Herrschaft der Minderheit
Erstellt von Redaktion am Freitag 1. Juli 2022
Die politisch-religiöse Rechte in den USA hat gesiegt.
Wer sich die Richter-Innen bestellt, regierte schon immer in diese Welt.
Von Annika Brockschmidt
Nach dem Abtreibungsrecht widmet sie sich dem Abbau weiterer Bürgerrechte. Die Agenda gegen Abtreibungen entspringt auch einem empfundenen demografischen Druck.
Das verfassungsmäßig geschützte Recht auf Abtreibung, das seit Jahrzehnten landesweit existierte, ist in den USA seit vergangener Woche Geschichte. Der Supreme Court legte die Entscheidung über das Recht auf Abtreibung in die Verantwortung der Bundesstaaten. Die Folgen für Frauen und Schwangere sind katastrophal und traten teils sofort ein. Insgesamt wird Abtreibung in etwa 26 Staaten ganz verboten oder so eingeschränkt, dass sie damit effektiv illegal wird. Doch das ist der religiösen und politischen Rechten noch nicht genug: Einzelne Bundesstaaten überlegen bereits, Schwangeren zu verbieten, eine Abtreibung in einem anderen Bundesstaat vornehmen zu lassen, wo sie noch legal sind. Andere versuchen, bestimmte Verhütungsmittel zu kriminalisieren und Abtreibung strafrechtlich als Mord verfolgen zu lassen. Ein kleiner Lichtblick: Bundesrichter haben entsprechende Gesetze in Louisiana, Utah und Texas gestoppt, wenn auch nur vorerst. Für den Moment nehmen die Kliniken dort nach Medienberichten ihre Arbeit also wieder auf, wenn auch eingeschränkt.
Für die amerikanische Rechte war der Freitag letzter Woche ein Jubeltag. Einige von ihnen tauchten vor dem Obersten Gerichtshof auf, samt den passenden Schildern. „Abtreibung ist rassistisch – überzeug mich vom Gegenteil!“und „Abtreibung ist Mord“, war da zu lesen. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen politischen Projekts religiöser und erzkonservativer Gruppierungen. Für sie ist Amerika ein christliches Land – gegründet von und für weiße Christen. Nur ein Christ – und zwar einer, der ihre eigenen rechtskonservativen Ansichten teilt – kann ein „wahrer“ Amerikaner sein. Schwarze Rechtskonservative sind gern gesehen – allerdings nur, wenn sie das politische Projekt der weißen, christlichen patriarchalen Hegemonie unterstützen. So schützt man sich zugleich vordergründig vor (begründeten) Rassismusvorwürfen. Diese Verschmelzung von nationaler und christlicher Identität ist das Herzstück des christlichen Nationalismus.
Bekannte Figuren des weißen Evangelikalismus wie der Prediger Jerry Falwell begannen erst Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre damit, sich den Kampf gegen Abtreibung auf die Fahnen zu schreiben. Davor hatte die Bewegung unter anderem gegen die Aufhebung der Segregation an Schulen und den drohenden Verlust des steuerfreien Status segregierter christlicher Privatschulen mobilisiert – sowie gegen die Ausweitung der Bürgerrechte und Feminismus. Die Koalition, die sie mit rechten Katholiken eingingen – die schon seit Jahrzehnten legale Abtreibung bekämpften –, um sich gemeinsam auf einen Kreuzzug gegen Abtreibung zu begeben, war folgenreich: Sie hat unter anderem zur aktuellen Besetzung des Supreme Court geführt.
Es geht hier jedoch nicht um „ungeborenes Leben“, nicht um die Reduktion der Anzahl von Abtreibungen. Studien zeigen immer wieder, dass ein solches Verbot die Zahlen nicht sinken lässt – sondern die Anzahl derer, die bei illegalen Abtreibungen sterben, steigen lässt. Weshalb also will die religiöse Rechte Abtreibungen verbieten? Ihr geht es um Macht und Kontrolle: Innerhalb ihres Weltbilds haben Frauen (trans Männer, die ebenfalls schwanger werden können, existieren in dieser Vorstellung gar nicht) nur einen gottgegebenen Platz: zu Hause, als Mutter. Das Amerika des weißen, christlichen Nationalismus ist ein zutiefst patriarchales. Denn auch beim weißen, christlichen Nationalismus geht es vorrangig um Macht. Um politische Macht, aber auch um den Erhalt einer kulturellen Deutungshoheit. Und auch wenn sich die Antiabtreibungsbewegung gern als Erbin der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung sieht und sich deren Vokabular aneignet, ist White Supremacy ein zentraler Bestandteil.
Quelle : TAZ-online >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Ca. 10 Wochen alte Embryos aus Plastik, die bei der Embryonenoffensive verteilt werden English: Plastic models of human embryos, about 10 weeks‘ gestation
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Unten — DIE LINKE. NRW bekennt sich ausdrücklich zum fortdauernden Kampf der gesellschaftlichen Linken für die Abschaffung der sogenannten Abtreibungsparagraphen 218 und 219 (mit Unterparagraphen) Strafgesetzbuch.