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Gran Chaco, Paraguay

Erstellt von Redaktion am Sonntag 21. Mai 2023

Grüne Zeiten, schlechte Zeiten

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Von Jürgen Vogt

Der Gran Chaco ist nach dem Amazonas-Regenwald das größte Waldgebiet in Süd­amerika. Doch immer schneller wird hier für die Viehzucht gerodet. Wird das Freihandels­abkommen mit der EU die Rodungen weiter beschleunigen? Ein Besuch bei Umwelt­schützern, Viehzüchtern und Indigenen

Sanft hebt der kleine Heli­kop­ter ab, dreht eine Schleife und schraubt sich nach oben. Der Flug geht über den Wald im Norden Argenti­niens. Aus der Höhe sind drei verschiedene Grüntöne zu erkennen. „Das dunkle Grün ist Wald, das hellere sind gerodete Flächen und das Hellgrün sind die künstlich angelegten Weiden“, sagt Noemi Cruz von der Waldkampagne Greenpeace Argentina.

Greenpeace Argentina fordert den sofortigen Stopp der Abholzungen und dokumentiert die Entwaldung im Norden des Landes. Mit Beobachtungen vor Ort und Satellitenbildern. „Was wir da unten sehen, ist das hier“, sagt Cruz und zeigt auf ihren Laptop. Auch hier sind die drei Schattierungen deutlich zu erkennen, wie mit der Rasierklinge gezogen unterteilen sie die Bilder in Wald-, Kahlschlag- und Weideflächen.

Der ursprüngliche Wald in Formosa ist Teil des Gran Chaco, ein Waldgebiet, das sich über Argentinien, Paraguay und Bolivien erstreckt. Mit mehr als 1 Million Quadratkilometer ist der Gran Chaco das zweitgrößte Waldökosystem in Südamerika. In Sachen Artenvielfalt steht er dem international weitaus bekannteren Amazonas-Regenwald kaum nach: 3.400 Pflanzenarten gibt es hier, 500 Vogel-, 150 Säugetier-, 120 Reptilien- und 100 Amphibienarten, so die neuesten Erhebungen.

Leicht gebeugt fliegt der Helikopter. Am Horizont schlängelt sich der Río Bermejo in braunen Kurven durch den Wald. Unten sind jetzt die scharfen Kanten zwischen den verschiedenen Grüntönen klar zu erkennen. Kleine braune Punkte bewegen sich auf dem Hellgrün. „Rinder, die auf den neu angelegten Weiden grasen“, sagte Noemi Cruz und deutet auf einen gelben Punkt im dunklen Grün: „Ein Bulldozer.“ Der Hubschrauber geht tiefer, zieht Kreise über dem Bagger, der mit seiner Stahlplatte voraus den Wald niederreißt. Der Lärm des Rotors übertönt das Krachen und Knacken der umgeknickten und fallenden Bäume.

30.000 Hektar werden pro Jahr abgeholzt

Argentinien gehörte einmal zu den zehn Ländern mit der größten Wald­fläche der Erde. Die seit 1976 erstellten Statistiken zeigen, dass immer mehr abgeholzt wird – im Gran Chaco noch schneller als im Amazonas-Regenwald. Um der Abholzung Einhalt zu gebieten, wurde 2007 ein viel gelobtes Waldschutz­gesetz in Kraft gesetzt. Die Provinzen sollten Bestandsaufnahmen ihrer noch vorhandenen Wälder machen und in drei Schutzzonen einteilen: eine rote, strenge Schutzzone, eine gelbe Zone für gemischte Nutzung von Forst- und Landwirtschaft, aber ohne Ab­holzung, und eine grüne Zone für weitgehend freigegebene Ab­holzung.

In Formosa erwies sich das Schutzgesetz als Bumerang. 45 Prozent der 7 Millionen Hektar Wald wurden als grün ausgewiesen, 65 Prozent davon dürfen gerodet werden. Anstatt sie zu bremsen, wurde die Abholzung des Walds legalisiert. Die Grundbesitzer in den grünen Zonen freuten sich über die stark gestiegenen Preise ihrer Waldflächen. Im Durchschnitt werden hier jedes Jahr 30.000 Hektar abgeholzt. Wenn diese Geschwindigkeit beibehalten wird, ist bald nicht mehr viel von einem zusammenhängenden Waldgebiet übrig.

