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Joblose machen Städte reich

Erstellt von Redaktion am Dienstag 4. Juni 2013

Hartz IV: Gelddruckmaschine für Kommunen

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Presseerklärung der Hartz IV Plattform

Gelddruckmaschine für Optionskommunen und die Frage nach der Unabhängigkeit der Sozialgerichte Gebot für soziale Gerechtigkeit: Rücknahme der Ermächtigung zur willkürlichen Aufbesserung kommunaler Kassen mittels Hartz-IV-Leistungsverweigerung

Ein Kommentar von Hartz4-Plattform-Sprecherin Brigitte Vallenthin

Zur Freude der Landräte

Franz Einhaus (SPD), der Landrat des Landkreises Peine dürfte zufrieden sein: seit 10 Monaten bleiben rund 7.500 € auf dem Konto der Kommune, weil das Jobcenter Peine unter seiner Verantwortung einem 58-jährigen Hartz IV-Leistungsberechtigten die monatliche Zahlung von rund 750 € willkürlich verweigert. Vergleichbare Freude beim Blick auf das kommunale Konto dürfte Dr. Arnim Brux (SPD), Landrat des Ennepe-Ruhr-Kreises, empfinden, in dessen Verantwortungsbereich einem an Diabetes erkrankten Jobcenter-„Kunden“ inzwischen bereits seit 6 Monaten die Leistungen vollständig verweigert wird. Habenbuchung auf dem kommunalen Konto: 4.500 €.

Ermächtigung für Hartz IV nach Gutsherren Art

Das sind nur zwei von zigtausenden Hartz IV-Schicksalen in mittlerweile über 100 Optionskommunen, die – von den Weisungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) unabhängig -nach Gutsherren Art über Hartz IV-Millionen frei verfügen können.

Möglich machte diese Kommunalkassen-freundliche Regelung ein Kompromiss zwischen der Rot-Grünen Bundesregierung und den Regierungen der Länder. Letztere waren nämlich nur unter der Bedingung bereit, dem Hartz IV-Gesetz, SGB II zuzustimmen, wenn – neben dem Regelmodell der Zuständigkeit der Bundesagentur für Arbeit – zunächst 69 Landkreise und kreisfreie Städte ab 1. Januar 2005 zur von der BA-unabhängigen Trägerschaft der Grundsicherung für Arbeitsuchende ermächtigt würden – ein im Sinne von Arbeitslosen völlig sinnloses Verwaltungsmodell, das es nach dem bis dahin gültigen Bundessozialhilfegesetz niemals gegeben hatte. Der Öffentlichkeit wurde dieses sogenannte politische Experiment vom damaligen Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) mit Sonntagsreden verkauft, die selbst ihre Verkünder schon damals wohl kaum geglaubt haben dürften. Ihr Tenor: die örtlichen Verwaltungen seien viel näher an den Menschen und an den vermittelbaren Arbeitsplätzen.

Schöne Worte, böse Falle

Schöne Worte, die sich als böse Falle entpuppten. Und diese Falle war keineswegs ein Versehen. Sie war absichtsvolles politisches Kalkül im Rahmen der Hartz IV-Gesetzgebung. Dafür wurde sogar klammheimlich das Grundgesetz geändert und um den Artikel 91e erweitert. Mit dieser Einigung über alle Parteigrenzen hinweg wurde die – die Kommunen zu alleinigen, unkontrollierten Hartz IV-Verwaltungs-Entscheidern machende – Regelung mit Verfassungsrang auch finanziell abgesichert: die Optionskommunen haben das Sagen und „die notwendigen Ausgaben einschließlich der Verwaltungsausgaben trägt der Bund“ (GG Art. 91e). Die Bundesagentur für Arbeit kann- nach dieser wasserdichten Abschottung der Optionskommunen via Grundgesetz und Sozialgesetzbuch Zwei – keinerlei Einfluss auf die Verwendung der Hartz IV-Gelder nehmen – auch nicht darauf, dass in mutmaßlich zigtausenden Fällen Geld nicht an die Berechtigten ausgezahlt sondern in die kommunalen Kassen gebucht wird.

Zuschlag für weitere Profiteure beim Run um die Hartz IV-Gelder

Da verwundert es auch nicht, dass – obwohl die 6-jährige Vergleichsprüfung des Arbeitsministeriums keinerlei positiven Erkenntnisse für das Modell der Optionskommunen erbrachte – diese ab 2012 noch einmal um die Hälfte aufgestockt wurden. Die Begehrlichkeiten waren groß: doppelt so viele Kommunen und kreisfreie Städte hatten die Hände danach ausgestreckt.

Grundgesetzänderung zur unbefristeten Ermächtigung als Optionskommune

Obendrein wurde die Befristung nach den ersten sechs sogenannten „Experimentier“-Jahre am 1. Januar 2011 aufgehoben. Als Ergebnis der diversen gesetzlichen Schachzüge besitzen die „Optionskommunen“ inzwischen die unbefristete alleinige Trägerschaft für die Umsetzung des SGB II. Die notwendige Grundlage hierfür lieferte die Änderung des Grundgesetzes durch Einführung des Artikel 91e.

