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Gas läuft ohne Moskau

Erstellt von Redaktion am Samstag 25. Juni 2022

Der Krieg in der Ukraine ist unsere Sache. 

 Independence ECO Class Tanker

Von  Jan Pfaff aus AUS KLAIPĖDA UND PANEMUNĖ

Lange war Litauen vollkommen abhängig von Gas aus Russland. Doch ein schwer bewachtes Schiff im Hafen der Stadt Klaipėda änderte das

Wenn man Linas Kilda fragt, wann Litauen unabhängig wurde, nennt er zwei Jahreszahlen. 1991 erlangte die ehemalige Sowjetrepublik gegen harten Widerstand Moskaus ihre Selbstständigkeit. „Wir waren danach zwar politisch unabhängig, aber nicht was die Energie betraf“, sagt Kilda. Der junge Staat hing beim Gas an den Pipelines aus Russland, es gab keine anderen Lieferwege.

Der zweite Einschnitt für Kilda ist 2014. Damals nahm die „Independence“ im Ostseehafen Klaipėda ihre Arbeit auf, ein fast 300 Meter langes Schiff, das ein schwimmender Flüssiggasterminal ist. Mit Tankern geliefertes, tiefgekühltes Flüssiggas wird in ihrem Bauch wieder in Gasform verwandelt.

Lange gab es Zweifel, ob die Independence überdimensioniert sei. Flüssiggas galt als teuer, der Prozess als zu aufwendig, die Kapazitäten des Terminals waren oft nur zur Hälfte ausgelastet. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine hat sich das schlagartig geändert. Das Schiff ist der Grund, warum Litauen mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern Anfang April verkünden konnte, überhaupt kein Gas mehr von Russland zu beziehen. Als erstes EU-Land, das zuvor russischer Gaskunde gewesen war.

Linas Kilda ist gelernter Ingenieur, mittlerweile aber Manager. Seit 2013 arbeitet er für die halbstaatliche Betreiberfirma des Terminals, die selbst kein Flüssiggas kauft, sondern Energieunternehmen die Umwandlung anbietet. Kilda ist ein Mann, der viel lächelt. In einem blauen Anzug steht er an Deck eines kleinen Hochseeboots, das durch den Hafen von Klaipėda tuckert und sich in 20 Meter Abstand langsam an der Independence vorbeischiebt. Er spricht über die Form der Gastanks, den Prozess der Regasifizierung, die Pipelines, die an einer Seite des Schiffs im Wasser verschwinden, dort tief in den Meeresgrund hineingehen und an Land führen.

Zusammen mit seiner Kollegin Jurgita Šilinskaitė-Venslovienė zeigt Kilda an diesem Nachmittag ein paar Journalisten das schwimmende Terminal. Direkt an Bord zu gehen, ist nicht möglich – Sicherheitsgründe. „Sie sehen sie nicht, aber das Schiff wird permanent von Spezialeinheiten bewacht“, sagt Kilda. Die Independence gilt nicht nur in Zeiten des russischen Angriffs auf die Ukraine als strategisch besonders wichtig.

Litauen hat früh gelernt, was Deutschland in diesen Tagen mühsam nachholt, in denen nur noch wenig Gas durch Nord Stream 1 strömt, Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Energiesparen mahnt und Kohlekraftwerke wieder hochfahren will: dass Moskau wirtschaftliche Abhängigkeiten gern als politisches Druckmittel nutzt.

Als Litauen im März 1990 als erste Sowjetrepublik erklärte, unabhängig werden zu wollen, antwortete der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow mit einer Energieblockade. Die Gas- und Öllieferungen wurden drastisch reduziert, vor litauischen Tankstellen bildeten sich lange Schlangen, Menschen froren in ihren Wohnungen. „Wir haben das überlebt, aber es war hart“, sagt Šilinskaitė-Venslovienė. Auf diese Erfahrung kommen sie und Kilda im Gespräch öfter zurück.

Das Verhältnis zwischen Russland und Litauen blieb all die Jahre angespannt. 2004 trat Litauen der EU und der Nato bei. 2008 stoppte Russland erneut Öllieferungen, weil eine litauische Raffinerie an einen polnischen Konzern statt an einen russischen verkauft wurde. Auch beim Gaspreis zeigten sich die Spannungen. „Bevor wir das Flüssiggasterminal hatten, bezahlten wir den höchsten Preis für russisches Gas in ganz Europa“, sagt Šilinskaitė-Venslovienė. Sie spricht viel über Preise, Marktentwicklungen und die Lieferanten von Flüssiggas, Ägypten, Katar, Norwegen und die USA. Mit Blick auf den kommenden Winter und die Gasversorgung der EU warnt sie: „Keiner kann sagen, wie sich das entwickelt. Man weiß nie, was die Russen als Nächstes machen werden.“

Quite summer evening in the port city Klaipeda.jpg

In dieser Woche spitzten sich die Spannungen zwischen den beiden Ländern weiter zu. Russland warf Litauen „offen feindselige“ Beschränkungen des Bahn-Frachtverkehrs in die russische Exklave Kaliningrad vor. Diese liegt von Polen und Litauen umschlossen an der Ostsee, etwa 50 Kilometer von Klaipėda entfernt. Das Kaliningrader Gebiet wird von Russland aus mit Zügen über Litauen versorgt, der Seeweg von Sankt Petersburg aus ist langwieriger und teurer. Militärisch ist Kaliningrad für den Kreml sehr wichtig, die russische Ostseeflotte ist dort stationiert, genauso wie Mittelstreckenraketen.

Die litauische Regierung betonte, dass man mit den Transportbeschränkungen nur beschlossene EU-Sanktionen umsetze. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte dies. Nach Angaben des Kaliningrader Gouverneurs Anton Alichanow sind von den Beschränkungen 40 bis 50 Prozent des Gütertransits zwischen Russland und Kaliningrad betroffen. Unter anderem dürfen nun kein Zement, keine Baumaterialien, Metalle oder Hightechgüter auf dem Landweg in die russische Ostseeregion gebracht werden.

Quelle      :    TAZ-online      >>>>>          weiterlesen

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Grafikquellen

Oben      —       Marinestützpunkt San Diego USS Essex (LHD-2) Familientreffen 2016 Foto: TDelCoro März 4, 2016

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