Nachdem der Helikopter von seinem Flug zurückkehrt, werden die neuen Beobachtungen ausgewertet. „Wenn das Abkommen EU-Mercosur in Kraft tritt, wird der Abholzungsdruck auf die letzten ursprünglichen Wälder Argenti­niens immens steigen“, sagt Noe­mi Cruz. „Die Zerstörung des Walds ist ein Verbrechen und sollte als Straftat verfolgt werden.“

Am kommenden Donnerstag tagt der EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten in Brüssel zum Thema Handel. Dabei soll auch über den Stand der Dinge beim Freihandelsabkommen mit der lateinamerikanischen Wirtschaftsorganisation Mercosur gesprochen werden, über das seit mehr als 20 Jahren verhandelt wird. Vor drei Jahren wurde dabei eine Einigung erzielt, das Abkommen ist aber auch wegen fehlender Umwelt- und Klimaschutzbestimmungen noch nicht ratifiziert. Geht es nach dem Willen des Bundeswirtschaftsministeriums in Berlin, soll es mit entsprechenden Zusatzvereinbarungen schleunigst in Kraft treten.

Und unten, auf dem Boden der Tatsachen, sehen manche die Rodungen weniger dramatisch als Greenpeace.

„Das Einzige, was der Wald bringt, ist Armut, Elend und Unterernährung. Der Wald produziert keine Nahrungsmittel“, sagt Juan de Hagen. Produktionsleiter von „El Torro“. Mit seinem Pickup ist er auf dem Weg zur Rinderfarm. „Nach dem Waldschutzgesetz von 2007 haben wir in Formosa ein Abholzungspotenzial von 3 Millionen Hektar Wald“, sagt er und deutet auf den entlang der Landstraßen stehenden Wald. Davon könnten 2 Millionen in landwirtschaftliche Nutzflächen umgewandelt werden. Dieses Potenzial nicht zu nutzen, hieße, die Provinz und ihre Menschen zur Armut zu verurteilen.

Ginge es nach de Hagen, würde in Formosa der ganze Wald in Weideland verwandelt. „In-Produktion-Setzung“ nennt er das. „In Formosa kostet ein Hektar Wald zwischen 300 und 400 Dollar“, rechnet er vor. „Dazu kommen etwa 500 Dollar für Rodung und Umwandlung in Weideland.“ Das ist viel billiger als in Argentiniens Kernland, wo zwischen 10.000 und 14.000 Dollar pro Hektar Ackerland verlangt wird. Die Aussicht auf derartige Wertsteigerungen hat Immobilienunternehmen auf den Plan gerufen, die Waldflächen aufkaufen, entwalden lassen und auf einen profitablen Weiterverkauf hoffen.

De Hagen hat den Pickup am Straßenrand abgestellt und steigt über den Drahtzaun einer Weide. „Hier ist nichts abgeholzt. Die Rinder dort stehen auf der früheren Sandbank eines Flusses“, sagt er und deutet auf eine Herde brauner und schwarzer Bradford- und Brangus-Rinder. Bradford und Brangus sind Kreuzungen mit den aus Asien stammenden Zebu-Rindern. Sie können den extremen Temperaturen im Sommer standhalten.

Auf „El Torro“, benannt nach dem Stier, ist der Name Programm. Die Rinderfarm umfasst 5.200 Hektar Fläche. 1.900 Hektar sind Weideland, 560 Hektar Ackerland für den Anbau von Mais. Der Rest ist Wald – noch. Bis zu 3.600 Rinder werden pro Jahr produziert. „Jungrinder aus hundertprozentiger Weidewirtschaft für den Export“, sagt de Hagen. Erst vor ein paar Tagen hätten sie vier Lkws mit 200 jungen Ochsen beladen. Jeder mit etwa 500 Kilo, bestimmt für einen Schlachthof in Rosario mit dem anschließenden Exportziel EU.

Aber de Hagen ist wütend auf Europa. Was den 39-Jährigen aufregt, ist die neue EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten. Sie verbietet die Einfuhr und den Verkauf von Rindfleisch und Sojabohnen, deren Produktion mit Entwaldung in Verbindung stehen. Seit Anfang des Jahres müssen Importunternehmen nachweisen, wann und wo diese produziert wurden, und überprüfbare Angaben machen, dass sie nicht von Waldflächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzt wurden.

Was für die EU dem Schutz des Walde und des Klimas dienen soll, ist für de Hagen eine Einmischung in die Angelegenheiten seines Landes. „In Europa haben sie seit den Zeiten der Römer alle Wälder abgeholzt, und jetzt wollen sie uns das verbieten.“ Die heutigen EU-Bürokraten und -Parlamentarier seien sicher nicht dafür verantwortlich, dass in Europa keine ursprünglichen Wälder mehr stünden, so de Hagen. Aber sie würden dafür dem Rest der Welt auch keine Bußgelder zahlen. „Wenn der Wald in Lateinamerika einen Umweltservice leisten soll, in dem er unangetastet bleibt, dann sollte die EU dafür auch eine Gegenleistung erbringen“, sagt er.