Zielvereinbarungen mit den Landesbehörden

Ursache für die in letzter Zeit deutlich zunehmend immer restriktiveren Verweigerungen von Hartz IV-Leistungen in Optionskommunen dürften die sogenannten „Zielvereinbarungen“ des § 48b SGB II sein. Sie sind verknüpft mit Sanktionen oder Prämien bei Zielverfehlung bzw. Zielerreichung und davon abhängiger Mittelausstattung. Neben den in den Jobcentern besonders gerne hochgehaltenen gesetzlichen Vorgaben der „Verringerung der Hilfebedürftigkeit“ sowie „Integration in Erwerbstätigkeit“ dürfte vermutlich das dritte Ziel des Gesetzgebers die zentrale Rolle spielen – nämlich die „Vermeidung von Leistungsbezug“. Denn vermieden wird nach aller Erfahrung von Hartz IV-Initiativen insbesondere in den Optionskommunen was das Zeug hält – und nicht nur in den beispielhaft geschilderten Fällen im Jobcenter Landkreis Peine, über den die Hartz4-Plattform bereits am 22. Mai berichtete und vom Jobcenter Ennepe-Ruhr-Kreis, über den in Kürze ausführlich berichtet werden wird. Im „Vermeiden“ von Leistungen – und nicht etwa im schön geredeten „Fördern“ – offenbart sich der eigentliche Nutzen für die Optionskommunen. Da wird eine Gelddruckmaschine für kommunale Haushalte angeschmissen.

Können Sozialgerichte unabhängig entscheiden?

Beide  Beispielfälle aus dem Landkreis Peine und dem Ennepe-Ruhr-Kreis – von der 52. Kammer des Sozialgerichts Braunschweig sowie der 33. Kammer des Sozialgerichts Dortmund zurückgewiesen – ließen erschreckend größeres Einfühlungsvermögen für die Rechtsauffassung der an die SPD-Landräte gebundenen Jobcenter erkennen als für die Klagebegründungen der klagenden „Kunden“.

Da drängt sich die Frage auf, ob die Richter überhaupt unabhängig entscheiden konnten – ohne gleichzeitig ihre Karriere zu gefährden? Muss man aus der Erfahrung mit nicht nachvollziehbaren richterlichen Entscheidungen diese Frage womöglich mit nein beantworten? Ist hier der Feststellung von Heribert Prantl zu folgen? Der hatte nämlich am 6. April 2006 in der Süddeutschen Zeitung geschrieben: „Unabhängigkeit ist freilich nicht schon deswegen einfach da, weil es im Grundgesetz steht“. Ist wieder einmal das Grundgesetz nur ein schöner Schein?

Theoretische Unabhängigkeit von Richtern im Grundgesetz oder praktische Abhängigkeit von Parteipolitik?

Berufung und Beförderung von Richtern auf Länderebene erfolgt nach der Entscheidung von Richterwahlausschüssen unter Vorsitz des für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Ministers – in der Sozialgerichtsbarkeit des Sozialministers. Für Peine ist das die niedersächsische Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) und für den Ennepe-Ruhr-Kreis NRW-Sozialminister Guntram Schneider (SPD). Stimmberechtigte Mitglieder der Richterwahlausschüsse sind zu 2/3 Abgeordnete der Länderparlamente – in der Regel mutmaßlich gehorsame Parteisoldaten. Das lässt wohl keinen anderen Schluss zu, dass es für Richter karriereschädigend sein könnte, wenn sie im Zweifel gegen die Exekutive entschieden – im Falle von Hartz IV-Optionskommunen also gegen die Landräte als oberste Dienstherren der Jobcenter.

Deutschland: EU-Problemkandidat wegen fehlender Unabhängigkeit seiner Richter von der Exekutive

„… In der Empfehlung des Europarates über die Rolle der Richter und in den Kriterien der Europäischen Union über die Aufnahme neuer Mitgliedsländer heißt es: »Die für die Auswahl und Laufbahn der Richter zuständige Behörde sollte von der Exekutive unabhängig sein«. Das ist so in Frankreich, Spanien, Italien, Norwegen, Dänemark und in den Niederlanden – in Deutschland nicht. Deutschland wäre also, wäre es nicht schon Kernland der EU, ein problematischer Beitrittskandidat …“ (Quelle: gewaltenteilung.de)

Da vermutlich für die Unabhängigkeit der Richterberufungen noch längere Zeit viel dicke Bretter beim Gesetzgeber zu bohren sein werden, muss aber die Mindestforderung an alle Wahlkämpfer lauten: Im Sinne des von allen Parteien proklamierten Top-Themas „soziale Gerechtigkeit“ muss zwingend kurzfristig  das Modell der Optionskommunen bei Hartz IV abgeschafft werden! – zumindest wenn die Parteien Demokratie und Rechtsstaat tatsächlich für so „alternativlos“ halten wie sie nicht müde werden zu behaupten.

Wiesbaden, 02. Juni 2013
Brigitte Vallenthin
Presse
Hartz4-Plattform
die Hartz IV-Lobby
Fon 0611-1721221, Mobil 01525-3520721
info@hartz4-plattform.de
www.hartz4-plattform.de
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Grafikquelle    :

Source Own work
Author Frank Schwichtenberg

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