Gefahr im Verzug
Erstellt von Redaktion am Dienstag 8. Juni 2021
Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl
Von Sarah Ulrich
Was bedeutet der CDU-Sieg bei der Wahl in Sachsen-Anhalt für die Teilhabe im Land? Die Initiative am Magdeburger Hasselbachplatz ist skeptisch.
Mit freundlicher Gemütlichkeit öffnen Kyra Sukup und Tilman Kloss den kleinen Erdgeschossladen auf der geschäftigen Magdeburger Sternstraße. Die beiden sind ehrenamtlich bei dem Verein „platzmachen“ aktiv, der vor einem Jahr seinen Stadtteilladen eröffnet hat, inmitten der Magdeburger Altstadt, nur wenige Meter vom Hasselbachplatz entfernt. Es ist ein belebtes Viertel: Junge Familien spazieren die Straße entlang, an der Ecke verkaufen Händler Spargel, Jugendliche sitzen an der Ecke und hören Musik, ein paar Trinker stoßen mit ihrem Bier an.
Kyra Sukup, Aktivistin bei „platzmachen“
„Das Ergebnis ist ein Schock, auch wenn wir damit gerechnet haben“
„Das Ergebnis ist schon ein Schock, auch wenn wir damit gerechnet haben“, sagt Sukup, wenn man sie nach der Landtagswahl vom Vortag fragt. Es ist Montagmorgen, am Tag zuvor wurde in Sachsen-Anhalt ein neues Landesparlament gewählt. Die CDU hat mit 37,1 Prozent einen deutlichen Sieg errungen, zweitstärkste Kraft ist die in Sachsen-Anhalt besonders rechte AfD mit 20,8 Prozent. Die Linken, jahrelang eine führende Kraft im Bundesland, liegen nur noch bei dürftigen 11 Prozent, die SPD bei unter 10. Die Grünen erreichten nur knapp 5,9 Prozent.
Es ist ein herber Verlust für diejenigen, die sich selbst als progressiv sehen. Denn: Auch, wenn die CDU betont, dass sie nicht mit der AfD koalieren werde, so haben doch fast 60 Prozent der Wähler:innen für einen konservativen bis rechtsradikalen Kurs gestimmt. Die CDU in Sachsen-Anhalt ist bekannt dafür, nur wenige christlich-soziale Mitglieder zu haben und eher am nationalkonservativen Rand zu fischen.
Tilman Kloss, Student und Aktiver bei der Magdeburger Stadtteilinitiative „platzmachen“
„Diese Polarisierung zwischen AfD und CDU trägt nicht dazu bei, dass es bei inhaltlichen Problemen in Sachen-Anhalt wirklich vorangeht“
Kloss, 25, groß gewachsen, in grauem Pulli und schwarzer Jeans, redet mit Bedacht. Er ist unaufgeregt, aber ernüchtert vom Wahlausgang. Kloss ist in Magdeburg geboren, studiert hier Soziale Arbeit, er kennt die Politik im Land. „Diese Polarisierung zwischen AfD und CDU trägt nicht dazu bei, dass es bei inhaltlichen Problemen im Land wirklich vorangeht.“ Was er meint: Mit dem Wahlergebnis bleibt vieles beim Alten. Die Hoffnung auf einen neuen demokratischen Aufbruch im Parlament von Sachsen-Anhalt ist für sie zerschlagen.
Es geht bei dieser Landtagswahl nicht nur um parlamentarische Mehrheiten Es geht auch um die Frage, welchen Einfluss eine demokratische Zivilgesellschaft in der Politikgestaltung des Landes in Zukunft haben wird.
In den Schaufenstern des Stadtteilladens von „platzmachen“ hängen bunte Kärtchen, Plakate werben in vier Sprachen für ein Begegnungscafé, ein QR-Code weist auf eine Umfrage der Initiative hin: „Hassel für alle. Zusammen den Kiez bewegen.“ Und: „Was wünschst DU dir vom Hassel?“ Gemeint ist damit der Hasselbachplatz.
Bei der Landtagswahl ist es die CDU, die das Direktmandat im Stadtteil holt. Tobias Krull kann mit 28,1 Prozent der Stimmen seinen Platz verteidigen. Seit 2016 ist er Abgeordneter im Landtag. Tilman Kloss sagt von Krull, dieser sei immerhin einer der wenigen in der Partei, die sich gegenüber dem Verein gesprächsbereit zeigten. In seinem Wahlkampf hat Kloss immer wieder die Bedeutung von Ehrenämtern betont. Glück im Unglück also, dass er das Mandat für den Wahlkreis erneut erobert hat – auch, wenn man sich bei „platzmachen“ mit den Kandidatinnen von Grünen und Linken mehr Unterstützung erhofft hätte.
