematik jedenfalls für die Einsatzbehörde des Bundesverfassungsschutzes angenommen hat. Zum anderen empfahl eine seitens des Justizministeriums eigens eingesetzte namhafte Expertenkommission zur Reformierung der Strafprozessordnung im Jahr 2015 dringend, den V-Personeneinsatz auf gesetzliche Füße zu stellen.

Das Reformgesetz ist seither längst umgesetzt. Die Strafprozessordnung hat im Zuge der Novellierung einige Neuerungen erfahren: Zum Beispiel ist der Richtervorbehalt bei Blutprobenentnahmen im Zusammenhang mit Straßenverkehrsdelikten abgeschafft worden. Nur die Normierung der V-Person ist nicht einmal ins Entwurfsstadium gelangt.

Expertenkommission rief zu Normierung auf

Nachdem die Expertenkommission die Empfehlung abgab, erörterte das Parlament dieses Thema nicht weiter. Die Notwendigkeit, eine Normierung in der Praxis zu schaffen, wird noch verneint. Man könne den Einsatz der V-Person doch auf die sogenannte Ermittlungsgeneralklausel stützen. Konkret sind das die Regelungen der Paragrafen 161 und 163 der Strafprozessordnung. Diese Paragraphen legen fest, welche Aufgaben die Polizei im Ermittlungsverfahren hat.

Jedoch sind sich sowohl die Rechtslehre als auch die ständige Rechtsprechung darüber einig, dass diese sehr generell gefasste Norm nur als Eingriffsgeneralermächtigung für Ermittlungshandlungen von geringer Intensität dienlich sein kann. Unter anderem können Polizisten aufgrund der Ermittlungsgeneralklausel Erkundigungen im Umfeld einer gesuchten Person einholen oder sich KfZ-Kennzeichen notieren.

Für intensive Rechtseingriffe, wie sie durch den V-Personeneinsatz zweifelsohne begründet werden, bedarf es einer speziellen Eingriffsbefugnis. Die bereits dargestellte Telefonüberwachung kann beispielsweise nicht auf diesen Auffangtatbestand gestützt werden. Die Abhörmaßnahme greift nach allgemeiner Annahme derart tief in verschiedene Grundrechte ein, dass es dafür eben einer spezialisierten Regelung bedarf. Dennoch greift die polizeiliche Praxis derzeit bei V-Leuten auf diese Generalklausel zurück.

Das liegt zum einen daran, dass die obergerichtliche Rechtsprechung der Politik bisher noch keinen derart konkreten Handlungsauftrag gegeben hat wie seinerzeit bei den V-Leuten des Verfassungsschutzes. Für diesen Bereich hatte unter anderem und insbesondere das Oberlandesgericht Düsseldorf im Jahr 2011 das Fehlen einer gesetzlichen Regelung konkret bemängelt. Der Gesetzgeber war gezwungen, die Verfassungsschutz-Praxis zu regeln.

Zum anderen fehlt ein solches Gesetz für den Bereich der Polizei bisher wohl auch deshalb, weil eine regulative Umsetzung des derzeit praktizierten und derart brisanten Konstrukts schier unmöglich erscheint.

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