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RENTENANGST

Grüne und Euthanasie

Erstellt von Redaktion am Freitag 27. Oktober 2017

Erinnerungskultur in Ravensburg alles andere als „vorbildlich“

File:Ravensburg Seestraße32 img01.jpg

Ravensburg – Seestraße 32

Pressemitteilung – keine Satire
von Stefan Weinert, Unabhängiger linker Bundestagskandidat 2017

Ich muss Frau Stadträtin Maria Weithmann von den Grünen zunächst – zumindest teilweise – zustimmen wenn sie sagt: „Die Stadt (gemeint ist Ravensburg) pflegt gemeinsam mit dem ZFP Weissenau eine vorbildliche Erinnerungskultur an Euthanasie-Opfer im Nationalsozialismus.“ Schließlich war sie (die Stadtverwaltung) es, die im Frühjahr 2015 die Rutenfestkommission (RFK) darauf hinwies, dass es unpassend wäre, das von ihr ausgewählte Gebäude der Seestrasse 32 als Vorlage für das Festabzeichen zu nehmen, weil von dort in den Jahren 1937 – 45 die NSDAP ihre braunen Fäden zu einem tödlichen Netz auch in Ravensburg gesponnen hat. In der Tat hatte kaum ein Ravensburger zuvor – auch ich nicht – von der braunen Vergangenheit dieses Gebäudes gewusst. Von daher war diese Information ganz wichtig. Soweit und so gut.

Die RFK aber ließ sich nicht davon abhalten, die ehemalige NSDAP-Zentrale als Festabzeichen zu nehmen und schob dafür vor allem materielle und  wirtschaftliche (die Entwurfsarbeiten seien schon begonnen worden) Gründe und auch ihre vorherige Unwissenheit vor. Sie blieb so hartnäckig, dass auch die Stadtverwaltung nicht nur einknickte, sondern in einer späteren Bürgerversammlung – in der eine Diskussion nicht erwünscht war – begründete, warum es richtig war, dieses Festabzeichen als solches zu belassen und nicht durch ein anderes zu ersetzten Das war schlecht.

Das Infragestellen dieser Ravensburger Entscheidung, wie sie zum Beispiel durch meine Person bis heute geschieht, ist ein doppelter Tabubruch (Erinnerung an die Nazivergangenheit und Heiligtum „Rutenfest“), der dazu führt, dass der echte Ravensburger den Tabubrecher nicht nur sozial dissoziiert (daher das Neudeutsche „dissen“) und ins Abseits stellt (Aussonderung aus der Gesellschaft derer mit dem Clangewissen), sondern ihm (sozusagen als Antwort und eigene tiefe Erkenntnis) Neurosen, pathologische Züge, das im Leben zu kurz gekommen sein, Revanchegelüste  und Ressentiments (nicht verzeihen und vergessen zu können, Bosheit und Groll pflegen) unterstellt. Damit ist der Zweifler – da krank, ein Spinner, sonderlich und verletzt – nicht ernst zu nehmen. Und überhaupt: Man müsse auch mal einen Schlussstrich ziehen, das seien doch alles „olle Kamellen“ und was können den die toten Steine dafür, usw). Klingt irgendwie nach AfD und Bernd Höcke. Das dies aber Abwehreaktionen sind, um sich nicht tiefer gehend und substanziell mit der Vergangenheit (NSDAP-Zentrale) und dem eigenen Versagen (Festabzeichen) beschäftigen zu müssen, darauf käme man nur, wenn man einmal auch ein Buch liest,

​oder einem Menschen zuhört, ​ der ​nicht dem ​M​ainstream das Wort redet.

Was die Gemeinsamkeit mit dem ZFP – Zentrum für Psychisch erkrankte Patienten – anbetrifft, hier zunächst eine Information zu dem „Denkmal der Grauen Busse“:

Weißenau Denkmal der grauen Busse 2.jpg

Im Rahmen der Euthanasie-Aktion T4 wurden aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Weissenau (heute ZfP) zwischen Mai und Dezember 1940 mindestens 677 Patienten in die Vernichtungsanstalt Grafeneck, auf der Schwäbischen Alb, deportiert; die als „lebensunwert“ eingestuften Opfer wurden in grauen Bussen und für jedermann sichtbar abtransportiert. Im März 1941 erfolgte ein weiterer Transport von 14 Patienten aus Weissenau zur Tötung nach Weinsberg. Das 2007 errichtete Denkmal für die Opfer der Euthanasie-Morde besteht aus zwei Betonbussen, deren Vorbild die Transportfahrzeuge der Aktion T4 sind. Dem Denkmal ist das Zitat „Wohin bringt Ihr uns?“ eingraviert, die überlieferte Frage eines der Opfer beim Abtransport. Der eine „Graue Bus“ steht seit Januar 2007 dauerhaft in der „alten Pforte“ des Zentrums für Psychiatrie die Weissenau in Ravensburg. Der zweite, mobil, ist unterwegs: um andernorts an die Verbrechen der Euthanasie-Aktion zu erinnern. (Quelle. Schmauder/Schwarzbauer et. al.).

