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RENTENANGST

Helmut Schmidt

Erstellt von Redaktion am Montag 5. Dezember 2011

Sozialdemokratische Grenzen eines Helmut Schmidt

Wo er recht hat, hat er Recht, der Schlecht!

Michael Schlecht, MdB – Chefvolkswirt der Fraktion und Gewerkschaftspolitischer Sprecher im Parteivorstand DIE LINKE – 5. Dezember 2011

Seit 1945 leben wir in Europa in einer historischen Ausnahmesituation: Es herrscht Frieden zwischen den großen Völkern, den Franzosen, den Engländern, den Polen und den Deutschen. Schmidt listet auf, beginnend mit dem 30jährigen Krieg im 17. Jahrhundert, wie seit Jahrhunderten unsere Väter, Großväter und weitere Ahnen sich wechselseitig massakriert haben. Er beschreibt dies als einen beständigen kriegerischen Konflikt zwischen „Zentrum und Peripherie.“ Die letzten großen europäischen Aggressionskriege gingen von deutschem Boden aus. Der Zweite Weltkrieg war verbunden mit dem Holocaust, einem historisch einmaligen Großverbrechen.

Helmut Schmidt zeichnet den Weg nach wie durch die wirtschaftliche und politische europäische Integration die Voraussetzungen für eine friedliche europäische Entwicklung nach 1945 gelegt wurden. Die anderen Völker Europas waren vor Deutschland geschützt und gleichzeitig die Deutschen vor sich selbst.

Helmut Schmidt unterstreicht, dass mit der europäischen Krise der Gegenwart eine ungeheure Bewährungsprobe besteht. Es gibt mittlerweile „eine schwerwiegende Fehlentwicklung …, nämlich anhaltende enorme Überschüsse unserer Handelsbilanz und unserer Leistungsbilanz. … Alle unsere Überschüsse sind in Wirklichkeit die Defizite der anderen. Die Forderungen, die wir an andere haben, sind deren Schulden.“ Dies „muss unsere Partner beunruhigen. … Dieses Mal handelt es sich nicht um eine militärisch und politisch überstarke Zentralmacht, wohl aber um ein ökonomisch überstarkes Zentrum!“

Kanzerlin Merkel als die Regentin dieses „ökonomisch überstarken Zentrums“ ist zurzeit damit beschäftigt sich zur politischen Beherrscherin Europas krönen zu lassen. Mittels veränderter europäischer Regelungen will sie sogar die Beschneidung der nationalen Souveränität der anderen Länder erreichen. So sollen die Agenda 2010, massive Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen den anderen europäischen Ländern auf geherrscht werden. „Das alte Spiel zwischen Zentrum und Peripherie könnte abermals Wirklichkeit werden.“

Es ist selten, dass ich einen sozialdemokratischen Politiker so ausführlich zustimmend zitiere. Jedoch gibt es bei Helmut Schmidt einen Abbruch seiner Argumentation. Weshalb ist es zu diesem so verheerenden Leistungsbilanzungleichgewicht gekommen, das die Ursache für die Schulden der anderen ist? Bei Schmidt verdichtet sich die Antwort in der Floskel: „Es handelt sich um eine ärgerliche Verletzung … des ‚außenwirtschaftlichen Gleichgewichts‘“.

Ärgerlich, dass Schmidt hier nicht weiter argumentiert. Denn dann hätte nicht nur eine Abrechnung mit Merkel, sondern auch mit der Politik der Schröder/Fischer-Regierung folgen müssen. Die Politik der Agenda 2010 ist die zentrale Ursache für die Außenhandelsungleichgewichte und damit für die europäische Krise. Deutschland ist wieder Täterland. Mit der Deregulierung des Arbeitsmarktes wurden die Gewerkschaften geschwächt und ein gigantisches Lohndumping eingeleitet. Die Löhne sind seit 2000 um 4,5 Prozent preisbereinigt gesunken.

