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Gefährliches Misstrauen

Erstellt von DL-Redaktion am Montag 19. März 2018

Willkommen im neuen Atomzeitalter

Wien - Donald-Trump- und Kim-Jong-un-Graffiti von Lush Sux.JPG

Von Michael Klare

Barack Obama wollte das US-Kernwaffenarsenal und die entsprechenden Rüstungsausgaben reduzieren. Jetzt kehrt Trumps „Nuclear Posture Review“ die Entwicklung wieder um. Die Zahl der Atomwaffen wird steigen, und ihr Einsatz wird wahrscheinlicher.

In der Zeitspanne zwischen dem Atombombenabwurf auf Hiroshima am 6. August 1945 und dem Zusammenbruch der Sowjet­union am 25. Dezember 1991 lebten weite Teile der Welt in Angst vor der atomaren Vernichtung. Trotz vieler Gipfeltreffen und einer Reihe von Rüstungskontrollabkommen gelang es den Supermächten nicht, die Gefahr zu bannen.

Erst mit dem Ende des Kalten Kriegs war die Angst vor einem Atomkrieg weitgehend zerstreut. Über die nach wie vor gigantischen Atomwaffenbestände machte sich seitdem offenbar niemand so richtig Gedanken. Doch seit die drei großen Atommächte – die USA, Russland und China – wieder einmal die Modernisierung ihrer nuklearen Waffenarsenale planen und deren Einsatz erwägen, ist die nukleare Bedrohung erneut ein Thema.

Die Regierung, die sich am entschlossensten daranmacht, das neue Nuklearzeitalter einzuläuten und atomare Waffen wieder hoffähig zu machen, ist die US-Administration unter Donald Trump. Im „Nuclear Posture Review“ (NPR) vom 2. Februar 2018 dehnt das Pentagon das Spektrum möglicher Szenarien für den Einsatz von Atomwaffen weit über den bisher zulässigen Rahmen hinaus aus und ­fordert mehr Nuklearwaffen, um entsprechende Einsätze möglich zu machen.

Seit 1994 bewertet das US-Verteidigungsministerium in seinem NPR etwa alle acht Jahre die globale Sicherheitssituation, formuliert die offizielle Haltung der Regierung zum Einsatz von Atomwaffen und liefert eine Bestandsaufnahme des Rüstungsbedarfs zur Umsetzung der politischen Vorgaben. Zu allen drei Fragestellungen formuliert das jetzt veröffentlichte NPR eine sehr klare Position. Erstens seien die USA umfassender bedroht als je zuvor – auch durch die zunehmend feindselige Haltung und militärische Durchsetzungsfähigkeit Russlands und Chinas. Daraus folge zweitens, dass Washington seine Nuklearpolitik revidieren müsse, um dem Präsidenten mehr Spielraum für den Einsatz atomarer Waffen einzuräumen. Um dies zu ermöglichen, müssten drittens die erforderlichen neuen Sprengköpfe angeschafft werden.

Liest man diese Expertise, könnte man zu dem Schluss kommen, die USA seien gegenüber Russland oder China militärisch ins Hintertreffen geraten und jetzt verzweifelt bemüht, ihre Verteidigungskraft wiederherzustellen. Doch davon kann absolut keine Rede sein: Die USA sind bei den konventionellen Waffensystemen weit überlegen und verfügen über ein riesiges schlagkräftiges Atomwaffenarsenal. Sie haben ein stattliches Aufgebot von Kampftruppen an der Peripherie von Russland und China stationiert, sind aber selbst keiner vergleichbaren Gefahr ausgesetzt. Ungeachtet dieser eindeutigen Fakten wird im jüngsten NPR behauptet, die USA würden von Russland und China akut bedroht und müssten deshalb mehr Nuklearwaffen anschaffen und bereit sein, diese auch einzusetzen.

Das bedeutet eine Abwendung der Trump-Administration von der Politik der Vorgängerregierung, die in dem voran­gegangenen Nuclear Policy Review vom April 2010 festgelegt worden war. Darin hatte es noch geheißen, die Bedeutung der Kernwaffen für die US-Militärdoktrin müsse ver­ringert und der Bestand an Kernwaffen in Verhandlungen mit anderen ­Atommächten deutlich reduziert werden.

Diese Position hatte Präsident Barack Obama erstmals am 5. April 2009 in Prag dargelegt: „Um das Denken des Kalten Krieges zu beenden, müssen wir die Bedeutung der Nuklearwaffen für unsere eigene nationale Sicherheitsstrategie reduzieren und auf andere einwirken, ebenso zu handeln.“1 Hinter dieser Sicht der Dinge stand die Überzeugung, dass es möglich war, die Beziehungen zwischen den Großmächten laufend zu verbessern und die nuklearen Waffenarsenale ohne Risiko abzubauen, weil die Perspektive eines Atomkriegs immer unwahrscheinlicher würde. Die Trump-Regierung erteilt solchen Überlegungen eine Absage und beharrt vehement darauf, dass das Gegenteil der Fall sei. In diesem Sinne ist das neue NPR ein Manifest für das „neue Atomzeitalter“.