Es ist nun allgemein bekannt, dass sich die Stadtverwaltung Ravensburg lange geweigert hat, am Gebäude der ehemaligen NSDAP-Zentrale eine unübersehbare Erinnerungstafel – ähnlich der an der ehemaligen Grüner-Turm-Strasse (bis 1937 „Judenstrasse“ und bis heute nicht zurück benannt) – aus Bronze anzubringen. Als ich zur „Einweihung“ dieser auf Druck von Außen angebrachten Tafel am 30. Januar 2017 dabei war, traute ich meinen Augen nicht. Das war keine Tafel, das war auch nicht das Werk von Künstlern (siehe Graue Busse), sondern ein Schildchen aus Kunststoff von der Stange für 150 Euro, oder weniger, wie es an jedem historischen Gebäude (Ottokar’s Puppentheater „Vogthaus“, Kneipe „Räuberhöhle“, usw.) in Ravensburg hängt – nur eben mit anderem Text. Die „Einweihungsrede“ des Ersten Bürgermeisters, Simon Blümcke, war ein Hohn. Ein mit anwesender honoriger Herr (es waren ca. 25 Menschen gekommen) sagte am Schluss der Veranstaltung zu mir. „Welch eine Verlogenheit“.

GrauerBusWeissenauNachts2.jpg

Wir dürfen nicht vergessen, dass die „Grauen Busse“ die Folge der vorher in der NSDAP-Zentrale (auf Anweisung Berlins) beschlossenen Todesurteile waren. Hier wurden die Weichen in den Tod gestellt.

Frau Stadträtin Weithmann will nun eine Arbeitsgruppe in Ravensburg einsetzen, die Vorschläge erarbeitet, wie man den Opfern der Euthanasie (eu = gut; thanatos = Tod) aus Ravensburg ein „Gesicht“ geben kann. Warum denn nun schon wieder eine Arbeitsgruppe? Warum nicht gleich ein Gutachten? Wenn die Grünen wirklich etwas für das „Gesicht der Menschen, die Opfer der NSDAP und ihrer Führer“ tun will, dann soll sie sich dafür einsetzen, dass die Villa in der Seestrasse 32 zu einem NS-Dokumentationszentrum wird. Es waren nicht „nur“ die 691 psychisch Kranken der Euthanasie die vergast wurden, es waren auch die vielen Sinti und Roma, die zwangssterilisiert wurden, die Entrechteten, die Schikanierten, die in den Selbstmord Getriebenen, die Juden, die gezwungen wurden, ihre Häuser und Geschäfte weit unter Wert zu verkaufen und Deutschland zu verlassen. Und übrigens wer hat denn dafür gesorgt, dass zu ihrem Andenken die „Stolpersteine“ in Ravensburg verlegt wurden? Die Stadt Ravensburg? Nein! Es war ein einzelner Stadtrat, Wilfried Krauss, Mitglied der „Bürger für Ravensburg“, der darum kämpfen musste und  der weiß, was Erinnerungskultur wirklich ist.

Am 6. Dezember 2005 beschloss die Bayerische Staatsregierung (Kabinett Stoiber), auf dem Areal der ehemaligen NSDAP-Zentrale, ein Dokumentationszentrum zum Thema Nationalsozialismus zu errichten. Vor Baubeginn wurden die Fundamente des Braunen Hauses (so wurde die NSDAP-Zentrale im Volksmund genannt) freigelegt und archäologisch untersucht. Hierbei wurden noch einige Fundstücke sichergestellt. Eine Einbindung der Fundamente in das neue Dokumentationszentrum war jedoch nicht gewünscht, weshalb die Fundamente abgetragen wurden. Die Grundsteinlegung sollte 2008 erfolgen. Da sich aber die Finanzierung verzögerte – im Juni 2009 wurde eine Vereinbarung zwischen der Stadt München, dem Freistaat Bayern und dem Bund geschlossen, die die Kostenübernahme in Höhe von 28,2 Millionen Euro zu gleichen Teilen vorsieht – und es unterschiedliche Auffassungen über inhaltliche Fragen gab, begannen die Bauarbeiten erst 2011. Die Grundsteinlegung erfolgte am 9. März 2012, das Zentrum wurde schließlich zum 70. Jahrestag der Befreiung Münchens am 30. April 2015 eröffnet. (Quelle: wikipedia)

Nun erwartet niemand, das die Villa in der Seestrasse 32 abgerissen und ein neues Gebäude stattdessen errichtet wird. In München war die Situation eine andere. Das braune Haus wurde im Krieg zerbombt, aber bis 2012 blieb es immerhin unbebaut, was impliziert, dass man sich der Besonderheit dieses Platzes bewusst war und nicht sagte. „Ach das das sind doch olle Kamellen, was können die Steine denn dafür“. Und das in einem CSU-Geführten Land. Kompliment!

Die Ravensburgs Erinnerungskultur bezüglich der Gräuel der Nazis ist keinesfalls „vor-bildlich“, sondern „rück-ständig“ und teilweise verhöhnend ihren Opfern gegenüber.

Ein NS-Dokumentationszentrum für Ravensburg und gleich ein mehrstöckiges Haus noch dazu? Reicht da nicht gemessen an dem, was 1933-45 in München, Hamburg und Berlin, Auschwitz und Dachau geschehen ist, in Ravensburg ein Raum von 20 Quadratmetern? Und überhaupt, wir haben doch den Grauen Bus. „Herr Weinert, Ihr Revanchismus, Ihre  Ressentiments und Ihre Neurosen nerven. Und zwar ganz gehörig.“

Stefan Weinert (c), 27.10.2017 – Ravensburg

 

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Grafikquellen    :

Oben  —     Ravensburg, Seestraße 32 (Villa Keppler-Pomer)

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Source Own work (own photograph)
Author Photo: Andreas Praefcke

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2.) von Oben —  Weißenau (Ortsteil von Ravensburg): Das Denkmal der grauen Busse (Entwurf: Horst Hoheisel und Andreas Knitz)

 

 

 

 

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