Holland-Wildnis im Polder
Erstellt von DL-Redaktion am Donnerstag 24. August 2017
Wie viel Ökosystem darf’s denn sein?
von Tobias Müller
Oostvaardersplassen heißt das einzigartige Naturgebiet im Polder. Doch es ist auch das umstrittenste: Die Wildnis ist außer Rand und Band.
Es war eine außergewöhnliche Dokumentation, die 2013 fast 700.000 Niederländer in die Kinos lockte. „De Nieuwe Wildernis“ (deutscher Titel: „Die neue Wildnis“) zählte zu den erfolgreichsten Filmen des Jahres. Man sah balgende Hirsche, jagende Füchse und die ersten staksigen Schritte junger Wildpferde. „Eine Ode an die niederländische Natur“, so der Trailer, zielend auf die Annahme, solche Szenen seien in dem dicht bevölkerten Land an der Nordseeküste längst nicht mehr zu finden. Außer eben in den Weiten der Oostvaardersplassen.
Vier Jahre später ein Sonntagnachmittag im Mai. Frühsommerliche Wärme liegt schwer über dem Wasser, in der Luft hängt Vögelgeschnatter. Soeben ist wieder ein voll besetzter Jeep zur Exkursion aufgebrochen. Rund um das großzügige „Naturerlebniszentrum“ drängen sich Besucher, weit mehr als 1.000 sind es im Verlauf des Tages, der den Beginn der Exkursionssaison markiert. Das „Rolling Nature Festival“ soll künftig jedes Jahr stattfinden, um den Tourismus rund um die Oostvaardersplassen zu stimulieren.
An einem der Stände sitzt Liesbeth Bronkhorst, die Direktorin der Stiftung „Stadt und Natur“ aus der nahen Stadt Almere. Gemeinsam mit der staatlichen Naturbehörde Staatsbosbeheer hat sie die Veranstaltung organisiert: geführte Wanderungen, Workshops, einen „Naturdetektiv“ für Kinder, alles für „städtische Menschen, die nicht so oft mit der Natur in Berührung kommen“. Wovon es hier freilich jede Menge gibt, nicht weit entfernt von den Ballungsgebieten der niederländischen Großstädte. „Du musst nicht nach Afrika, du kannst auch hierhin kommen“, lacht Liesbeth Bronkhorst.
Afrika, natürlich. Das kam damals auch dem Kinopublikum in den Sinn, als es die spektakulären Naturaufnahmen sah. Ebenso drängt sich die Assoziation auf, wenn man auf einer Zugfahrt von Amsterdam Richtung Nordosten aus dem Fenster blickt und auf einmal dieses Szenario wahrnimmt: ausgedehnte Wasserflächen, gefolgt von Graslandschaften und einer bizarr anmutenden Savanne, flach wie die „Etosha-Pfanne“ im gleichnamigen namibischen Nationalpark. 2016 wurde die Strecke zur „schönsten Zugreise der Niederlande“ gewählt.
Die Wildnis soll weichen
Was dahinter leicht verschwindet: die Oostvaardersplassen sind nicht nur eins der bekanntesten, sondern auch das umstrittenste Naturgebiet des Landes. Ihre Zukunft steht in den Sternen, seit das Parlament der Provinz Flevoland zu Jahresbeginn einem Antrag zustimmte: die liberale Partei VVD und die streng calvinistische SGP wollen den touristischen Wert des Gebiets erhöhen – und dazu weniger große Pflanzenfresser. In einem nahrungsreichen System und weil natürliche Feinde fehlen, haben diese sich ziemlich vermehrt – rund 2.500 Rotwild, 900 Konikpferde und um die 180 Heckrinder – und die Vegetation der Neuen Wildnis sichtbar beeinflusst.
„Wildnis muss für Touristen weichen“ – „Mehr große Graser abschießen“ – „Weniger Tiere bedeutet mehr Grün“, so lauteten die Schlagzeilen niederländischer Zeitungen. Was genau beinhaltet der Plan? Jan de Reus ist Fraktionsvorsitzender der VVD in Flevoland. Während in den Oostvaardersplassen die Touristensaison beginnt, macht er wie viele Niederländer im Frühjahr Urlaub. Eine telefonische Erklärung aber gibt er gern: Die „großen Graser“, wie man sie hier nennt, fräßen alles kahl und verschandelten dadurch die Aussicht. Vor allem aber litten sie an Futtermangel im Winter, wodurch viele einen elenden Tod stürben. „Diese Bilder wollen wir nicht mehr.“
Endzeitlich anmutende Aufnahmen einer gefrorenen Steppe und verhungerte Tiere in Schneeresten, diese Bilder finden sich tatsächlich in so manchen niederländischen YouTube-Filmen. Von „Doodsvaardersplassen“ ist die Rede oder von einem „Hungercamp“.
Jan de Reus sagt, der Vorschlag seiner Partei ziele vor allem darauf ab, die Situation der Heckrinder, Rotwild und Konikpferde zu verbessern. Dazu soll ihre Anzahl gesenkt werden. Wie, das ist noch die Frage. „Die einen wollen einen Teil der Tiere abschießen. Andere bevorzugen eine Spritze, damit sie keine Jungen mehr bekommen.“
Die Sache mit dem Tierwohl ist Jan de Reus ein Anliegen. Zumal Kritiker unterstellen, es gehe in dem Vorschlag eigentlich um etwas anderes. Die Ausbreitung des Flughafens Lelystad zum Beispiel, an der sich der Gesetzesentwurf ausdrücklich orientiert und der für die Wildgänsekolonien nicht gerade förderlich seien. Weniger Gänse bekäme man wiederum durch weniger Pflanzenfresser, welche die Vegetation im sumpfigen Teil des Geländes zum Wohl der Gänse kurz halten. Doch Jan de Reus winkt ab. „Grundsätzlich wollen wir eine Politik, die dem Flughafen nicht schadet. Aber in diesem Fall steht das nicht im Vordergrund, denn Start-und-Lande-Bahn liegen nicht in direkter Nähe.“
Ein weiteres Missverständnis sei, dass die Provinz künftig auf Massentourismus setze. „Die Natur wird den wirtschaftlichen Belangen des Tourismus unterstellt“, heißt es in einer Protestpetition. Ist das so? Keineswegs, beteuert Jan de Reus. „Vielleicht wird es einige Hotels an den Zugängen zu den Oostvaardersplassen geben, aber mehr nicht.“ Wohl räumt er ein: „Wir wollen das Gebiet schöner machen.“ Der Kassenschlagerfilm sei geschönt gewesen, klagt er. Ein Naturpark mit weniger kahlen Flächen ließe sich eher vorzeigen. „Man muss sich mal die Fotos anschauen, wie es vor 15, 20 Jahren dort aussah.“
Einer, der sich damals schon regelmäßig hier aufhielt, ist Frans Vera. Ach was, aufhielt. Der 68-jährige Biologe gilt in den Niederlanden als „geistiger Vater der Oostvaardersplassen“. Seine Verbindung mit dem Gebiet begann 1979. In dem frischen, noch feuchten Polder hatte sich inzwischen durch aus der Luft abgeworfenes Schilf und Weiden der Tiere Vegetation gebildet. Zehntausende Graugänse aus ganz Europa hatten den schilfgesäumten Morast entdeckt als Schutz während der Mauser, wenn sie besonders verletzlich sind.
Zwischen Steppe und Gras: Exkursion ins Schutzgebiet
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafik1quellen :
Oben – Wildpferd – Eigen opname. GerardM
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