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RENTENANGST

Häme gegen Lambrecht

Erstellt von Redaktion am Sonntag 8. Januar 2023

Muss eine Ministerin Instagram beherrschen?

Manche Politiker wären doch froh ihre Namen richtig Schreiben zu können – unter der Maske

Eine Kolumne von Sascha Lobo

Das Silvestervideo der Verteidigungsministerin war unprofessionell. Aber ein Rücktrittsgrund? Solche Überhöhungen entstehen, weil das Social-Media-Publikum erwartungsradikal ist.

Wie gut muss man als Ministerin Social Media können? Gibt es eine Untergrenze der Instagram-Fähigkeiten, ab der die Eignung als Regierungsmitglied infrage steht? Die Frage scheint merkwürdig und oberflächlich zugleich, aber es steckt mehr dahinter: die Erwartungsradikalität des sozialmedialen 21. Jahrhunderts.

Die Verteidigungsministerin hat ein viel besprochenes und weltweit verspottetes Silvestervideo veröffentlicht , das alle, die es auch nur entfernt interessieren könnte, bereits gesehen haben dürften. Mit gruseliger Tonqualität, überlagert vom Berliner Silvestergetöse, spricht Lambrecht einen ungelenken und wenig ministerialen Text bock los in die Kamera. Sie rekapituliert ihr 2022: »Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte – viele, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen.« Als Verteidigungsministerin aus dem Thema Krieg überleiten in die eigene »tolle« Erlebniswurstigkeit, dabei kein Wort zu den Opfern, das ist nicht mehr unsensibel, das ist schon ein Video-Mahnmal im ewigen Gedenken des unbekannten Social-Media-Beraters.

Man könnte das Instagram-Video unter Ungeschicktheit, Unprofessionalität oder Nachlässigkeit abhaken. Aber dafür ist es ein allzu treffendes Symbol für ein größeres Problem unserer Zeit, das in einem Tweet  so beschrieben wird: »Ich finde es ja doch höchst interessant wie man in Deutschland als Politiker*in in höchste Ämter kommen kann und gleichzeitig VOLLKOMMEN UNFÄHIG in der Außenkommunikation sein kann.«

Eine große Zahl von Reaktionen auf Lambrechts zweifellos unkluges Silvestervideo geht in die gleiche Richtung. Und sie betreffen eine Ministerin, der ohnehin kein gelungener Lauf in der Öffentlichkeitsarbeit unterstellt werden darf.

Unvergessen die ungünstig verargumentierte Reise ihres Sohnes im Bundeswehrhubschrauber , der davon auch noch Fotos auf Instagram veröffentlichte. Oder als sie in ihrer Regierungserklärung behauptete, der Flugabwehrpanzer Gepard sei kein Panzer. Um sich dann aufs Infantilste selbst zu widersprechen: »Der Gepard ist ja dafür da, Infrastruktur zu schützen , dadurch, dass er dann mit diesem Rohr in die Luft schießt«.

Überfällige Veränderung in der politischen Kommunikation

Im ersten politischen Halbjahr bekamen Annalena Baerbock und Robert Habeck viel Lob für einen neuen politischen Stil, der sich vor allem in der Kommunikation bemerkbar machte. Insbesondere bei Habeck wurde hervorgehoben, dass er menschlich erscheine, weil er Zweifel und Abwägungen erkennen lasse und so das Publikum in seine Entscheidungen miteinbeziehe, übrigens ebenfalls in einem Instagram-Video. Selbst von Konservativen bekam Habeck Unterstützung, bis ihnen wenig später dieser Grünen-Applaus mulmig wurde und Habeck für einen weniger gelungenen Talkshow-Auftritt unverhältnismäßig kritisiert wurde.

In jedem Fall aber handelt es sich um Anzeichen einer überfälligen Veränderung in der politischen Kommunikation, die mit den sozialen Medien einhergeht. Sich jederzeit direkt ans Publikum zu richten, ist in den letzten Jahren von der Möglichkeit zur Selbstverständlichkeit geworden. Seit jeher gehört es zur demokratischen Politik, diese den Wählenden auch zu erklären – aber heute geschieht das nach anderen Regeln. Die vielleicht wichtigste ist, dass mit sozialen Medien ein Echtzeit-Rückkanal entstanden ist, der potenziell jede Kommunikation zum unignorierbaren Dialog macht.

Hier kommt eine Eigenschaft ins Spiel, die in manchen Social-Media-Zirkeln schon lange zu beobachten ist, die sich aber in den letzten sechs, sieben Jahren verselbständigt zu haben scheint, und zwar mit und durch soziale Medien: die oben erwähnte Erwartungsradikalität des Publikums.

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Ich verstehe darunter die weit verbreitete Bereitschaft, aus Details extrem weitreichende Schlussfolgerungen zu ziehen. Pars pro toto heißt dieser Mechanismus als Sprachfigur im Lateinischen. Im Fall Lambrecht wäre das, ein unprofessionelles, misslungenes, unsensibles Video als Zeichen für eine komplette ministeriale Unfähigkeit zu halten und deshalb als Rücktrittsgrund zu betrachten, wie es Markus Söder und Friedrich Merz getan haben.

Ständige Bereitschaft zur Soforteskalation

Erwartungsradikalität bedeutet auch, jederzeit zur vollständigen Aufgabe aller Grautöne und Kontexte bereit zu sein. Mit der Erwartungsradikalität transportiert man deshalb die ständige Bereitschaft zur umfassenden Soforteskalation anhand von vermeintlichen oder tatsächlichen Kleinigkeiten. Im Extremfall bedeutet das sogar, dass für die Nichteskalation die eigenen Maßstäbe vollständig erfüllt sein müssen.

Quelle     :             Spiegel-online           >>>>>         weiterlesen

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Grafikquellen       :

Oben      —     Unterzeichnung des Koalitionsvertrags für die 20. Bundestagswahl am 7. Dezember 2021

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Unten      —     Sascha Lobo; 10 Jahre Wikipedia; Party am 15.01.2011 in Berlin.

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