Der Stadtteilladen, ein Ort der Begegnung
Die Idee des Stadtteilladens ist es, einen Begegnungsort zu schaffen für alle Menschen im Viertel. Ein bisschen sieht es hier aus wie in einer alten, charmanten Kneipe in Prag. Kaminrot gestrichene Wände mit goldenen Ornamenten, eine große Holztheke, hinter der die Gläser vor einem Spiegel aufgereiht sind, alte DDR-Sessel mit löchrigen Polstern. In der oberen Etage steht ein Kickertisch, an der Wand hängt eine Dartscheibe. In einem Kühlschrank wird Essen für ein Foodsharing-Projekt gesammelt.
Über fünfzig Menschen arbeiten bei „platzmachen“ mit, alle ehrenamtlich an einzelnen Projekten. Es sind zum Großteil jüngere Menschen zwischen 20 und 30, viele studieren noch oder machen eine Ausbildung.
Fragt man die Aktiven, was ihnen wichtig ist, nennen sie Themen wie Antirassismus, Empowerment, Klimagerechtigkeit und Demokratieförderung. Partizipation und Selbstermächtigung stehen im Mittelpunkt, Teilhabemöglichkeiten bilden das Fundament. An manchen Tagen teilen sie in Kooperation mit der Bahnhofsmission Essen an Bedürftige aus oder betreuen einen Kältebus für Wohnungslose, an anderen organisieren sie Gespräche zum Tag der Nachbarschaft, führen Diskussionsrunden zur Integration oder befragen Anwohner:innen, was sie sich von dem Stadtteil wünschen.
So gesehen sind die Landtagswahlen für „platzmachen“ zweitrangig. Für sie steht Politik von unten, aus dem Stadtteil heraus, im Fokus. Und doch sind sie nicht losgelöst von jenen Entscheidungen, die im nur einige Gehminuten entfernten Landtag getroffen werden.
Das SOG LSA und der Hasselbachplatz
Das ist zum Beispiel das Gesetz zur öffentlichen Sicherheit und Ordnung, SOG LSA genannt. Es bietet die Grundlage für erweiterte Befugnisse der Polizei am Hasselbachplatz. Für den Verein ist es die Ursache vieler Probleme hier im Viertel. Kyra Sukup ist eine derjenigen, die mit einer Kampagne gegen das Gesetz angehen will. Sukup, 22, trägt rotbraun gefärbte Haare und eine Jeansjacke. Sie studiert Rehabilitationspsychologie in Stendal, ist erst vor einem halben Jahr nach Magdeburg gezogen. Sie sagt, das Gesetz würde vor allem Minoritären kriminalisieren, Schwarze, Wohnungslose, Personen of Colour. Teilhabemöglichkeiten hingegen gebe es für diese Menschen nicht.
Es geht für Sukup und den Verein um nicht weniger als die Frage: Wem gehört das Viertel?
Der Hasselbachplatz am Rande der Altstadt Magdeburgs ist ein umkämpfter Ort. Folgt man der Lokalpresse, gilt er als Problemfall der Stadt, als kriminalitätsbelastet, als Schandfleck. Dabei ist der „Magdeburger Kiez“, wie das Kneipenviertel rundherum genannt wird, eigentlich nicht unattraktiv. Insbesondere für Jugendliche gibt es hier viele Möglichkeiten der Begegnung, vom Dönerladen an der Ecke bis hin zur Cocktailbar.
Sukup sagt, die Diskurse seien aufgeladen, es gebe viele rassistische Projektionen. Für sie ist der Ort so etwas wie das „Wohnzimmer Magdeburgs“. Jemand habe die Melange am Platz mal als „ehrliche Vielfalt“ beschrieben. „Das finde ich sehr schön“, sagt sie und lächelt. „Es ist immer viel los.“
Es ist diese Vielfalt, die der AfD ein Dorn im Auge ist. Für die Partei ist es ein Ort „organisierter Kriminalität“, an den Bürger sich nicht mehr hintrauen würden. Ein „Spielplatz aggressiver Ausländer und alkoholisierter Jugendlicher“, formuliert es der AfD-Stadtrat Ronny Kumpf. Für die Rechten, bei denen die Ablehnung Geflüchteter im Parteiprogramm verankert ist, ist es der perfekte Symbolort für die vermeintliche „Ausländerkriminalität“, der mit einer harten sicherheitspolitischen Hand zu begegnen sei.
Aber ist der Ort wirklich so viel gefährlicher als andere Kneipenviertel Deutschlands? Ist der Hasselbachplatz so sehr anders als St. Pauli, Berlin-Kreuzberg oder die Feierbanane in München?
Quelle : TAZ >>>>> weiterlesen
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Grafikquellen :
Oben — Aerial view of Magdeburg, seen from above Stadtpark
2.) v0n Oben — This is a photograph of an architectural monument. It is on the list of cultural monuments of Magdeburg