Wenn Löhne sinken, dann tragen die Menschen weniger Geld in die Geschäfte. Dies trifft auch die Importe, sodass viele andere Länder es schwer haben nach Deutschland Waren zu exportieren. Das Lohndumping ist gut für die Unternehmer, ihre Profite und auch für ihre Wettbewerbsfähigkeit im Ausland. Kein Wunder, das gerade seit 2000 die Exporte massiv steigen.

In der Scherenbewegung von ausgebremsten Importen und steigenden Exporten explodierte der Aushandelsüberschuss. Seit 2000 wurde für 1,2 Billionen Euro mehr ins Ausland verkauft als eingekauft. In den ersten drei Quartalen 2011 betrug der Überschuss knapp 120 Milliarden Euro, davon 65 Milliarden mit der Eurozone!

Wäre Helmut Schmidt diesen argumentativen Schritt noch gegangen, dann hätten er auch die historisch notwendigen Konsequenzen, die weit über ihre soziale Bedeutung hinausgehen, formulieren müssen: In Deutschland muss das Lohndumping beendet und die Agenda 2010 zurückgenommen werden. Vor allem ist der gesetzliche Mindestlohn von 10 Euro zwingend notwendig, da er allein schon einen Kaufkraftschub von 40 Milliarden Euro bringt.

Nur mit dieser grundlegenden Umsteuerung kann Europa gerettet und das Primat der Politik gegenüber dem Terror der Finanzmärkte durchgesetzt werden. Nur so ist es möglich, rechtspopulistischen Tendenzen Einhalt zu gebieten und den Frieden in Europa zu sichern. Sich dafür stark zu machen in diesem Land, ist deutsche Verantwortung.

Weitere Informationen unter www.michael-schlecht-mdb.de

Helmut Schmidt war für mich einmal das ’non plus ultra‘. Die Betonung liegt auf „war einmal“; denn seitdem er Schröders Agenda in ihrer negativen menschenverachtendem ‚Ausführungsverordnung‘ im Fernsehen guthiess, hat dieser Mann trotz seiner grossen Verdienste um Deutschland bei mir verloren. Und seitdem er den Schröder-Knecht bei der Agenda 2010 als seinen Favoriten für das Bundeskanzleramt favorisiert, hat er doppelt verloren. Bei mir! Aber wer bin ich schon, als dass dieser Umstand in’s Gewicht fällt oder gar die Politik beeinflussen könnte!?
Deswegen war ich in WASG eingetreten, um als Mitglied dieser Partei und später in der Partei DIE LINKE politisch etwas zu verändern helfen.
Dass der Schuss nach hinten losgegangen ist, und diese Partei zum Selbstversorgungsunternehmen grosskopferter selbsternannter linker Eliten geworden war, motivierte mich, diesen Selbstbedienungsladen wieder zu verlassen.
Denn wo bleibt der „Aufschrei“ der „linken Elf“ im Landtag von NRW, wenn es um die Beziehung der bevorstehenden ‚Lohnerhöhung‘ der Mitglieder des Landtages geht?
Und der Lafontaine-Familienbetrieb im Saarland ist sowieso jenseits von Gut und Böse: Oskar als Ämtles- und Pfründe-Verteiler bei „demokratischen“ innerparteilichen Wahlen spricht seine eigene Sprache.

Schlecht hat Recht – ohne Zweifel. Aber er sollte wissen, dass er sich mit seinen Erkenntnissen auf theoretischem Terrain befindet, und durch die verderbliche Praxis in der Partei er sich mit seinen Theoremen auf verbalerotische Thesen reduziert.
Ein deutlicheres Beispiel für den Unterschied zwischen Theorie und Praxis gbt es kaum!
UP.