Seit dem Beginn des Soja- und Maisbooms in den Nullerjahren werden im Kernland der argentinischen Landwirtschaft zunehmend Flächen für deren Anbau genutzt. Der Anbau von Ölsaaten und Getreide garantiert weitaus mehr Rendite als die Rinderzucht. In den Provinzen Buenos Aires, Santa Fe und Córdoba wurde in großem Umfang Weideland in Ackerland umgewandelt. Inzwischen wird auf jedem noch so kleinen Zipfel Anbau betrieben. Viehwirtschaft dagegen ist mobiler als Ackerbau, lautet eine Produzentenweisheit. Und so drängt die Rinderzucht immer weiter nach Norden und erschließt neue Weideflächen. Einst marginale Provinzen wie Formosa mit ihren unrentablen Wäldern geraten in den Fokus, wenn es darum geht, neue Flächen für die Rinderzucht zu gewinnen.

Darauf, dass sich dieser Prozess entschleunigen könnte, deutet nichts hin. Im Gegenteil, die massive Steigerung der Produktion von Agrarerzeugnissen für den Export ist Staatspolitik, unabhängig davon, welchem politischen Lager die jeweilige Regierung angehört.

Wenn das Freihandelsabkommen zwischen Mercosur und der Europäischen Union in Kraft treten sollte, dürften die Exporte aus den landwirtschaftlich hochentwickelten zentralen Regionen Argentiniens deutlich zunehmen. Die Produktion ohne Schutzklauseln für andere Abnehmerländer dürfte sich dagegen nach Norden verlagern, auch nach Formosa. Der Druck auf die Wälder wird steigen – und die EU-Verordnung für entwaldungsfreie Lieferketten droht ihr Ziel zu verfehlen. „Was den Wald gerade am meisten schützt, sind die weiten Transportwege“, sagt Juan de Hagen. Bisher muss das Vieh aus Formosa weite Strecken zu den Schlachthöfen und dann über 1.000 Kilometer zum Exporthafen in Rosario gebracht werden. Auch de Hagen hat heute noch einen weiten Weg vor sich, er verabschiedet sich, und fährt in seinem Pickup davon.

Lange war der Gran Chaco ein ungestörtes, zusammenhängendes Waldgebiet für die dort lebenden indigenen Völker. Die Sommer sind hier ex­trem heiß, während es im Winter sogar Frost geben kann. Europäische Kolonisatoren und Einwanderer bevorzugten deshalb andere Regionen. Der Name „Chaco“ stammt aus der indigenen Sprache Quechua. Das Wort cha bezeichnet eine ruhende Sache, und das Suffix cu drückt den Plural aus. Und „Chacu“ war auch eine Jagdmethode: Ein Ring von Jägern kreiste ein Waldstück ein und verengte den Kreis immer mehr.

„Wir Indigene haben existiert, bevor es den Nationalstaat gab und bevor Kolumbus und all die anderen kamen. Wir waren Nomaden und sind von Zeit zu Zeit weitergezogen“, sagt Noolé vom Volk der Pilagá. Für den Nationalstaat heißt sie Zipriana Palomo. „Als wir Personalausweise bekamen, wurde wir als weiblich oder männlich eintragen, unser Alter wurde geschätzt.“ Damals konnten viele weder lesen noch schreiben und schon gar nicht Spanisch verstehen. Auf den Ämtern hätten sie oft abwertende oder hässliche Namen bekommen. „Mir haben sie den Namen Zipria­na Palomo gegeben. Meine Mutter nannte mich Noolé“, sagt sie.

Noolé macht sich auf den Weg zum Kürbisfeld ihrer Chacra. Chacras werden in Argentinien die kleinen Farmen genannt. „Wir denken gar nicht darüber nach, wie viel Geld das Land wert ist“, sagt sie. Am Ende des Pfads öffnet sich der Wald zu ihrem Feld. Rinder muhen in der Ferne, nicht sichtbar, aber deutlich hörbar. „Dort hinten haben sie den Wald gerodet und Weiden angelegt“, sagt sie und zeigt in die Richtung, aus der das Muhen der Tiere kommt.

Quelle      :        TAZ-online          >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen       :

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Entwaldung im Gran Chaco, Paraguay

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