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Ich bin Antifaschist

Erstellt von Redaktion am Dienstag 11. Januar 2011

Erfahrungen eines aktiven Gewerkschafter

Datei:Brandenburg Gedenkstätte der Antifaschisten.JPG

Viele Jahre habe ich für den DGB Landesbezirk NRW und den Landesportbund NRW ehrenamtlich Jugendreisen betreut und geleitet.

Immer, wenn eine unserer Jugendreisen als Zielort in der Nähe eines Ortes ermordeter Menschen der Nazis war, sind wir natürlich mit den Jugendlichen zu den nächstgelegenen Gedenkstätten für die Opfer gefahren.

Ich hatte die Jugendlichen mit meinen Betreuerteams immer gut auf das zu Erwartende vorbereitet, mit Filmen, Videos, Lesematerial, Gruppengesprächen etc.!

Wenn wir z.B. in Lenste an der Ostsee waren, wo die DGB Jugend ein großes, fest eingerichtetes Camp hatte, haben wir mit den Jugendlichen über das Schicksal der ermordeten KZ Opfer auf dem Schiff „Kap Arkona“ gesprochen, was kurz vor Kriegsende durch einen Bombenangriff versenkt wurde und tausende unschuldige Menschenleben forderte.

Wenn wir in Weissenbach am Attersee (Österreich) waren, wo wir als zahlende Gäste der sozialistischen Jugend Österreichs in deren Camp über den DGB Landesbezirk NRW untergebracht waren, sind wir selbstverständlich mit unseren Jugendlichen zur KZ Gedenkstätte Mauthausen (Österreich)gefahren.

Wir haben uns immer bemüht, Zeitzeugen für ein Gespräch mit unseren Jugendlichen zu gewinnen und meist gelang es. Es waren immer spannende Gespräche zwischen den Jugendlichen und den KZ Überlebenden.

Welche Geduld diese älteren Menschen mit den Jugendlichen hatten, um Ihnen die Gräuel der Naziherrschaft darzulegen, hat mich immer wieder tief beeindruckt und manchmal auch zu Tränen gerührt, ich habe mich aber nie vor den mir anvertrauten Jugendlichen geschämt, wenn ich einfach geweint habe, weil das Gehörte und gesehene auch für mich als Erwachsen so schrecklich war, dass ich es selber kaum aushalten konnte.

Drei Erlebnisse aus dieser Zeit mit meinen Jugendlichen haben sich für immer in mein Gedächtnis eingeprägt und wenn ich daran denke, weiß ich, warum ich überzeugter Antifaschist und Gegner jeden totalitären Gedankentums bin.

Wir waren mit den Jugendlichen 1985 in der KZ Gedenkstätte Mauthausen (Österreich) und die Leiterin zeigte uns die sogenannte „Genickschussanlage“. Die zu Unrecht eingesperrten Menschen dachten, ihre Körpergröße würde gemessen, sie mussten sich vor ein dickes Zentimetermaß stellen, in einem medizinisch sauberen Raum, ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen und wenn sie meinten, es würde der Einsteller zur Ermittlung ihrer richtigen Körpergröße hinter ihren Rücken an dem Zentimetermaßstab eingestellt, sahen sie nicht, dass damit nur die Pistole von den Nazischergen justiert wurde, die ihnen den tödlichen Genickschuss verpasste.

Unsere jungen Mädels brachen weinend in der Gedenkstätte zusammen, sie konnten das einfach alles nicht mehr aushalten, tagelang haben mein BetreuerInnenteam und ich mit ihnen gesprochen, bis spät in die Nacht um gemeinsam das Gesehene aufzuarbeiten.

Häufig ging es auch an meine menschlichen und mentalen Grenzen, aber ich hatte für die mir anvertrauten Jugendlichen die Verantwortung, sie durften auch sehen, dass ich selber weinte, dafür musste ich mich nie schämen, meine Jugendlichen haben es verstanden, aber ich habe ihnen denn auch erklären müssen, was diese Nazi Verbrecher alles mit Menschen angestellt haben.

Noch schlimmer war es für mich 1984 in der KZ Gedenkstätte Dachau. Unser Jugendreisecamp war direkt am Walchensee (Bayern) und gehörte dem DGB Bayern und dem Landessportbund Bayern gemeinsam.

Wir fuhren dann mit den Jugendlichen in die KZ Gedenkstätte Dachau, unser Busfahrer hiess Kaspar Öttl, kam aus dem kleinen bayrischen Ort Niedernach direkt am Walchensee und erzählte den Jugendlichen schon auf der Hinfahrt, dass jeder damals sehen konnte, als der Naziterror war, dass das KZ Dachau an einer Hauptverkehrsstraße lag, damals wie heute und niemand übersehen konnte, was dort wirklich geschah.