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Grafikquelle    :

Michael Schlecht, April 2010 in Soest

3 Kommentare zu “Helmut Schmidt”

  1. Thomas A. Bolle sagt:

    Bei der Betrachtungsweise von Schmidt fehlt noch ein Baustein. Zwischen ´45 und ´90 ist die BRD als kapitalistisches Bollwerk gegen den kommunistischen Osten gebraucht worden. So ist unser Wohlstand schon damals auf dem Rücken und dem Zwang der Mitbürger der ehemaligen DDR aufgebaut worden. Wie wir heute wissen sogar ganz direkt mit Aufträgen wegen der niedrigen Lohnkosten.
    In der 9. Klasse Hauptschule habe ich bereits gelernt das es WIRTSCHAFTSKREISLAUF heist. Das nur eine ausgegliche Bilanz richtig ist.
    In einem Kreis kommen zwangsläufig auch die Schulden der Handelspartner zurück. Wenn nämlich nicht mehr exportiert werden kann. Eine Zeitlang kann man dieses mit Geschäften auf Kredit kaschieren.
    Dieser Grundsatz des Handels ist gerade von der deutschen Wirtschaft mit Unterstützung der Politik massiv durchbrochen worden.
    Deswegen tragen wir eine Mitschuld an den Krisen der anderen EU-Staaten.
    Aber zurück zur SPD. Solange diese nicht bereit ist die Fehler von Schröder / Fischer einzugestehen und dem Wort sozial in ihrem Namen das richtige Gewicht zu geben ist sie nicht wirklich wählbar.
    Eine Gemeinschaft braucht Banken, Wirtschaft, Kultur, Gesundheitsversorgung, Bildungeinrichtungen. Nur es muss die richtige Gewichtung sein. Und der Mensch muss dabei im Mittelpunkt stehen. Leider haben zu viele das vergessen.

  2. emschergenosse sagt:

    @ Th.A.B. …..Leider haben zu viele das vergessen.

    Rrrrrrrichtiggg!

    Und als ich heute den kleinen dicken Choleriker – der gerade mal über 90 % Stimmen erhielt – habe im Radio reden hören, kamen mir fast die Tränen; …wie die „s“PD sich von den Gewerkschaften entfernt hat, mit denen sie doch soooo viel gemeinsam hat – und so weiter und so fort…; …da ist mir nur eines eingefallen:
    Die Arschkriecherballade von Hannes Wader!

  3. Gabriel van Helsing sagt:

    Auch ich hatte mal als Jüngerer viel Respekt vor diesen Helmut Schmidt.

    Nicht so sehr als Altkanzler, denn ausser den Notstandsgesetzen, die ich als Kind mit erleben durfte, zollte er mit seinen Tun und Wirken, bei der Flutkastastrophe in Hamburg, mir viel mehr Achtung ein.

    Und danach? Das er als Mitherausgeber der Zeit, immer wenn die Zeit gekommen ist, neoliberale Ideen verbreitet, sollte und dürfte bekannt sein. Seine Freundschaft mit einen anderen Kriegstreiber, der nur Blut und Tränen in seiner Ära verbreitet hat, dürfte auch bekannt sein? Dass er für die Marktwirtschaft nach amerikanischen Muster hier die Werbetrommel rausholt, dürfte auch bekannt sein?
    Seine Bücher sind voll mit neoliberalen Ansichten, da haben Mittelständler und kleine Leute keinen Platz. Als Förderer von Schröder und jetzt von seinen Ziehsohn Steinbrück, weiss man doch wie der gestrickt ist.
    Das er die Agenda 2010 und die unseligen Hartz4 Gesetze noch gut heisst in jeder Quaterrunde, macht ihn nicht symphatischer. Der Mensch Helmut Schmidt ist seit über 40 Jahren nicht mehr in Regierungsverantwortung, aber muss immer noch seinen Senf dazugeben. Der alte Mann sollte abtreten und zwar geräuschlos.

    Wie weit die SPD ihren Messias huldigt, kann man daran ersehen, das man einen 92 Jährigen stehende Ovationen bereitet.

    Ich frag mich jetzt doch allen Ernstes: Was war sein Lebenswerk?

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