Hilfe, der Scheuer rollt an !
Erstellt von DL-Redaktion am Montag 15. April 2019
Die Schwächsten werden weggewalzt
Das Politiker-Model – für Typen welche sich vor Arbeit drücken. Von der Wiege bis zum Grab – rollen ist nun angesagt.
Quelle : INFOsperber ch.
Von Walter Aeschimann
Der E-Bike- und Fahrradverkehr droht aus den Fugen zu geraten. Die Probleme sind mit moralischen Appellen nicht zu lösen.
Drahtschmidlisteg beim Landesmuseumpark in Zürich. Mit dem Fahrrad unterwegs. Eine ältere E-Bikefahrerin will mit gefühlten 25km/h von hinten überholen. Im letzten Augenblick stellt sie fest, dass der Platz zwischen Leitplanke, FussgängerInnen und mir nicht reicht. Sie bremst abrupt und rempelt mich seitlich an. «Sorry», murmelt sie und fährt weiter.
Ampèresteg beim Sphères, einer recht angenehmen Bücherbar im so genannten Trendquartier Zürich-West. Joggend unterwegs vom Fischerweg auf die schmale Limmatbrücke. Ein junger E-Biker rast um die Ecke. Vollbremsung. Mein Knie stoppt sein Vorderrad.
Fischerweg und Hochbetrieb: JoggerInnen, Mütter, Väter, Kinderwagen, Segways, Cargobikes, E-Bikes, Fahrräder, SchülerInnen, SpaziergängerInnen, nicht zu vergessen all die Hunde. Ein E-Biker, Bartträger, In-Ear-Kopfhörer eingesetzt, bolzt ungebremst durch die Menschen. Wäre die Frau mit Kinderwagen nicht ausgewichen, er hätte sie glattweg angefahren. Ich rufe «Hallo?!» Er zeigt den Stinkefinger.
Alltägliche Situationen, die sich auch anderswo ereignen, von der urbanen Front aus Zürich.
Mit der E-Religion gehen sie auch noch missionieren
Immer wenn der Frühling naht und es wärmer wird, schwillt der urbane Fahrrad- und E-Bike-Terror bedrohlich an. Neuerdings verstärkt durch weitere E-Gadgets, den E-Trottinets, «eine Kreuzung aus Kinderspielzeug und Geschoss» (Süddeutsche Zeitung). Die E-Euphorie des liberalen Marktes suggeriert, das städtische Autoproblem zu lösen, indem man noch mehr E-Verkehrsmittel offeriert. Die städtischen Würdeträger versuchen das E-Chaos mit ungelenken Aktionen zu flankieren. Die Medien rappportierten bislang E-freundlich, zunehmend aber skeptisch, klug und lustig gar die Volontärin des Zürcher «Tages-Anzeiger». Sie beschimpfte die Arroganz «alter» E-BikefahrerInnen auf den Wanderpfaden und betonte die sozialpolitischen Seiten des Gefährts: «E-Bikes sind – wie Rolltreppen und Rollatoren – eine geniale Entwicklung, mit deren Hilfe Menschen mit Handicaps besser am gesellschaftlichen Leben teilhaben können». Ein wahrer Satz, den man gerne weiterdenkt.
Räume mit Mischverkehr, die chronisch Konflikte generieren, gibt es etliche – in Zürich, in jeder Schweizer Stadt. Zu leiden haben stets die Schwächsten. Die Lage spitzt sich jährlich und dramatisch zu. Vor allem seit das Fahrrad zum modischen Accessoire für HipsterInnen und «digital natives» geworden ist, E-Zweiräder für viele andere und ausserdem verstärkt, seit die E-Zweirad-Verleihindustrie sich in jeder freien Ecke installiert. Das bedeutet in letzter Konsequenz: Es sind mittlerweile zu viele «Menschen mit Handicaps» auf den Strassen, zu vielen fehlt die soziale Kompetenz sowie das fahrerische Können.