In dem Dokument wird behauptet, dass seit 2010 ein erneuter „Wettstreit zwischen den Großmächten“ ausgebrochen sei: „In unterschiedlichem Maße demonstrieren Russland und China, dass sie die nach dem Kalten Krieg entstandene internationale Ordnung und deren Verhaltensnormen substanziell verändern wollen.“

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Milliarden US-Dollar für den neuen B-21-Bomber

Als Beleg für diese Behauptung wird unter anderem auf die Annexion der Krim durch Russland und die umstrittenen Errichtung chinesischer Militäranlagen auf Inseln im Südchinesischen Meer verwiesen. Nach Darstellung des neuen NPR verfolgen beide Länder das Ziel, „dem konventionellen Potenzial der USA mit asymmetrischen Mitteln und Wegen entgegenzutreten, womit sie das Risiko von Fehleinschätzungen und einer militärischen Kon­fron­ta­tion mit den Vereinigten Staaten, ihren Verbündeten und Partnern erhöhen.“ Kurzum: Russland und China seien in Begriff, ihre Nukleararsenale so zu ­modernisieren und zu erweitern, dass sie für die USA und ihre Verbündeten eine noch stärkere Bedrohung darstellen.2

An keinem Punkt dieses Dokuments wird eingeräumt, dass auch die USA und ihre Partner zu der behaupteten Verschlechterung der Beziehungen zwischen den Großmächten beigetragen haben. Weder die Ausweitung der Nato auf das Gebiet der früheren Sowjetunion noch das provokative Ausgreifen der USA in den asiatisch-pazifischen Raum werden auch nur erwähnt. Ebenfalls ausgeblendet wird die Tat­sache, dass die USA nu­klear nach wie vor drückend überlegen sind und massiv in konventionelle und weltraumgestützte Waffensysteme investiert haben.

Für die Verschärfung der nuklearen Konkurrenz werden allein Russland und China verantwortlich gemacht. Dabei wird insbesondere Russland vorgeworfen, dass es die Vorherrschaft über alle seine Nachbarn anstrebe und sich für einen Krieg gegen die Nato rüste. Dabei setze Russland unverhältnismäßig stark auf atomare Waffen, um den Westen einzuschüchtern und die Nato im Fall eines Falles militärisch zu besiegen.

Unter anderem heißt es im NPR: „Die russische Strategie und Doktrin stützt sich maßgeblich auf die Möglichkeit, Atomwaffen als Druckmittel und als militärisches Instrument einzusetzen.“ Zur Umsetzung dieser Strategie sei Russland dabei, „sein Nukleararsenal umfassend zu modernisieren“. Dazu gehöre unter anderem „die vielfältige Verbesserung aller Bestandteile der russischen nuklearen Triade.“ Zudem lege sich das Land neuerdings nichtstrategische Nuklearwaffen zu, die auf künftigen europäischen Kriegsschauplätzen gegen konventionelle Nato-Streitkräfte eingesetzt werden sollen.3

Die starke Fokussierung auf Russland und auf die Bedrohung der USA, die angeblich von den Russen ausgeht, ist überraschend, wenn man bedenkt, dass Donald Trump davor zurückscheut, Wladimir Putin für die internationalen Wirren der jüngsten Zeit zu kritisieren oder ihm eine Einmischung in die Präsidentschaftswahlen von 2016 vorzuwerfen. Trump spricht sich zwar auch dafür aus, das Atomarsenal seines Landes zu modernisieren, äußert sich aber nicht so kritisch über Russlands nukleare Bestrebungen wie das Verteidigungsministerium im Nuclear Posture Review.

Hohe US-Militärs machen Russland als Hauptgegner der USA aus – neben China, Nordkorea und Iran. Nach Meinung dieser Strategen müssen die US-Streitkräfte imstande sein, alle diese vier Länder militärisch zu bezwingen. Obamas freundliche Weltsicht haben sich diese Militärs nie zu eigen gemacht. Jetzt aber, da das Weiße Haus mit internen Angelegenheit beschäftigt ist und die Demokraten im Kongress darauf aus sind, Moskau wegen ­seiner Wahlhilfe für Trump zu bestrafen, ­wittern sie die Chance, alle neuen – nuklearen und konventionellen – Waffen finanziert zu bekommen, die seit ­Langem auf ihrer Wunschliste stehen.

Quelle   :       Le Monde diplomatique         >>>>>      weiterlesen

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Grafikquellen   :

Oben    —   2 Graffitis von dem australischen Graffiti-Künstler Lush Sux an den nördlichen Pfeilern der Schwedenbrücke in der österreichischen Bundeshauptstadt Wien. Die Graffitis sollen den US-Präsidenten Donald Trump und den nordkoreanischen Staatschef Kim Jong-un darstellen, wobei er deren Frisuren vertauschte.

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