Von wegen, alle Bayern sind rechts und wählen CSU. Niedernach ist Beginn des Tals der Jachenau und die Bauern dort wehren sich bis heute erfolgreich gegen den Ausverkauf ihrer Landschaft, niemand der nicht aus dem Ort stammt, darf dort z.B. ein Hotel errichten.

Als wir dann in Dachau waren erwarteten uns zwei überlebende Zeitzeugen der Nazigewaltdiktatur. Zwei liebenswerte ältere Herren, der eine war Kommunist gewesen und deswegen von den Nazis verfolgt worden, der andere schwul und deswegen eingekerkert worden.

Die menschliche Liebe, mit der diese beiden alten Herren unsere Jugendlichen annahmen, ihre tiefe Geduld mit Menschen, die ihre Enkel sein hätten können, werde ich nie vergessen.

Jugendliche, unsere Gruppe hatte Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren, sind ja nicht ohne! Den Kommunisten fragten sie, „warum sind sie denn Kommunist geworden“ und den Schwulen „wie wird man denn schwul?“

Ich war sprachlos, aber diese alten KZ Überlebenden brachte nichts aus der Ruhe, sie haben alle Fragen beantwortet, so gut sie konnten und ich glaube bis heute felsenfest, dass alle unsere Jugendlichen, die dabei waren, überzeugte Antifaschisten sind und nie wieder Vorurteile gegen z. B. Schwule haben werden.

Zum Abschluss haben wir dann alle zusammen „Die Moorsoldaten“ gesungen, die alten Antifaschisten, die Jugendlichen, mein BetreuerInnenteam und ich.

Ich hatte meine Gitarre mit und den Jugendlichen den Text dieses alten Widerstandsliedes kopiert, so dass sie mitsingen konnten.

Mir zitterte die Stimme als ich anfing, dieses Lied zu singen, ich hatte Angst mich im Text zu vertun und dann merkten der alte Kommunist und sein schwuler KZ Leidensgenosse meine Unsicherheit, nahmen mich von links und rechts in den Arm und dann haben wir alle gemeinsam „Wir sind die Moorsoldaten und ziehen nie mehr mit dem Spaten in‘ s Moor gesungen“, es war sicherlich nicht schön unser Gesang, gebe ich ja zu, aber alle Besucherinnen und Besucher der KZ Gedenkstätte an dem Morgen blieben stehen und haben mit uns gesungen.

Und danach haben wir alle zusammen noch lange miteinander gesprochen, all unsere Gefühle hätte niemand alleine verarbeiten können, die Jugendlichen haben größtenteils geweint, es war emotional einfach zu viel für sie.

Diesen beiden Zeitzeugen werde ich aber zeitlebens dankbar sein, wir hatten bis zu Ihrem Tod immer Brief – und Telefontakt, sie haben meinen Jugendlichen wahre Menschlichkeit gezeigt.

1993 habe ich mal eine Jugendreise nach Marathon bei Athen geleitet. Wir haben dann einen Ausflug nach Delphi unternommen.

Der griechische Reiseleiter, der in Marburg studiert hatte, wunderte sich, das ich den Bus ausgerechnet in dem Ort Distomo nahe Delphi halten ließ.

Es hatte einen guten Grund und der Bus mit unserer Gruppe hielt auch direkt vor dem Mahnmal in Distomo an, wo die Nazis in einer „Vergeltungsaktion“ gegen griechische „Partisanen“ – ich würde sagen „Freiheitskämpfer“, fast die gesamte Dorfbevölkerung umgebracht hatten, bis hin zu Säuglingen, gerade mal 5 Monate jung.

Meine Jugendlichen konnten die griechische Schrift auf der Gedenktafel nicht lesen, aber ich habe ihnen den Text übersetzt. Danach wussten sie, warum unser Bus gerade in diesem Ort gehalten hatte.

Die Dorfbevölkerung guckte zunächst misstrauisch von unten, Distomo liegt an einem Bergabhang, sie wussten ja nicht was da passiert.

Als sie dann sahen, wie meine Jugendlichen versuchten, in der von der Julihitze verdorrten griechischen Landschaft, ein paar Blümchen zu finden und sie an der Gedenktafel ablegten, strömten die Menschen hoch aus dem Dorf, haben meine Jugendlichen umarmt und geknutscht, wie es in Griechenland so üblich ist.

Wir haben alle zusammen im Dorf bis spät in die Nacht gefeiert, bis unser Busfahrer müde wurde …

Ich weiß, warum ich Antifaschist bin …

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Grafikquelle  :  Gedenkstätte für die ermordeten Antifaschisten in Brandenburg an der Havel, Marienberg

Urheber Rita2008 / Own  – work
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