Mit AutofahrerInnen, deren charakterlichen Defiziten und häufig kriminellen Betragen, hat man sich im Laufe der Jahre abgefunden. Sie sind zwar bedauernswert aber irgendwie berechenbar und tun nicht so, als seien sie besonders edle Menschen. Viele E-ZweiradfahrerInnen hingegen gerieren sich, als würden sie einen extra Beitrag zum Schutz der Umwelt leisten. Was sie automatisch und moralisch wertvoll mache und zur auserwählten Avantgarde. Mit der E-Religion gehen sie auch noch missionieren, obwohl sie das neue E-Spielzeug allenfalls sporadisch nutzen, im Sommer bei schönem Wetter oder in den Ferien, wenn sie es mit dem Verbrennungs-Motor in den Süden transportieren. So gesehen belebt die Klientel nur einen neuen Markt und verursacht vor allem graue Energie.
Jedes PS mehr potenziert die Gefahrenlage
Nun kommen für diese Menschen ja weitere Kriterien hinzu, die pseudopsychologisch und in der Summe angesehen eine bedenkliche Disposition ergeben. Die meisten E-ZweiradfahrerInnen sind eh schon AutofahrerInnen und somit vorbelastet (siehe oben). Aber die Mischung aus brutal ausgelebtem PS-Wahn, moralischer Arroganz und fahrerischem Unvermögen, die anormale Differenz zwischen Selbstbild und Aussensicht macht sie zum permanenten, vor allem unberechenbaren Risiko. Beizufügen sind ja auch andere Faktoren, die Menschen heutzutage lenken. Konstante Übellaunigkeit wegen Beziehungsstress und Ärger im Beruf, auf maximale Leistung und Geschwindigkeit codierte Körper oder fanatische Ichbezogenheit. Bei derart komplexen Charakterbildern ergibt sich schliesslich eine äusserst explosive Formel: Jedes PS mehr potenziert die Gefahrenlage.
Das Model (Rollstuhlersatz) für ehemalige Kanzlerinnen und Kanzler welche zwar noch fahren, aber nicht laufen (Übergewicht und so) können.
Der Gesetzgeber hat das Problem erkannt, aber nicht begriffen. Gewisse Massnahmen heizen die Konflikte noch mehr an. Etwa wenn sich die Stadt im eh schon chaotischen Markt der Velo-/E-Zweirad-Verleihindustrie engagiert. Das animiert neben Locals auch TouristInnen und andere GelegenheitsfahrerInnen, die sich kaum im Sattel halten können und die Spur aus Ortsunkenntnis jederzeit spontan wechseln. Man fragt sich deshalb immer öfters, ob jene, die Verkehrs-Konzepte schaffen, das Büro manchmal auch verlassen. Dann könnte ihnen nicht verborgen bleiben, was draussen vor sich geht. Die Verleih-Industrie verstopft mit ihren billigen Gefährten öffentlichen Raum. Und wenn die schlichten Fahrzeuge nicht auf den Abstellplätzen verlottern, liegen sie defekt am See, am Limmatufer oder irgendwo. Inzwischen werden E-Bike-Serien repariert, Anbieter machen auch Konkurs. Die leergefahrenen und liegengelassenen Leihgefährte werden zur Stolperfallen für Mensch und Tier und zum grossen Schrottproblem. Wer den Abfall sammelt, verschrottet und das Ganze auch bezahlt, ist nicht geklärt.
Während gewisse städtische Aktionen bürokratisch und populistisch sind, wirken andere nur unbeholfen. An den Limmatuferwegen wurden einst Tafeln installiert, auf denen stand: «BEGEGNE MIT RESPEKT». Ein barsches Edikt an das Gewissen – nur für wen? Niemand fühlte sich angesprochen. Die Dienstabteilung Verkehr versuchte das Problem Langstrassenunterführung mit Markierungen zu entschärfen. Ein eigener Bereich, mit Längsstreifen dekoriert, soll dem Fussvolk sein. Aber nur im Prinzip. Denn Velos und E-Zweiräder dürfen die Fläche «ausnahmsweise» und «mit der gebotenen Vorsicht» auch befahren. Wenn es hart auf hart kommt, schert die Mahnung keinen der üblichen Verdächtigen. Nur Weicheier bremsen oder fahren Schritttempo.
Der Gesetzgeber schützt hierarchisch
Auf der Hardbrücke waren die Konflikte chronisch, bis sie nach der Renovation dramatisch wurden. Im Bereich der Bus- und neu gebauten Tramstation, wo täglich tausende ein- und aussteigen, um den SBB-Bahnhof zu benutzen, wird auch der Velo- und E-Zweiradverkehr durchgeschleust. Für Zweiräder ist die Hardbrücke eine zentrale städtische Verbindungsachse. An den Haltestellen sind am Boden hübsche Lichter eingelassen. Die schalten von Grün auf Rot, wenn der Fussverkehr besonders massig wird und den Zweirad-(E)-Verkehr queren muss. Letzterer müsste stoppen, nur wenige halten sich an das Lichtregime. Manche betrachten es wohl als künstlerische Installation am Bau. Selbst die letzte Ankündigung der städtischen VerkehrsplanerInnen setzt auf die Vernunft: noch mehr Hinweistafeln, um MotorfahrzeughalterInnen auf FussgängerInnen aufmerksam zu machen. Das ist nett gemeint, aber wirkungslos.
Es muss bessere Möglichkeiten geben
E-Zweiräder haben in Fuss- und Fahrradzonen nichts zu suchen. Es sind Motorfahrzeuge und dem Auto-Verkehr einzugliedern. Der Gesetzgeber hat es seinerzeit verpasst, dieses an sich logische Regime zu installieren. Er verdrängte E-Gefährte von der Strasse und verschärfte die Konflikte auf Fahrradwegen und Trottoirs. Einen geschützten Raum für Menschen, die sich ohne technische Hilfsmittel fortbewegen, gibt es keinen mehr. Nun zögert er, angesichts des E-Booms, die Fehlentwicklung zu korrigieren.
Der Fahrradverkehr muss an disponierten Stellen anders geordnet werden. Die Probleme des Mischverkehrs sind mit moralischen Appellen nicht zu lösen. Es gibt zu viele, die nicht empfänglich sind. Das hat die empirische Sozialforschung längst gezeigt. An der Langstrasse könnte eine Unterführung den Fahrrädern gehören, die andere den FussgängerInnen. Umlaufschranken könnten FahrradfahrerInnen hindern, mit vollem Speed in den Mischverkehr hineinzurasen. Dies ist ungehemmte Praxis auf der Hardbrücke, an der Ecke Lang-/Lagerstrasse, seit es den La-La-Platz gibt oder auf dem Röschibachplatz, seit dieser aufgehübscht ist. Die Schwächsten werden einfach weggewalzt.
Der Gesetzgeber schützt hierarchisch und priorisiert die Starken. «Auf dringlichen Wunsch der Stadt Zürich» hat E-Bike-Verleiher Smide zwar die Geschwindigkeit ihrer Motorfahrzeuge aus Sicherheitsgründen von 45 km/h auf 35 km/h gedrosselt. Dass E-Bikes trotz starker Zunahme von tödlichen Unfällen Radwege und Fussgängerzonen benutzen dürfen, begründet das Bundesamt für Strasse wie folgt: Auf den Autofahrbahnen würden diese noch mehr Unfälle verursachen. Mit anderen Worten: E-Bikes sollen lieber FussgängerInnen und Velos über den Haufen fahren, als mit Autos zusammenkrachen.
AutofahrerInnen werden aber lernen müssen, die urbanen Strassen mit E-Zweirädern zu teilen.
Themenbezogene Interessen (-bindung) der Autorin/des Autors
Walter Aeschimann ist freischaffender Historiker und Publizist. Er fährt seit 55 Jahren Rad und hat noch nie ein Motorfahrzeug oder einen Führerschein besessen.
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Grafikquellen :
Obebn — Lime-S electric scooter in Little Italy, San Diego, California, USA…
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Unten — Pariser Autosalon 2018…